Türkeikrise schlägt hohe Wellen an den Finanzmärkten
Staatspräsident Erdogan sorgt mit seiner Wirtschaftspolitik für wachsende politische Spannungen zwischen den USA und der Türkei. Ulrich Stephan erklärt, wie sich die Situation auf die Kapitalmärkte auswirkt und warum sich Anleger in den nächsten Monaten auf weitere Schwankungen einstellen müssen.
Staatspräsident Erdogan sorgt mit seiner Wirtschaftspolitik für wachsende politische Spannungen zwischen den USA und der Türkei. Ulrich Stephan erklärt, wie sich die Situation auf die Kapitalmärkte auswirkt und warum sich Anleger in den nächsten Monaten auf weitere Schwankungen einstellen müssen.
Es war ein schwarzer Freitag für die türkische Währung: Am 10. August 2018 wertete die Lira gegenüber dem Euro zeitweise mehr als 13 Prozent ab. Damit erreichte ein Trend seinen Höhepunkt, der bereits seit Längerem zu beobachten ist. Seit Beginn des Jahres hat die Lira gegenüber der Gemeinschaftswährung rund ein Drittel ihres Wertes verloren. Insbesondere aufgrund der Währungsentwicklung mussten Euroanleger auch mit türkischen Aktien Verluste hinnehmen: Bislang gab der breite MSCI Turkey im Jahr 2018 rund 48 Prozent nach – in der Landeswährung steht ein Verlust von 21 Prozent zu Buche.
Zunehmende Spannungen zwischen den USA und der Türkei
Die Gründe für diese Entwicklungen sind vielfältig: Seit Monaten sorgt die Wirtschaftspolitik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan für Irritationen unter den Marktteilnehmern. Hinzu kommen eine ausufernde Inflation von rund 16 Prozent sowie Sorgen um die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank, die von der Regierung angehalten wurde, die Zinsen trotz der hohen Teuerungsraten niedrig zu belassen. Darüber hinaus gab es zuletzt wachsende politische Spannungen zwischen den USA und der Türkei – zum Beispiel aufgrund der Forderung seitens der Vereinigten Staaten, den am Bosporus inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson freizulassen. Das wird von der Türkei abgelehnt.
Im Zuge dieses Konflikts verdoppelten die USA Zölle auf die Einfuhren von Aluminium und Stahl aus der Türkei auf 20 beziehungsweise 50 Prozent. In der Folge verstärkte sich der Druck auf die Lira massiv. Die Türkei hat mittlerweile mit Strafzöllen auf verschiedene US-amerikanische Waren gekontert. Angesichts der anhaltenden Spannungen stellt sich die Frage, ob sich die Türkeikrise weiter zuspitzen und auch andere Anlageklassen zunehmend belasten könnte.
Türkeikrise: kaum Auswirkung auf Weltwirtschaft
Mit Blick auf die Weltwirtschaft ist die Bedeutung der Türkei zwar nicht zu vernachlässigen, mit einem kaufkraftbereinigten Beitrag zur Weltwirtschaftsleistung von 1,7 Prozent allerdings doch eher gering. Betrachtet man den globalen Aktienmarkt, machen türkische Papiere einen verschwindend geringen Anteil aus. Das gilt selbst für den Bereich der Schwellenländeraktien: Im weltweiten Schwellenländerleitindex MSCI Emerging Markets stehen türkische Papiere für weniger als 1 Prozent der Marktkapitalisierung. Am Anleihemarkt hingegen zeigt sich ein etwas anderes Bild: Die Türkei steht hier für rund 4 Prozent der globalen Schwellenländeranleihen – sowohl in Lokal- als auch in Hartwährung.
Trotz dieses insgesamt vergleichsweise geringen Gewichts wirkten sich die jüngsten Verwerfungen in der Türkei auch auf das breite Segment der Schwellenländeraktien aus. Ohnehin standen die aufstrebenden Volkswirtschaften zuletzt aufgrund des relativ starken US-Dollar unter Anlegern nicht besonders hoch im Kurs. Die Türkeikrise verstärkte diese verhaltene Stimmung gegenüber der Anlageklasse noch. Außerdem investieren viele Anleger vornehmlich breit gestreut in die Schwellenländer, zum Beispiel über entsprechende Fonds. Verwerfungen in einzelnen Ländern können schließlich dazu führen, dass sie sich aus ihren Schwellenländerinvestments insgesamt zurückziehen und dadurch infolge eigentlich lokal begrenzter Ereignisse das gesamte Schwellenländersegment unter Druck gerät. Seit Anfang Juni sind die Aktien der Schwellenländer in Euro gerechnet um mehr als 6 Prozent gefallen. Alleine am 10. August 2018 stand das Minus bei 1,5 Prozent.
Europäische Bankaktien mit Kursverlusten
An den Kapitalmärkten der Eurozone gingen die Entwicklungen in der Türkei ebenfalls nicht spurlos vorbei. Insbesondere Bankaktien gerieten unter Druck – zumal die Europäische Zentralbank bezüglich verschiedener Großbanken mit vergleichsweise starkem Türkei-Engagement Bedenken äußerte. So verlor der Bankensektor in der Eurozone am 10. August 2018 mehr als 3 Prozent an Börsenwert. Insgesamt gaben europäische Aktien sowie der Euro im Zuge der Ereignisse in der Türkei nach.
Doch was bedeuten die Ereignisse am Bosporus für die Türkei selbst – und mit welchen Maßnahmen könnte die Regierung des Landes darauf reagieren? Betrachtet man die türkischen Unternehmen, so sind diese zwar vergleichsweise stark in Fremdwährungen verschuldet. Aufgrund der schwächeren Lira ist das Volumen ihrer Verbindlichkeiten zuletzt gestiegen. Gleichzeitig nehmen die Konzerne durch ihr Auslandsgeschäft jedoch auch ausländische Währungen ein, sodass es insgesamt keine größeren Probleme beim Schuldendienst geben sollte – zumindest, wenn die Tätigkeit türkischer Unternehmen im Ausland nicht durch Sanktionen oder ähnliche Maßnahmen eingeschränkt werden sollte.
Geringe Fremdwährungsreserven
Hinsichtlich des türkischen Staatshaushalts scheint die Situation weniger positiv: Angesichts des aktuellen Leistungsbilanzdefizits – die Türkei importiert mehr als sie exportiert – von rund 6 Prozent ist die Türkei auf externes Kapital angewiesen. Darüber hinaus sind rund 92 Prozent der öffentlichen Auslandsschulden in US-Dollar oder Euro nominiert. Dem stehen Fremdwährungsreserven von weniger als 100 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gegenüber – ein im Schwellenländervergleich sehr niedriger Wert. In Kombination mit der hohen Inflation führt dies zu Druck auf der Währungsseite und Bedenken seitens der Marktteilnehmer hinsichtlich der Auslandsschulden.
Trotz der Verwerfungen an den türkischen Kapitalmärkten hielten sich die Gegenmaßnahmen der Regierung Erdogan bislang in Grenzen – abgesehen davon, dass die türkische Notenbank die Finanzinstitute im Land jüngst mit zusätzlicher Liquidität versorgte. Im Gespräch mit Investoren kündigte der türkische Finanzminister Berat Albayrak jedoch am 16. August an, die Banken weiter zu stützen sowie die Inflation zu bekämpfen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und die Staatsverschuldung abzubauen. Bemerkenswert war seine Aussage, Kapitalverkehrskontrollen grundsätzlich auszuschließen. Anlass zu solch einer Maßnahme hätte die türkische Regierung, denn viele Türken tauschen derzeit die schwache Lira in Fremdwährung um.
Falls der Umtausch von Beträgen in Lira in festere Währungen nun unterbunden würde, hieße das gleichzeitig, dass Ausländer Probleme hätten, in der Türkei investiertes Kapital zurückzuholen. Gleichzeitig hätte die Türkei in solch einem Fall keinen freien Zugang mehr zum internationalen Kapitalmarkt – auf den sie jedoch aufgrund des Leistungsbilanzdefizits angewiesen ist. In diesem Punkt liegt eine der Hauptsorgen der internationalen Investoren.
Weitere Entwicklung genau beobachten
Inwiefern diesen Ankündigungen Taten folgen, bleibt abzuwarten. Das gilt auch für die weitere Entwicklung der politischen Konflikte zwischen den USA und der Türkei: Im hoffnungsvollen Szenario könnte eine Stabilisierung der Beziehungen zusammen mit einem Kurswechsel aufseiten der türkischen Notenbank und externen Finanzhilfen, wie der jüngst angekündigten 15-Milliarden-US-Dollar-Investition Katars, zu einer Entspannung der Krise führen. Im negativen Szenario könnte eine weitere Verschärfung des Konflikts in einer internationalen Krise mit fatalen Folgen für die Türkei münden. Dann könnte die Krise auch das Sentiment an den Kapitalmärkten und insbesondere in den Schwellenländern beeinträchtigen. Grundsätzlich stehen der türkischen Wirtschaft schwierige Monate bevor. Das Land verfügt aber über gute Voraussetzungen, langfristig auf dem Wachstumspfad zu bleiben, darunter eine junge, gut ausgebildete Bevölkerung.
Für Anleger gilt es, sich in den nächsten Monaten auf weitere Schwankungen an den Kapitalmärkten der Türkei einzustellen. Je nach Ausmaß und weiterem Verlauf der Krise sind auch negative Auswirkungen auf die Märkte der Schwellenländer sowie europäische Banken nicht auszuschließen. Aus Sicht der Deutschen Bank ist es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch weniger ratsam, sich von Investments wie beispielsweise europäischen Aktien aufgrund der Türkeikrise zu trennen. Spannender und eventuell herausfordernder für Europa werden ohnehin die Entwicklungen um die Budgetdiskussionen in Italien im Herbst.
Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.