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Zinsen bleiben wohl länger höher

Nach einer differenzierten Analyse der Inflation und ihrer Einflussfaktoren rechnen wir mit einer bis auf Weiteres anhaltend hohen Kerninflation und Zinsen auf einem Niveau, das über längere Zeit höher bleiben dürfte. Die Sektoren Banken und Versicherungen könnten davon profitieren.

(Foto: DJE)

Nach einer differenzierten Analyse der Inflation und ihrer Einflussfaktoren rechnen wir mit einer bis auf Weiteres anhaltend hohen Kerninflation und Zinsen auf einem Niveau, das über längere Zeit höher bleiben dürfte. Die Sektoren Banken und Versicherungen könnten davon profitieren.

Von Stefan Breintner, Leiter Research und Portfoliomanagement, DJE Kapital AG

Nach wie vor bestimmen die Inflationsentwicklung und die Notenbankpolitik die Börsen. Mit Blick auf die kommenden Monate dürfte die Gesamtinflation in den USA und in Europa weiter sinken. Die Kernraten (also ohne Nahrungsmittel und Energie) zeigen aber deutlich weniger Beruhigung, und die zugrundeliegende Kerninflation bleibt hoch. Der Druck auf die Kerninflationsraten dürfte auch 2024 unter anderem aufgrund höherer Lohnabschlüsse anhalten. Die Zinsen werden damit voraussichtlich länger auf einem hohen Niveau bleiben müssen.

Bisher zeigt sich die US-Wirtschaft ausgesprochen resilient, vor allem aufgrund des sehr starken Arbeitsmarkts. Trotz der monetären Bremsung der US-Notenbank (Fed) haben sich die Börsen 2023 bislang gut entwickelt. Aus monetärer Sicht kam die globale Liquidität durch die expansive Politik der japanischen Notenbank bisher nicht so stark unter Druck. Dieser bisherige Rückenwind könnte aber ab Mai nachlassen. Demzufolge könnte das erste Halbjahr 2023 an den Börsen besser ausfallen als die zweite Jahreshälfte. Zinsen und Bewertungen werden damit 2023 wichtig sein, demzufolge könnten sich die Börsen in Europa und den Schwellenländern besser entwickeln als in den USA. Europa könnte zumindest 2023 auch ein besseres Wirtschaftswachstum zeigen. Value-Titel beziehungsweise günstig bewertete Aktien beispielsweise aus dem Banken- und Versicherungssektor, bleiben vorerst interessant, genauso wie ausgewählte attraktiv verzinste Anleihen.

Aktien/Anleihen

• Fokus auf Unternehmenmit hoher Preissetzungsmacht
• Deutsche bzw. europäische Staatsanleihen bleiben unattraktiv
• Ausgewählte Unternehmensanleihen weiter chancenreich

Den Aktienanteil unserer Fondsportfolios haben wir aktuell reduziert. Auf der Aktienseite halten wir einen Fokus auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht unverändert für sinnvoll, da diese auch in einem wachstumsschwachen Umfeld solide Gewinne erwirtschaften können und somit langfristig voraussichtlich die beste Anlagealternative bieten. Bei den festverzinslichen Wertpapieren erachten wir vor allem deutsche Staatsanleihen weiter für unattraktiv. Der Grund liegt in der sich verschärfenden Energiekrise, dem daraus resultierenden Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen und der anhaltend hohen Inflation. Die Renditen deutscher Bundesanleihen halten wir daher für deutlich zu niedrig. Weiterhin Chancen bieten dagegen ausgewählte Unternehmensanleihen. Attraktiv sind vor allem Emissionen, die bei Laufzeiten von fünf bis sechs Jahren aktuell über fünf Prozent Rendite bringen.

Fundamental

• 2023 Europa mit stärkerem Wachstum als die USA
• Verzögerte Wirkung der Geldpolitik kann 2024 stärker belasten als 2023
• Interesse asiatischer Investoren an Europa nimmt zu
• Stärkere Lokalisierung multinationaler Unternehmen wahrscheinlich
• Zinserhöhungen führen wegen strukturellen Fachkräftemangels nicht zwingend zu höherer Arbeitslosigkeit

Konjunkturell sieht es für Europa und Deutschland etwas besser aus als noch Ende 2022: Aufgrund des bisher sehr warmen Winters hat sich die Situation an den Gas- und Strommärkten entspannt. Die Auftragslage für die europäische Industrie sollte sich etwas bessern, denn die Lagerbestände sind bei vielen Kunden ausgesprochen tief.

2023 dürfte auch das Wirtschaftswachstum in der Eurozone über dem Wachstum in den USA liegen, was ein kurzfristiger Vorteil für Europa ist. Mittel- bis längerfristig sollten die USA aber stärker wachsen als Europa, denn Europa hat unverändert ein strukturelles Wachstumsproblem, das nach 2023 wieder zum Tragen kommen dürfte. Es wird wohl auch 2023/24 nicht viel unternommen, um das Wachstum in Europa zu beschleunigen.

Aus fundamentaler Sicht (Gewinnentwicklung) sollten europäische Unternehmen, die in der Regel günstiger als ihre US-Peers sind, 2023 einen kurzfristigen Vorteil haben. Mit Blick auf 2024 erscheinen uns viele aktuelle Wachstumsprognosen zu optimistisch: In den aktuellen Prognosen sind die Verzögerungen aus der restriktiven Geldpolitik (ein Zinsschritt wirkt sich in der Regel erst mit einer Verzögerung von bis zu einem halben Jahr aus) noch nicht eingepreist. Aufgrund dieser Timelags könnte das globale Wachstum 2024 generell schlechter ausfallen als 2023.

Das Interesse asiatischer Investoren, mehr in Europa zu investieren, nimmt zu und stützt damit auch den Euro. Der Staatsfonds von Singapur, Temasek, sucht beispielsweise gezielt nach Investitionen in Unternehmen, die von den Bemühungen Europas profitieren, energieunabhängiger zu werden. Singapur bleibt auch in Bezug auf die erwartete wirtschaftliche Entwicklung eine aussichtreiche Region in Asien. Die schnelle Öffnung Chinas ist positiv für das chinesische sowie für das asiatische Wachstum zu bewerten, wirkt aber auch inflationär.

Mittel- bis längerfristig bleibt es für Unternehmen in Deutschland und Europa aber weiter schwierig. Vor allem Mittelständler dürften es schwer haben. Große, multinationale Unternehmen werden ihre Ressourcenallokation vermutlich noch stärker lokalisieren, das heißt vermehrt direkt in den wichtigsten Absatzregionen (USA/Asien) investieren. Bei Meetings/Konferenzen zeigen sich Unternehmen mit hohem US-Geschäft zuversichtlich (beziehungsweise sind froh, viel US-Geschäft zu haben), da die Auftragseingänge in den USA strukturell besser sind.

Im Vergleich zu anderen Zyklen könnte der Arbeitsmarkt in den USA länger angespannt bleiben als erwartet. Der Arbeitsmarkt in den USA (in Europa ähnliche Situation) könnte in diesem Zyklus der große Unterschied sein: Trotz der massiven Bremspolitik der Fed steigt die Arbeitslosenquote voraussichtlich nur gering an, da es in sehr vielen Sektoren ein strukturelles Arbeitskräftedefizit gibt. Viele Arbeitnehmer haben sich ferner zu sehr an Home-Office gewöhnt und stehen nur noch eingeschränkt zur Verfügung, in die Firma zu kommen (man spricht auch von einer Arbeitslosenquote adjustiert um „Working from home“ (WFH) von nur um die zwei Prozent in den USA). Die Preis-/Lohnverhandlungsmacht von entsprechend qualifizierten Arbeitnehmern ist hoch.

Monetär


• Kerninflation dürfte weniger stark fallen als Gesamtinflation
• Zentralbanken könnten höheres Zinsniveau stabilisieren
• EZB mit zu optimistischer Inflationsprognose
• Kein monetärer Rückenwind für die Börsen
• Anleihen insgesamt weiter negativ, aber ausgewählte hochwertige Anleihen mit attraktiver Verzinsung

Die Gesamtinflation sollte in den USA auch in den kommenden Monaten zurückgehen. Auch in der Eurozone dürfte die Gesamtinflation wegen der sinkenden Energiepreise zunächst fallen. Verbesserungen respektive Rückgänge der Inflationsrate nehmen den Druck von den Zentralbanken, weiterhin große Zinsschritte zu machen. Allerdings dürfte die Kerninflation aber weniger stark fallen als die Gesamtinflation. Inflationskomponenten wie Mieten oder auch Dienstleistungen dürften nicht so schnell zurückkommen. Unterscheidet man zwischen Gütern und Dienstleistungen, so ist festzustellen, dass die Inflation der Güterpreise sinkt. Die Service-Inflation dagegen steigt. Und diese ist eine viel größere Gefahr für das Erreichen des Inflationsziels.

Zum Ende des Zinserhöhungszyklus rechnen die Marktteilnehmer in den USA mit einer Spanne des Leitzinssatzes von 5,25 Prozent bis 5,50 Prozent. Die Fed könnte aber gezwungen sein, noch weiter zu gehen, auch wegen der anhaltend starken Arbeitsmarktberichte. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell sagte dazu, dass noch ein langer Weg zu gehen sei, um die Inflation abzukühlen („There is a significant way ahead to cool down inflation“). Unter den stimmberechtigten Fed-Mitgliedern scheint es einigen Dissens zu geben (Gleiches gilt wohl auch für die EZB): Manche Mitglieder hätten auch bei der letzten Sitzung gerne 50 Basispunkte gesehen. Ein Fed-Gouverneur glaubt auch, dass man 2024/25 über 5,5 Prozent liegen wird. Generell kann man sagen, dass eine so große Streuung hinsichtlich der Zinserwartungen 2023/24/25 historisch ungewöhnlich ist.

Zugleich steht das Komitee der stimmberechtigten Fed-Mitglieder auch vor einer Neubesetzung, beziehungsweise einige Personalien ändern sich. Es gibt noch keine Erfahrungswerte darüber, wie die neuen Mitglieder abstimmen werden. Möglich ist, dass sie tendenziell eher auf der Seite der Falken stehen: Die Inflation soll ja nicht gleich zu ihrem Problem werden. Insgesamt ist es nicht angebracht, hinsichtlich schneller Zinssenkungen allzu optimistisch zu sein. Fed und auch EZB werden voraussichtlich erst einmal versuchen, die Zinsen auf einem höheren Niveau zu stabilisieren, bevor über Zinssenkungsschritte nachgedacht wird.

In Europa wiederum erscheinen die Prognosen der Europäischen Zentralbank hinsichtlich der Inflationsentwicklung 2023 bis 2025 zu optimistisch: Bis Ende 2024 wieder Preisstabilität zu erreichen ist unwahrscheinlich.

Aus monetärer Sicht kam die globale Liquidität durch die expansive Politik der japanischen Notenbank bisher nicht so stark unter Druck wie befürchtet. Denkbar ist aber, dass der neue Gouverneur der Bank of Japan viel stärker mit Amerikanern und Europäern kooperieren wird und damit die BOJ deutlich weniger expansiv agieren wird.

In der zweiten Jahreshälfte könnte es zu einer erneuten Marktkorrektur kommen. Die Gründe dafür liegen im laufenden Prozess des Quantitative Tightening, in möglicherweise ausbleibenden Zinssenkungen respektive in Zinsen, die höher sind als erwartet. Aus monetärer Sicht ist für die Börsen in den USA und Europa daher kein Rückenwind zu erwarten.

Historisch war die Entwicklung der Geldmenge immer der beste Börseneinflussfaktor: Die US-Geldmenge M1 wächst aktuell nicht mehr, und die US-Überschuss-Liquidität ist negativ, das heißt es ist derzeit zu wenig überschüssiges Geld für Aktieninvestitionen im Wirtschaftskreislauf.

Für Anleihen bleibt das Sentiment negativ. Aber wir sehen Chancen, denn es sind weiterhin top eingestufte Anleihen (Beispiel AA oder A) mit attraktiver Verzinsung zu finden.

USD/EUR

• Euro profitiert von Kapitalflüssen in den Euroraum
• US-Dollar mittelfristig stärker

Der Euro könnte zunächst noch weitere Unterstützung erfahren, unter anderem durch bessere Wachstumsaussichten in der Eurozone 2023 und wieder zunehmende Kapitalflüsse bzw. Investitionen in den Euroraum. Mittelfristig gehen wir aber unverändert von einer US-Dollar-Stärke aus: Die USA haben mittelfristig ein besseres strukturelles Wachstum, sind weitgehend energieautark, technologisch in vielen Bereichen führend, deutlich weniger bürokratisch und haben den stärksten und tiefsten Kapitalmarkt.

Fokusthema: Banken und Versicherungen

Banken

Die deutlich gestiegenen Leitzinsen in EUR und USD unterstützen den Investmentcase der Banken in das Jahr 2023 hinein. Der Faktor des Deposit-Betas wird jedoch in den kommenden Quartalen zunehmend an Bedeutung gewinnen und das Tempo des Gewinnanstiegs bremsen. Kostensteigerungen im Rahmen des inflationären Umfelds werden den Sektor ebenfalls nachlaufend treffen. Positives Überraschungspotenzial besteht in einem sich positiv entwickelnden Kreditzyklus, der länger als erwartet anhält. Dieser beruht auf der einen Seite darauf, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher noch immer in einer sehr guten Verfassung befinden und kaum Arbeitslosigkeit fürchten müssen. Auf der anderen Seite haben viele Unternehmen die Niedrigzinsphase genutzt, um ihre Finanzierungsstruktur deutlich zu verlängern, so dass der Zinsdruck der gestiegenen Zinsen sich erst über einen deutlich längeren Zeitraum entfalten wird und kurzfristig stärkere Ausfälle kaum zu erwarten sind. Die Bilanzstruktur des Sektors ist zudem so solide wie vermutlich in keinem Abschwung zuvor, was signifikanten Shareholder-Return in den kommenden Jahren möglich machen wird.

Versicherungen

Der Versicherungssektor profitiert von dem Anstieg des Zinsniveaus erst mit signifikanter Verzögerung, bedingt durch die Duration der Kapitalanlageportfolios von vier bis fünf Jahren in der Schadenversicherung und etwa zehn Jahren in der Lebensversicherung. Vor allem die Schadenversicherung (Erst- und Rück-Versicherung) hat damit in den kommenden Jahren das Potenzial, von den gestiegenen Zinssätzen zu profitieren. Nach den starken Schadenjahren in der jüngeren Vergangenheit können sowohl in der Erst- wie auch in der Rückversicherung weiter signifikante Preissteigerungen durchgesetzt werden, und das auch in Segmenten, in denen die Inflation bereits ihr Hoch überschritten haben sollte (Auto und Bau, bedingt durch Lieferprobleme im vergangen Jahr). Ergänzend kommt in der Rückversicherung noch hinzu, dass das Risikokapital als preisstützender Faktor nur noch in deutlich verringertem Umfang zur Verfügung steht. Der Shareholder-Return über die Dividenden ist bei den Versicherungen ähnlich attraktiv wie im Bankensektor, wenn auch nicht ganz auf dem gleichen Niveau – dafür sollte der positive Effekt steigender Zinsen über einen längeren Zeitraum positiv zum Ergebnis beitragen.