Wenn der Klempner Bitcoin nimmt
Weltweit formieren sich die Notenbanken, um Bitcoin und Co. das Wasser abzugraben. Die Schlacht hat gerade erst begonnen. Am Ende werden die Menschen entscheiden, ob sie lieber einer Währung oder dem Kryptogeld vertrauen. Wir haben es in der Hand: Wenn der Bitcoin an jeder Straßenecke akzeptiert wird, verlieren Notenbanker ihren Job.
Weltweit formieren sich die Notenbanken, um Bitcoin und Co. das Wasser abzugraben. Die Schlacht hat gerade erst begonnen. Am Ende werden die Menschen entscheiden, ob sie lieber einer Währung oder dem Kryptogeld vertrauen. Wir haben es in der Hand: Wenn der Bitcoin an jeder Straßenecke akzeptiert wird, verlieren Notenbanker ihren Job.
Im Märchen von Peter Pan gibt es eine Fee, die den Namen „Tinkerbell“ trägt. Peter Pan sagt es gebe sie nur so lange, wie alle Kinder daran glauben, dass sie existiert. Ökonomen sprechen seither vom „Tinkerbell-Effekt“. Etwas existiert, weil alle daran glauben. Das beliebteste Beispiel dafür ist Geld. Alle glauben daran, dass es einen Wert hat. Und deswegen hat es einen.
Die französische Ökonomin Marion Laboure, die in Harvard zur „Demokratisierung des Finanzwesens“ geforscht hat und mittlerweile zum Ökonomen-Team der Deutschen Bank gehört, spricht in ihrer gerade erschienenen Studie vom „Tinkerbell-Effekt“, wenn sie auf den Bitcoin blickt. Gerade scheint es mit dem Glauben der Menschen an ihn nicht weit her zu sein, denn der Wert des Bitcoins hat sich von seinem Rekordhoch am 15. April innerhalb eines Monats auf rund 29 000 Euro knapp halbiert. Wieso eigentlich? Waren es wirklich Investoren wie Elon Musk, die sich plötzlich abwandten? Oder sind es die Beschränkungen, mit denen die chinesische Führung den Bitcoin-Handel belegt?
Das Imperium schlägt zurück
Die zweite These führt in die richtige Richtung. Sie lässt sich unter der Überschrift „Das Imperium schlägt zurück“ zusammenfassen. Allerdings ist es nicht nur China, das dem Bitcoin den Boden entziehen will, sondern es sind tatsächlich alle großen Wirtschafträume, die gegen den Bitcoin mobil machen. Genauso wie die chinesische Zentralbank den Yuan zur digitalen Währung und damit dem Bitcoin Konkurrenz machen will, planen Europäische Zentralbank und die US-Notenbank Euro und Dollar zu digitalisieren. In vier Jahren könnte es im Euroraum so weit sein, sagt Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz voraus, der die Deutschen in der entsprechenden Arbeitsgruppe der EZB vertritt. Vielleicht gehe es auch ein bisschen schneller.
Balz und den Zentralbankern der großen Währungsräume dämmert längst eines: In der Welt hat der große Wettlauf begonnen. Auf der einen Seite stehen dabei die traditionellen Währungshüter, die über den Wert des Geldes, das sie prägen und drucken, wachen, in dem sie es verteilen und wieder einziehen. Auf der anderen Seite formiert sich eine unorthodoxe Gruppe von Revolutionären, die genau diese staatlichen Systeme zum Einsturz bringen und durch Geld ersetzen will, das mit Hilfe von Rechenoperationen erzeugt wird. Beide Seiten brauchen allerdings gleichermaßen den „Tinkerbell-Effekt“. Glaubt keiner an ihr Geld, können beide einpacken.
Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung
Die traditionellen Notenbanken lassen sich als die Nachfolger von Herrschern, Fürsten und Machtsystemen beschreiben, die nachgewiesenermaßen seit den ersten Hochkulturen vor 3000 Jahren mit dem Geldprägen begonnen haben. Die sogenannte chartalistische Geldtheorie, die der deutsche Ökonom Georg Friedrich Knapp Anfang des vergangenen Jahrhunderts entwickelte, erklärt dieses System. Knapp stellt fest, dass Geld „ein Geschöpf der Rechtsordnung“ und sein Wert völlig unabhängig vom Materialwert sei. Es beruhe einzig auf seiner sozialen Akzeptanz. Für diese Akzeptanz sorgten die jeweiligen Herrschaftssysteme. Münzen und Banknoten seien vom Staat garantierte gesetzliche Zahlungsmittel und der Staat wache darüber, dass er das Monopol darauf behalte. Deswegen sprechen Notenbanker wie Balz auch niemals von „Kryptowährungen“, sondern allenfalls von „Kryptotoken“, denn zu einer Währung gehört nach ihrer Ansicht immer der Währungshüter, also die Notenbank. Mit der Schaffung des Euro, so fügen Knapps heutige Anhänger hinzu, sei die Zuständigkeit fürs Geldschöpfen zwar auf die EZB übertragen, doch hinter dieser stehen die Staaten der Eurozone. Sie erheben Steuern in dieser Währung, womit ihre Existenz daran hängt, dass die Menschen dem von ihnen herausgegebenen Geld vertrauen.
Historisch gesehen hat keine Währung überlebt
Die Revolutionäre und Bitcoin-Jünger stellen diesen Glauben in Frage. Sie sprechen bei Euro, Dollar, Yuan und Co. von „Fiat“-Geld – wobei sie mit dem Ausdruck ihr Latein bemühen. Übersetzt bedeutet „Fiat“ etwa: „Es werde”. Da Euro, Dollar und andere „einfach so werden”, nutzt die Krypto-Szene diese Abkürzung, um zwischen „Fiat-Währungen“ und „Krypto-Währungen“ zu unterscheiden. Erstere seien durch nichts abgesichert, außer dem Versprechen des Staates, dass sie etwas wert seien. Sie funktionierten, so heißt es etwa bei Rene Peters, Chefredakteur der „Kryptozeitung“ nur so gut, wie die Volkswirtschaften, die sie unterstützten. Bis heute, so machen Bitcoin-Jünger geltend, haben Fiat-Währungen historisch noch nie überlebt, weil durch die beliebige Schöpfung früher oder später eine unkontrollierbare Inflationsblase entsteht und den Bürgern die Ersparnisse entzogen werden oder sogar die gesamte Kaufkraft verloren geht.
Das könne bei unabhängigen Kryptowährungen nicht passieren. Das unabhängig von irgendeinem Staat gezeugte Kryptogeld habe dann Erfolg, so meinen die Kryptowährungs-Anhänger, wenn drei Voraussetzungen gegeben seien: Liquide globale Börsen, die Risikomanagement über Futures und Optionen bieten können, benutzerfreundlichere Anwendungen, die den komplizierten Prozess der Kryptographie in den Hintergrund treten lassen, und ein Paradigmenwechsel hin zum Bezahlen von Produkten, Dienstleistungen und Löhnen in Bitcoin. Wenn der Klempner Bitcoin nimmt, ist der Durchbruch geschafft – und der traditionelle Notenbanker könnten nach Hause gehen.
Ohne Notenbanken gibt es keine Medizin gegen Krisen
Die denken allerdings gar nicht daran. Vielmehr sammeln sie Argumente und holen zum großen Gegenschlag aus. Ein Argument ist der erhebliche Energieverbrauch, der aufgebracht werden muss, um einen Bitcoin zu erzeugen. Die Rechenoperationen saugen Strom - nach Einschätzung von Bundesbanker Balz inzwischen weltweit so viel, wie ein Staat wie die Niederlande verbraucht. Ein anderes auf Dauer gewichtigeres Argument ist die Steuerbarkeit von Währungen, die Vorteile mit sich bringt: Wie hätte sich die durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise bewältigen lassen, wenn nicht die Notenbanken beherzt mit Krediten ausgeholfen hätten? Wie wäre die Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren ausgegangen? Der finale Gegenschlag der Notenbanken schließlich besteht darin, dass sie selbst digitales Geld auf den Markt bringen wollen. Noten und Münzen und der Bitcoin würden dann überflüssig, die Notenbanken allerdings nicht.
Wie von einem Feldherrenhügel aus beobachtet Deutschbankerin Laboure die Schlacht zwischen Kryptojüngern und Notenbankern. Sie räumt ein: „Die Pandemie hat den Rückgang der liquiden Mittel um vier oder fünf Jahre beschleunigt und die Verwendung von Kryptowährungen beschleunigt.“ Die Welt habe sich von der Frage, ob digitale Währungen erfolgreich sein werden, zu der Frage verlagert, wie und wann sie zum Mainstream werden. Bei Bitcoins sei die Marktkapitalisierung auf jeden Fall angesichts von einer Billion US-Dollar zu wichtig, um sie zu ignorieren.
Was setzt sich durch? Laboure, die ja selbst zur Demokratisierung des Finanzwesens geforscht hat, schlägt vor die Menschen selbst entscheiden zu lassen. Jeder habe die Wahl zwischen digitalem und physischem Bargeld, zwischen Bankeinlagen und Kryptotoken. Ohne gesetzliche Vorgaben müssten digitales Bargeld und Kryptotoken die Nutzer am Ende selbst davon überzeugen, dass sie die besseren Bezahlmethoden seien. Sie müssten mit den derzeit niedrigen Gebühren und hohen Sicherheitsstandards bei gesetzlich geregelten Zahlungsverfahren gleichziehen. In einem von starkem Vertrauen in staatliche Institutionen geprägten Umfeld hätten es die Kryptotoken schwer. Beim Sparen würden die Verbraucher ihre Entscheidung schlicht anhand der verschiedenen Zinssätze treffen. Und beide müssten um den „Tinkerbell-Effekt“ ringen. Denn am Ende zählt eben allein der Glaube daran, dass sich mit Währung oder Token etwas erreichen lässt.
Oliver Stock