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Verpassen Anleger die Mega-Erholung?

Trotz trübster Konjunkturaussichten klettern die Börsenindizes weltweit weiter nach oben. Eine Überhitzung liegt nahe, die Kurse aber könnten noch weiter steigen. Vielleicht sogar auf neue Höchststände. So könnte auch die Zeit der günstigen Einstiegschancen schneller vorbei gehen, als gedacht.

Bulle oder Bär? Wer gewinnt das Duell? Bislang haben die Bullen klar die Nase vorn. (Foto: Lightspring / Shutterstock)

Trotz trübster Konjunkturaussichten klettern die Börsenindizes weltweit weiter nach oben. Eine Überhitzung liegt nahe, die Kurse aber könnten noch weiter steigen. Vielleicht sogar auf neue Höchststände. So könnte auch die Zeit der günstigen Einstiegschancen schneller vorbei gehen, als gedacht.

Die Corona-Pandemie hat die Weltwirtschaft in eine Krise ungeahnten Ausmaßes gestürzt. Gleichzeitig schwingen sich die Börsen nach einem kurzen, heftigen Crash zu einer historischen Erholung auf. Auf den ersten Blick ist schlicht kaum zu begreifen, was da gerade an den Märkten passiert.
In den USA ist die Arbeitslosenquote im April mit knapp 15 Prozent auf den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 1948 gestiegen. Jerome Powell, Chef der amerikanischen Notenbank, warnte jüngst vor langfristigen Schäden. Im zweiten Quartal, so schätzt die FED, könnte das Wachstum um bis zu 30 Prozent einbrechen. An der Wall Street jedoch sorgen solche Zahlen inzwischen für keine großen Grübeleien mehr. Der Nasdaq100 hat mit 9.658 Punkten zu Beginn der Woche sogar ein neues Allzeithoch markiert. Damit hat der Tech-fokussierte Index ausgehend von seinem Crash-Tief Mitte März innerhalb von zweieinhalb Monaten fast 40 Prozent an Wert zugelegt. Auch der S&P 500 klettert munter zurück in Richtung Vorkrisenniveau. Gerade einmal zehn Prozent sind es noch, die fehlen.

Maximale Erholung wird Realität

Hatten sich die Börsen hierzulande vor kurzem noch um Zurückhaltung bemüht, kennt auf einmal auch der Dax kein Halten mehr. In sieben Handelstagen hat Deutschlands Leitindex einen Sprung um insgesamt zehn Prozent nach oben gemacht. „Die maximale Erholung wird Realität“, fasste es Andreas Büchler von Index Radar zusammen. Portfoliomanager Thomas Altmann von QC Partners sieht den Dax in „Sieben-Meilen-Stiefeln“ laufen. „Das ist nicht mehr nur Hoffnung und Optimismus, das ist Euphorie“, schrieb der Experte. Nach der jüngsten Rally halte er den Dax zwar für überhitzt, abgesehen davon spreche jedoch nichts gegen eine Rückkehr auf 13.795 Punkte – den Höchststand aus dem Februar vor dem globalen Ausbruch des Coronavirus.

Gleichzeitig werden freilich auch die warnenden Stimmen lauter, die gern von einer verfrühten Erholung sprechen, da das ganze Ausmaß der Krise längst noch nicht absehbar sei. Diese Rufe hallen nun allerdings seit Wochen umher und haben der Rally an den Märkten keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Sie könnten Anleger um historisch günstige Einstiegschancen gebracht haben. Inzwischen stellt sich schließlich schon die Frage, ob die oft prognostizierte, zweite und große Verkaufswelle tatsächlich noch kommt. Sicher gäbe es viele gute Gründe dafür. Aber eben auch einige, die dagegen sprechen.

Warum die Erholung am Aktienmarkt kein Ende finden könnte

1. Die Angst etwas zu Verpassen

Jeder Tag mit steigenden Kursen, dürfte unter Anlegern und Investoren die Angst weiter anfachen, die Rally zu verpassen. Besonders große Fonds und institutionelle Investoren geraten mangels Alternativen zunehmend unter Druck, sitzen sie doch auf hunderten Milliarden Dollar, die investiert werden wollen. Kleine Rücksetzer werden so schnell zur Kaufgelegenheit, ganz getreu dem Motto: Das größte Risiko ist es nichts zu tun. Eine ausgeprägte Abwärtsbewegung hat es so schwer. Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst beim Onlinebroker CMC Markets, schrieb: „Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dieser Anstieg die meist gehasste Rally aller Zeiten an der Börse ist.“ Die Nachrichten insgesamt seien schlecht, doch solange Anleger „immer wieder von Neuem versuchen, sich gegen den Trend zu stellen, könnten die Kurse weiter steigen“.

2. Der Blick in die Zukunft

Hinzu kommt: Während im März der kurzfristige Schock alles überlagerte, Ängste nährte und große Unsicherheiten heraufbeschwor, blicken Anleger, nachdem Regierungen und Notenbanken überall auf dem Planeten in den Whatever-it-takes-Modus geschaltet haben, wieder auf die langfristigen Perspektiven. Und die bessern sich mit jedem Tag, an dem es Lockerungen im globalen Lockdown gibt, auf. Schließlich hat sich die Coronakrise bislang nicht zu einer Finanzkrise ausgewachsen. Wird das Virus zurückgedrängt, dürfte sich die Wirtschaft vergleichsweise zügig ankurbeln lassen. Vor allem, da nun die geld- und fiskalpolitischen Stimuli noch einmal in gigantischem Ausmaß erhöht wurden. So gesehen erscheint manch Aktie nach den Kursverlusten im März umso günstiger. Besonders die Krisenverlierer haben eine Menge aufzuholen und werden umso interessanter, je deutlicher die Zeichen auf eine wirtschaftliche Erholung ab dem dritten Quartal hindeuten. Zuletzt griffen Investoren vermehrt bei diesen Papieren zu, was nicht zuletzt den Dax mit seinen vielen konjunktursensiblen Werten stützt.

3. Der Glaube an die digitale Revolution

Die größte aller Stützen in dieser Krise ist jedoch der Glaube an die digitale Revolution. Die Coronakrise hat digitale Trends zweifellos beschleunigt, manchen gar erst zum echten Durchbruch verholfen. Und so flüchteten Anleger in den vergangenen Monaten in Scharen in die großen Tech-Werte. Und die bewiesen mit ihren jüngsten Zahlen und Prognosen eindrucksvoll, dass sie realwirtschaftlich erfüllen können, was an Erwartungen in ihren Papieren steckt. So kommen sie nicht nur vergleichsweise gut durch die Krise, sie profitieren in vielerlei Hinsicht von der Pandemie. Die Kurse der fünf wertvollsten Unternehmen im S&P 500 – Apple, Amazon, Alphabet, Facebook und Microsoft – sind im Jahresverlauf um zirka zehn Prozent gestiegen. Die restlichen Aktien des Index haben zusammengenommen rund 13 Prozent verloren. Die genannten fünf Tech-Riesen machen inzwischen aber 20 Prozent des S&P 500 aus. Damit sind sie zu einem großen Teil für die Kursentwicklung des Index verantwortlich und lassen ihn weit besser dastehen, als das bei einer anteilig gleichen Gewichtung aller 500 gelisteten Unternehmen der Fall wäre.

4. Die Entkopplung der Börse von der Realwirtschaft

Der wohl alles entscheidende Faktor für die furiose Erholung an den Weltbörsen ist die Entkopplung von Börse und Realwirtschaft. „Aufgrund der hohen geld- und fiskalpolitischen Interventionen sind die Börsen nicht länger eine Reflektion der tatsächlichen fundamentalen Rahmenbedingungen“, fasste es CMC-Markets-Analyst Jochen Stanzl zusammen. Man könnte das als großes Warnsignal verstehen, um sich aus Aktien zurückzuziehen, doch es passiert ja ganz offensichtlich das Gegenteil, was wohl daran liegt, dass dieser Zustand noch eine ganze Weile lang andauern könnte. Dass sich die Märkte zuvorderst am Wirtschaftswachstum orientieren, könnte Vergangenheit sein. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus waren es die ultralockere Geldpolitik und die damit einhergehenden niedrigen Zinsen der Notenbanken, die das Geschehen an den Märkten dominierten. Fed, EZB und Co. sorgten so für Liquidität und nahmen Anlegern gleichzeitig die Alternativen. Im Zuge der Viruskrise hat sich all das noch einmal verstärkt. Die Zinsen beispielsweise werden nun aller Voraussicht nach über Jahre hinaus in der Nähe ihres gegenwärtigen Niveaus verweilen. Hinzu kamen weitere billionenschwere Hilfspakete – allein die Bilanzsumme der Fed ist von 4,2 Billionen Dollar Anfang März auf inzwischen rund sieben Billionen Dollar gestiegen. Hinzu kommen die ebenfalls billionenschweren Rettungspakte auf fiskalpolitscher Seite. Dieses Geld, das zuvorderst bei Großanlegern und Konzernen landet, will investiert werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund dieser Ausgaben die Schuldentragfähigkeit der Länder weiter strapaziert wird, was wiederum – vor allem mit Blick auf den Euro – die Sorgen um eine Geldentwertung antreibt. Das tut übrigens auch die Aussicht auf mittelfristig steigende Inflationsraten - bei weiter niedrigen Zinsen. Und so weiß Groß- wie Kleinanleger schlicht nicht mehr wohin mit dem Vermögen. Es bleiben „sichere Häfen“ wie Gold oder eben Aktien. Nicht unwahrscheinlich, dass sich so auf Dauer eine Blase an den Märkten auftürmt, der jegliche realwirtschaftliche Unterfütterung fehlt. Wie bedrohlich das ist, bleibt abzuwarten. Wie schließlich soll eine solche Blase platzen, wenn alternative Anlagemöglichkeiten fehlen. Und so könnte es passieren, dass es sich Anleger zunehmend gemütlich machen in dieser Bubble, was die Kurse immer weiter antreiben würde.

OG

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