„Steigende Gesundheitskosten sind auch eine Frage der Güterabwägung.“
Können wir uns das Konzept One Health leisten? Wir müssen, sagt die Meeresbiologin. Es kommt drauf an, sagt der Gesundheitsminister und die Pharma-Branche fordert mehr Unterstützung.
Können wir uns das Konzept One Health leisten? Wir müssen, sagt die Meeresbiologin. Es kommt drauf an, sagt der Gesundheitsminister und die Pharma-Branche fordert mehr Unterstützung.
Von Anke Henrich
„One Health“ ist das Gesundheitskonzept der Stunde – könnte man glauben. Dahinter steht die tatsächlich seit Jahrzehnten diskutierte Einsicht, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Natur untrennbar verknüpft sind. Die Fledermaus als Viren-Überträger lässt grüßen: Mehr als die Hälfte aller bekannten Erreger, die Menschen befallen, sind sogenannte Zoonose-Erreger wie Bakterien und Viren, Pilze und Parasiten. Deshalb fordert das Robert-Koch-Institut, dass Humanmediziner, Tierärzte und Umweltforscher verstärkt interdisziplinäre zusammenarbeiten.
Über dieses Ziel waren sich die Experten auf dem Panel „One Health – Gemeinsam für die Gesundheit“ beim Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee einig. Aber nicht über den Weg dahin.
Für Matthias Weber, Finanzvorstand von Hexal, ist die Umsetzung des Konzeptes auch eine Frage der Kosten. Er machte es an einem Beispiel fest. Für Hexal als größtem Generika-Hersteller sei es ein wichtiges Anliegen, die Medikamentenrückstände in der Umwelt zu verringern und schon bei der Forschung den Einsatz eines Medikamentes über dessen gesamten Lebenszyklus zu betrachten. Doch das kostet Geld. Weber nannte Zahlen: Generika, Nachahmerprodukte von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist, machten 80 Prozent des Marktes aus, aber nur acht Prozent des deutschen Arzneimittelbudgets. „Für eine Tagesdosis bekommen wir sechs Cent.“ Seine Forderung: Die Krankenkassen müssten für die faire Finanzierung von Medikamenten auch deren Kosten für mehr Umweltfreundlichkeit einkalkulieren.
Diese Frage stellt sich aber nicht nur bei Medikamenten, sondern auch bei der Medizintechnik. Jochen Schmitz, Finanzvorstand bei Siemens Healthineers, kritisierte, über das aktuelle Interesse an One Health dürften nicht aktuelle Fragen in den Hintergrund geraten, etwa wie jetzt Technik nutzbar für kranke Menschen gemacht werden könne.
Aus Sicht von Michael Sen, CEO von Fresenius Kabi, würde der One-Health-Ansatz davon profitieren, wenn die Politik die Gesundheitswirtschaft als industriellen Sektor behandeln würde. „Das würde die Versorgungssicherheit wie die Wettbewerbsfähigkeit stärken“, sagte Sen. Schließlich habe die Privatwirtschaft mit ihrer schöpferischen Kraft in der Pandemie sowohl den Impfstoff entwickelt als auch dessen industrielle Produktion möglich gemacht.
Die aber hängt auch in der Pharmabranche an internationalen Lieferketten, wie Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Sanofi-Aventis Deutschland, betonte. „One Health bedeutet eben auch die Folgekosten zu tragen, die etwa die Grundstoff-Produktion vieler unserer Medikament in Indien oder China zum Beispiel im Wasser hinterlassen.“ Wer sich das vornehme, müsse eben auch akzeptieren, „dass Medikamente ein paar Cent teurer würden.“
Zugleich müssten auch mehr Patientendaten für die industrielle Forschung anonymisierten ausgewertet werden dürfen als bisher, um beispielsweise Fehltherapien zu verhindern. Auch da war sich die Runde einig. Außer Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Wir werden eigene Wege finden, diese Daten zu nutzen, aber nicht so, wie es autoritäre Staaten machen oder solche, in denen diese Daten verkauft werden.“
Lauterbach dämpfte auch die Hoffnung auf mehr Fördergeld für die Pharmaindustrie. „Die Arzneimittelkosten entwickeln sich im Vergleich zu anderen Ausgaben im medizinischen Bereich überproportional.“ Der Gesundheitsminister müsse die steigenden Kosten auch im Kontext der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei den Sozialabgaben deutscher Unternehmen sehen: „Das ist keine leichte Diskussion, sondern eine Güterabwägung.“
Wird One Health also zu teuer für Deutschland? Da hat Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegner-Instituts, eine sehr klare Haltung: „Ich verstehe die ökonomischen Sorgen. Aber One Health bedeutet, die Natur in unserem eigenem Interesse als Teil des Netzwerks des Lebens so zu behandeln, dass die Natur überlebt. Wir haben das nötige fundamentale Wissen dazu.“ Ihre Sorge: Zu viele Entscheidungsträger stellten sich blind. „Wir haben zum Beispiel seit drei Jahren eine solche Wasserknappheit in Deutschland, dass wir kurz vor dem Verteilungskampf zwischen Bürgern, Industrie und Landwirtschaft stehen.“
Die Wissenschaftlerin bringt die Lage so auf den Punkt: „Wenn wir nicht jetzt reagieren, richten Naturkatastrophen, was wir nicht in Ruhe geplant haben. Stattdessen wird nicht heute nicht Nachhaltigkeit belohnt, sondern gerade das Gegenteil.“