Rom: einmal mehr Europas Schicksalsstadt?
Ist Rom wieder der politische Nabel Europas? Am 4. Dezember findet in Italien ein Verfassungsreferendum statt, das bei Ablehnung zum Rücktritt der Euro-freundlichen Regierung Renzi und damit zu Neuwahlen führen wird. Die Euro-austrittsbereite Opposition, die die Währungsunion für alle Probleme Italiens verantwortlich macht und einen „Italexit“ als vermeintliche Lösung verfolgt, wittert bereits wahlpopulistische Morgenluft. Robert Halver analysiert.
Ist Rom wieder der politische Nabel Europas? Am 4. Dezember findet in Italien ein Verfassungsreferendum statt, das bei Ablehnung zum Rücktritt der Euro-freundlichen Regierung Renzi und damit zu Neuwahlen führen wird. Die Euro-austrittsbereite Opposition, die die Währungsunion für alle Probleme Italiens verantwortlich macht und einen „Italexit“ als vermeintliche Lösung verfolgt, wittert bereits wahlpopulistische Morgenluft.
Von Robert Halver
Bei einem Nein-Referendum ist bis zum Wahltag Euro-politische Verunsicherung zu erwarten, die auch andere überschuldete Euro-Staaten in Sippenhaft nimmt. Wie schlecht ist die wirtschaftliche Lage Italiens? Welche Gefahren gehen von einer unsicheren römischen Politik für die Finanzmärkte aus und welche Rettungsmaßnahmen sind für Italien im Bedarfsfall zu erwarten?
Italiens Wirtschaft ohne Substanz
Eine konjunkturelle Erholung Italiens wird durch eine schwache Wettbewerbsfähigkeit konsequent verhindert. Die bereits deutliche Investitionszurückhaltung von Unternehmen wird jedoch völlig einbrechen, sollte Italiens wirtschaftsreformbereiter Regierungschef Renzi das mit seiner politischen Zukunft verknüpfte Referendum über die Verwaltungsreform am 4. Dezember verlieren. Anschließend dürfte der Stillstand Italiens festgeschrieben sein. Denn dann ist bei einer vermutlich im Frühjahr 2017 anstehenden Neuwahl mit einer Stärkung Euro-kritischer Parteien zu rechnen, für die ein Euro-Austritt kein Tabu ist und Wirtschaftsreformen sogar neoklassisches Teufelszeug sind. In diesem Szenario wird sich die kürzliche Erholung der italienischen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe nicht fortsetzen.
Der Anstieg der Risikoaufschläge zehnjähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Staatspapieren dokumentiert seit September 2016 das gestiegene politische Risiko in Rom. Der bereits aus früheren Krisenzeiten bekannte Ansteckungseffekt ist aktuell auch wieder bei spanischen und französischen Staatspapieren zu beobachten. Immerhin, zur finanzwirtschaftlichen Besänftigung kündigte die EZB bereits eine vorübergehende Ausweitung von Käufen italienischer Anleihen an.
Die angekündigten Maßnahmen der EZB verfehlen ihre beruhigende Wirkung auch an den europäischen Aktienmärkten nicht. Diese Rettungsdroge hat den italienischen Leitindex FTSE MIB kräftig gestützt. Dennoch ist er im Vergleich zu den Aktienindices der Eurozone seit Anfang 2016 ein klarer Underperformer.
Italiens Banken ohne ausreichendes Eigenkapital
Markantestes Symbol der italienischen Wirtschaftskrise ist die Bankenschwäche. Die Banca Monte dei Paschi di Siena stößt mit ihrer geplanten Kapitalerhöhung in Höhe von 5 Mrd. Euro bislang auf wenig Interesse bei Privatinvestoren. Jetzt rächt sich bitter, dass es der italienische Bankensektor und die Regierung in besseren Kapitalmarktjahren verpasst haben, nötige Kapital- und Strukturmaßnahmen durchzuführen. Italiens Banken verfehlen mehrheitlich die von der Bankenaufsicht geforderte Kernkapitalquote von 10,75 Prozent. Es fehlt die Basis für dringende Abschreibungen. Denn immer noch ist jeder fünfte italienische Kredit faul. Zur Bankensanierung ist gemäß dem Regelwerk der Europäischen Bankenaufsicht zunächst grundsätzlich eine Haftung der Bankgläubiger – konkret Aktionäre und Inhaber von Konten, Sparbriefen und Bankanleihen – vorgesehen. Die Steuerzahler sollen erst als letzte Instanz zur Haftung herangezogen werden.
Diese Art Bankensanierung lässt sich angesichts der wirtschaftlich schlechten Stimmung italienischer Wähler unmöglich umsetzen. Denn laut EZB befinden sich rund 80 Prozent aller Schuldenschnitt-fähigen italienischen Bankanleihen in italienischem Besitz. Die Bankensanierung führt bei ihnen 1:1 zur Vermögensstreichung. Eine sich danach endgültig festsetzende Euro-feindliche Stimmung wäre bei der Neuwahl Wasser auf die Mühlen der italienischen Anti-Euro-Bewegung.
Aus sozial- und wahlpopulistischen Beweggründen führt insofern kein Weg an einer unkonventionellen Bankenrettung in Italien vorbei. Der Zusammenhalt der Eurozone genießt (geld-)politisch oberste Priorität. Zu diesem Zweck wird die europäische Politik einen erneuten Bruch des Stabilitätspakts und der Bankenunion ohne stabilitätspolitische Skrupel in Kauf nehmen. Zunächst könnten italienische Banken regelwidersprechend mit Staatsgarantien gestützt werden.
EZB könnte schon wieder die Gelddruckmaschine anwerfen
Die EZB könnte das Abschreibungs- beziehungsweise Eigenkapitalproblem italienischer Banken aber auch über die Hintertür lösen. Sie könnte einen umfangreichen Aufkauf von Not leidenden italienischen Unternehmens- und Bankanleihen praktizieren. Auch die Verbriefung von uneinbringlichen Bankkrediten mit anschließender Veräußerung an die Notenbank ist eine mögliche Rettungsvariante. Ein unberechenbarer Dominoeffekt auf andere europäische Banken, die mit italienischen geschäftlich verbunden sind – sozusagen ein europäischer Lehman-Effekt – muss unbedingt verhindert werden. Dazu ist jedes auch instabile Mittel recht.
Kommt es beim italienischen Referendum zu einem „Nein“-Votum und einem Rücktritt Renzis, wird sich die EZB nicht nur der direkten Bankenrettung annehmen, sondern auch indirekt „Wahlwerbung“ pro Eurozone betreiben. Zinsgünstige Finanzierungen von staatlichen italienischen Konjunktur- und Sozialprogrammen sollen die Wähler wieder von Europa überzeugen. Damit soll insbesondere auch einem Ausstrahlen der italienischen Krise auf Deutschland, die Niederlande und Frankreich vorgebeugt werden, wo 2017 ebenfalls gewählt wird. Eine noch großzügigere Staatsschuldenaufnahme von Italien, aber auch Frankreich und anderen prekären Euro-Ländern ist abzusehen. Die geldpolitische Rettung geht in die nächste Runde. Stabilität wird neu definiert: Es geht um die Stabilität der Eurozone, nicht mehr um Finanzstabilität. Für eine Zinswende in Europa spricht insofern nichts.
Wird Europa weltweit abgehängt?
Diesem politischen Unsicherheitsfaktor für die Aktienmärkte steht immerhin ein wachsender weltkonjunktureller Optimismus gegenüber. Vor dem Hintergrund der von den Trumponomics ausgehenden Wachstumsphantasien hat die OECD ihre Prognosen für die US-Konjunktur und über ein insofern gestärktes Importwachstum auch für die Weltwirtschaft für 2017 und 2018 angehoben: USA 2,3 nach 1,9 beziehungsweise 3,0 nach 2,2 Prozent; Welt: 3,6 nach 3,3 Prozent.
Diese Einschätzung bestätigt auch der Aufwärtstrend des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe. Mit der dritten Verbesserung in Folge auf 53,2 nach zuvor 51,9 lässt die US-Industrie ihre Schwächephase allmählich hinter sich. Der steigende Konjunkturoptimismus schlägt sich bereits in einer fortgesetzten Stabilisierung des US-Aktienmarkts nieder. Neben einem politischen, entwickeln sich die USA damit auch zu einem wirtschaftlich sicheren Hafen. Tatsächlich schwenken die Gewinne von US-Aktien nach knapp zwei Jahren wieder auf Wachstumskurs ein. Im Gegensatz dazu setzt sich die Gewinnschrumpfung in der Eurozone und Deutschland - wenn auch mit verminderter Tendenz - fort. Eine weitere Outperformance von US-Aktien ist zu erwarten.
Ölpreis-Erholung setzt Positiv-Karussell in Gang
Zu einer verbesserten wirtschaftlichen Stimmung trägt ebenso die Erholung der Rohstoffpreise bei. Hierüber stabilisiert sich die weltkonjunkturelle Kaufkraft der Rohstoffländer, deren Positiveffekte sich in einer wieder festeren Aktienmarktentwicklung in Russland, Brasilien und Saudi-Arabien widerspiegeln. Die Opec hat auf ihrem Treffen in Wien der Kraft des Faktischen nachgegeben. Der Druck schwacher Staatseinnahmen durch niedrige Ölpreise - mittlerweile weist selbst Saudi-Arabien Haushaltsdefizite aus - hat nach langem Ringen zu einer Produktionsdrosselung um 1,2 Millionen auf insgesamt 32,5 Millionen Barrel täglich geführt. Selbst Nicht-Opec-Mitglieder sind zu Kürzungen bereit. Saudi-Arabien trägt die Hauptlast der Förderkürzung, um der starken Konkurrenz aus dem Iran Produktionsniveaus auf dem Niveau vor Beginn der Sanktionen zu gestatten. Diese Maßnahmen würden zwar theoretisch das Überangebot am Ölmarkt im ersten Halbjahr 2017 ausgleichen.
Praktisch ist dann jedoch das Verfallsdatum des Deals erreicht, der zunächst nur auf ein halbes Jahr beschränkt ist. Ohnehin lassen sich Förderkürzungen nicht kontrollieren, selbst wenn die Produktionskürzungen auf die jeweiligen Ölländer heruntergebrochen werden. Die Förderdisziplin der Opec ist historisch betrachtet schwach ausgebildet. Und auch Russland hält sich mit konkreten Details zur Förderkürzung zurück. So nennt das Land zum Beispiel nicht den Stand seiner augenblicklichen Ölproduktion. Transparenz in der Ölförderung sieht anders aus.
Zudem lassen steigende Ölpreise auch US-Fracking-Unternehmen leichter ihre Gewinnschwelle bei ca. 50 US-Dollar erreichen, was für ein verstärktes Ölangebot von dieser Seite sorgt. Abgesehen von einem primären Preisimpuls, der aus der ersten Förderkürzung der Opec seit 2008 herrührt, bleibt insgesamt ein nachhaltiger Ölpreisanstieg fraglich.
Dieser Text erschien zuerst auf Halvers Kapitalmarkt Monitor bei der Baader-Bank.