„Die Märkte baden gerade in Selbstgefälligkeit“
Durch die lockere Geldpolitik und staatliche Konjunkturmaßnahmen ist die weltweite Verschuldung so hoch wie nie. Romain Boscher, globaler Anlagechef für Aktien bei Fidelity International, über Staatskapitalismus, die „Japanifizierung“ der Industriestaaten und Neuland für Anleger.
Durch die lockere Geldpolitik und staatliche Konjunkturmaßnahmen ist die weltweite Verschuldung so hoch wie nie. Romain Boscher, globaler Anlagechef für Aktien bei Fidelity International, über Staatskapitalismus, die „Japanifizierung“ der Industriestaaten und Neuland für Anleger.
Die globale Finanzkrise war im Kern eine Schuldenkrise. Ihr waren mehrere Jahrzehnte des schuldenfinanzierten Wachstums vorausgegangen. Um eine schwere Rezession wie in den 1930er-Jahren zu verhindern, wurde die Geld- und Haushaltspolitik nach der Krise nochmals gelockert. Das hat heute Konsequenzen. Die großangelegte quantitative Lockerung hat die Zinsen belastet und dafür gesorgt, dass riesige Mengen an Krediten vergeben werden. Heute stehen wir vor einem enormen Schuldenberg und einer Inflation, die unter ihrem Zielwert liegt, sodass eine Normalisierung der Zinsen kaum vorstellbar ist. Zentralbanken in den USA, Europa und Asien wollen ihre Zinsen vielmehr weiter senken. Anleihen im Wert von 12,5 Billionen Dollar sind bereits negativ verzinst, was das Kapital langsam aber sicher aufzehrt.
Negative Zinsen haben zwei wichtige Konsequenzen: Sie verzerren die Kapitalkosten und verhindern, dass diese ein effizientes Signal für lohnende Anlageziele sind. Und sie führen zu mehr Spekulation und einer Inflation der Wertpapierpreise, da es schwerer wird, attraktive Renditen zu finden. Das wiederum verstärkt die finanzielle Ungleichheit in der Gesellschaft und führt zu mehr Unzufriedenheit und Populismus.
Fehlgeleiteter Protektionismus
Ich glaube, dass die heutigen politischen Spannungen mehr mit der Geldpolitik der vergangenen Jahrzehnte zu tun haben als mit der Debatte um die Globalisierung. Dennoch suchen einige Politiker die Lösung im Protektionismus, anstatt Geld- und Haushaltspolitik infrage zu stellen. In verschiedenen Regionen und Märkten wird Kapital dadurch völlig falsch eingesetzt. Einst beschuldigten wir Volkswirtschaften wie China, mit ihrem „Staatskapitalismus“ Märkte zu verzerren. In vielen freien Volkswirtschaften kann man heute jedoch das gleiche beobachten: Risikokapitalfonds investieren in „disruptive“ Projekte, die keinen wirtschaftlichen Mehrwert bieten, in China, Kanada und Australien schießen die Immobilienpreise in die Höhe, und teure, aber unprofitable Firmen wie Tesla, Uber und Revolut gewinnen zunehmend an Bedeutung. In seinem Börsenprospekt warnte Uber sogar, dass das Unternehmen womöglich niemals profitabel werden könnte.
Der „Japan-Effekt“
Diese Entkopplung von Preis und Wert ist Teil einer Art „Japanifizierung“ der Industriestaaten. Die japanische Wirtschaft ist seit der boomenden Nachkriegszeit von hohen Schulden, geringem Wachstum und niedriger Inflation gekennzeichnet. Bis heute gibt es in Japan sogenannte Zombieunternehmen, die nur dank billiger Finanzierungsmöglichkeiten überleben.
Die größte Herausforderung für traditionelle börsennotierte Unternehmen ist nicht der Aufstieg Chinas, sondern es sind Risikokapitalfonds, die genug finanzielle Kraft aufbringen, um etablierte Firmen vom Thron zu stoßen. Diese „kreative Zerstörung”, wie sie der Ökonom Joseph Schumpeter beschrieb, spielt sich heute vor unseren Augen ab. Das Aussterben der Einkaufsstraßen als Konsequenz des Erfolgs von E-Commerce-Startups ist das beste Beispiel.
Globalisierung geht die Puste aus – Neuland für Anleger
Sicher ist, dass sich die Globalisierung verlangsamt. Als Donald Trump im November 2016 US-Präsident wurde, nahm der Welthandel gerade wieder an Fahrt auf. Inzwischen hat sich dieser jedoch erneut verlangsamt. Das hat wohl eher mit dem fortschreitenden Wirtschaftszyklus als mit einer bestimmten Politik zu tun. Wir befinden uns am Ende eines Zyklus, was zusammen mit der schrumpfenden Arbeitsbevölkerung das globale Wachstumspotenzial schmälert. Für Anleger ist diese Situation Neuland. Jeglicher Vergleich mit der Vergangenheit hinkt, da es einfach an Phasen mit vergleichbaren Bedingungen fehlt.
Fazit
Die Märkte könnten noch weiter steigen, und es ist verlockend, sich einfach zurückzulehnen und zuzuschauen. Doch das wäre naiv. Die Märkte baden gerade in Selbstgefälligkeit, was meist ein böses Erwachen zur Folge hat. Bisher haben wir unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen gut reagiert. Doch Vermögensverwalter dürfen die Risiken nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen nach vorne schauen, auf Qualität setzen und bereit sein, im Ernstfall schnell zu handeln, egal, was die Zukunft bringt.