Turbulenzen voraus
Die US-Notenbank Fed hat gerade die größte Zinserhöhung seit 1994 vorgenommen. Müssen Anleger sich jetzt Sorgen machen? Stephen Dover, Leiter des Franklin Templeton Institute, erörtert das zunehmende Rezessionsrisiko.
Die US-Notenbank Fed hat gerade die größte Zinserhöhung seit 1994 vorgenommen. Müssen Anleger sich jetzt Sorgen machen? Stephen Dover, Leiter des Franklin Templeton Institute, erörtert das zunehmende Rezessionsrisiko.
Nun, das ging ziemlich schnell.
Nach einigen Monaten Aufregung über die stark steigende Inflation hat die Rezessionsangst die Märkte nun voll erfasst. Die Zinskurven werden flacher, die Credit Spreads steigen und die Aktien geben nach – traditionelle Warnsignale für eine Rezession. Gleichzeitig warnen Führungskräfte aus der Industrie und der Finanzbranche vor bevorstehenden „Hurricanes“, „extrem schlechter Stimmung“ – und womöglich noch Schlimmerem.
Der unmittelbare Auslöser der jüngsten Verkaufswelle an den Märkten war der US-Verbraucherpreisindex für den Monat Mai, der höher ausfiel als erwartet (sowohl für die Gesamtinflation als auch für die Kerninflation). Zudem zeichnete er ein beunruhigendes Bild des Preisdrucks, der sich in der gesamten Wirtschaft ausbreitet. Die Anleger reagierten darauf mit stark steigenden Erwartungen hinsichtlich möglicher Zinsschritte der Fed. Die wiederum reagierte am Mittwoch mit einer Zinssteigerung um 0,75 % und der Aussicht auf 0,75 % im Juli sowie auf weitere Zinsanhebungen zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Anleger waren jedoch bereits zuvor durch die jüngste geldpolitische Kehrtwende der Europäischen Zentralbank (EZB) erschüttert, die abrupt von einer vorsichtigen auf eine eindeutig restriktive Haltung umgeschwenkt war. Es wird erwartet, dass die EZB die Zinsen im Juli um einen Viertelpunkt erhöhen wird. Im Herbst könnten weitere, möglicherweise größere Zinsschritte folgen. Damit gehört die EZB nun zu den rund 80 % der großen Zentralbanken, die die Zinsen 2022 angehoben haben oder anheben werden.
Weiche Landungen sind unüblich
„Weiche Landungen“ waren in der Vergangenheit eher selten. Wenn die Zentralbanken die Zinsen anheben, hat dies typischerweise steigende Arbeitslosenzahlen und Rezessionen zur Folge. Nach einer Studie der New York Federal Reserve haben 11 von 15 Straffungszyklen seit 1955 zu einer steigenden US-Arbeitslosenquote geführt, was in der Mehrzahl dieser Fälle in eine Rezession mündete.3 Zudem gehen Straffungszyklen oft mit finanziellen Belastungen, scheiternden Unternehmen oder Krisen einher. Bei einer derart hohen Inflation und einer gleichzeitigen Straffung durch so viele Zentralbanken sind die Chancen für eine Verlangsamung der Inflation ohne hohe wirtschaftliche oder finanzielle Kosten sogar noch geringer.
In diesem Artikel betrachten wir verschiedene finanzielle und wirtschaftliche Indikatoren und nehmen eine eigene Einschätzung des Rezessionsrisikos vor. Außerdem bieten wir Erkenntnisse zur Wahrscheinlichkeit einer Gewinnrezession (d. h. eines tatsächlichen Rückgangs der ausgewiesenen Unternehmensgewinne).
Unsere Meinung? Die Konsensmeinung ändert sich schnell und liegt weitgehend richtig. Es muss zwar nicht dazu kommen, aber das Risiko einer Rezession steigt. Ein Rückgang der Unternehmensgewinne ist sogar noch wahrscheinlicher. Schnallen Sie sich an und halten Sie sich fest – wir steuern auf Turbulenzen zu und die Landung könnte holprig werden.
Die Suche nach wichtigen Wendepunkten
Konjunkturzyklen werden seit Jahren in vielen Ländern genau untersucht. Da Rezessionen recht häufig sind, liegen ausreichend Daten vor, um mithilfe statistischer Analysen zu ermitteln, wie sich finanzielle und wirtschaftliche Indikatoren unmittelbar vor, während und nach einem Konjunktureinbruch verhalten. Daraus können Statistiker die Wahrscheinlichkeit künftiger Rezessionen in den kommenden ein oder zwei Jahren ableiten.
Das Franklin Templeton Institute hat mehrere Modelle zur Bewertung der Risiken für den Konjunktur- und Gewinnzyklus entwickelt. Dabei sollen weder das Wachstum, noch die Inflation oder die Unternehmensgewinne prognostiziert werden, und schon gar nicht die üblichen Auf- und Abwärtsbewegungen an den Finanzmärkten. Vielmehr können wir mit unseren Instrumenten abschätzen, wann wichtige zyklische Wendepunkte bevorstehen, sodass wir unser Unternehmen und die Kunden besser bei ihren Anlageentscheidungen beraten können.
Unsere Arbeit basiert auf einer sorgfältigen Analyse des Verhaltens verschiedener finanzieller und wirtschaftlicher Variablen im Verlauf des Konjunkturzyklus. Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten stellte sich heraus, dass rund zehn Indikatoren oft wirtschaftliche Wendepunkte widerspiegeln: die Zinskurven, die Credit Spreads, die Verbraucherstimmung, das Geschäftsklima, breit angelegte Kennzahlen für die finanziellen Rahmenbedingungen, der Arbeitsmarkt, die Einkaufsmanagerindizes, die Ölpreise, die Aktivität am Markt für Wohnimmobilien und – für die USA – Kennzahlen für das wirtschaftliche Umfeld auf Ebene der Bundesstaaten.
Mit grundlegenden statistischen Methoden können diese Kennzahlen einzeln oder kombiniert verwendet werden, um für einen gegebenen Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den folgenden zwölf Monaten zu berechnen.
Modelle sind natürlich nicht unfehlbar. Wirtschaftliche Veränderungen können die Zeit beeinflussen, die zwischen den Indikatoren und den tatsächlichen Ergebnissen liegt. Sogar die Aussagekraft einiger Indikatoren kann dadurch eingeschränkt werden. So können beispielsweise die bekannten coronabedingten Störungen des weltweiten Warenkonsums, der Produktion und der Vertriebsmuster dazu führen, dass Umfragen im verarbeitenden Gewerbe (z. B. Einkaufsmanagerindizes) für die Berechnung der Rezessionswahrscheinlichkeit weniger zuverlässig sind. In jedem Fall müssen quantitative Modelle durch qualitative Analysen ergänzt werden.
Eine Rezession wird wahrscheinlicher
Was sagen also unsere Indikatoren über die Wahrscheinlichkeit einer Rezession?
Beunruhigenderweise legt unser breit angelegtes Wahrscheinlichkeitsmodell nahe, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den kommenden zwölf Monaten grob verdoppelt hat – von rund 20 % Ende 2021 auf aktuell fast 40 %. Dieser Wert entspricht ungefähr dem von Bloomberg veröffentlichten Modell, in dem nur ein Inputfaktor – die Form der Zinskurve von US-Staatsanleihen – verwendet wird. Noch beunruhigender: Nach Bloombergs multivariatem Zwei-Jahres-Modell zur Berechnung der Rezessionswahrscheinlichkeit liegt die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den kommenden 24 Monaten inzwischen bei über 70 %!
Eine tiefergehende Analyse inklusive Grafiken finden Sie hier: https://www.franklintempleton.de/aktuelles/strategist-views/turbulenzen-voraus