Ölpreis: bald über 100 US-Dollar?
Der Preis für den wichtigsten Rohstoff der Welt steigt und steigt und steigt. Noch letzte Woche kostete ein Barrel der Nordseesorte Brent erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder mehr als 80 US-Dollar. Nicht wenige Analysten halten einen weiteren Anstieg für wahrscheinlich, auch der jüngste Rücksetzer irritiert da nicht. Was für einen weiteren Anstieg spricht. Und was dagegen.
Der Preis für den wichtigsten Rohstoff der Welt steigt und steigt und steigt. Noch letzte Woche kostete ein Barrel der Nordseesorte Brent erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder mehr als 80 US-Dollar. Nicht wenige Analysten halten einen weiteren Anstieg für wahrscheinlich, auch der jüngste Rücksetzer irritiert da nicht. Was für einen weiteren Anstieg spricht. Und was dagegen.
Seit Juni 2017 kennt der Ölpreis nur noch eine Richtung: die nach oben. Um fast 80 Prozent ist er seither angestiegen – oder anders ausgedrückt und die Nordseesorte Brent als Referenz angenommen – von 45,40 Dollar pro Barrel auf 80,38 Dollar geklettert. Mit der Aufkündigung des Iran-Atomabkommens am 8. Mai haben ihm die USA nochmals einen deutlichen Schub verpasst. Nun scheint sogar die 100-Dollar-Marke wieder im Bereich des Möglichen. Besonders spannend wird die Preisspekulation durch den jüngsten Rücksetzer. Holt der Rohölpreis nur einmal tief Luft auf dem Weg zur magischen 100 – oder geht ihm die Puste aus?
Das spricht für steigende Preise
Tatsächlich spricht derzeit einiges dafür, dass der Preis für das „Schwarze Gold“ noch weiter ansteigt. Ein Grund ist die weiterhin starke Weltkonjunktur. Die treibt auch die Erdölnachfrage an. Nicht umsonst gilt der wertvolle Rohstoff als „Schmiermittel“ der Weltwirtschaft. Diese erhöhte Nachfrage trifft derzeit zudem auf ein wieder deutlich knapperes Angebot. Die Öllagerbestände sind laut der der Internationalen Energieagentur zuletzt unter den Fünf-Jahres-Durchschnitt gesunken. Grund dafür sind zuvorderst die Förderbeschränkungen, die sich die OPEC gemeinsam mit Russland und neun weiteren Staaten seit 2017 selbst auferlegt hat, um ihre so wichtige Einnahmenquelle aus dem Preistief zu befreien.
Dass er nun allerdings derart in die Höhe schießt, liegt offenkundig an Donald Trumps Politik im Nahen Osten. Durch die Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran und die Wiedereinführung von weitreichenden Sanktionen gegen das Land destabilisiert Trump die ja ohnehin gern als „Pulverfass“ bezeichnete Region noch weiter. Vor allem auch, da er gleichzeitig mit Irans größtem Widersacher Saudi Arabien milliardenschwere Geschäfte abschließt, nicht zuletzt im Rüstungsbereich. Und auch Israel – ebenfalls kein Iran-Freund – stützte der Präsident mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zuletzt besonders öffentlichkeitswirksam. Neben dieser geopolitischen Unsicherheit, ist es aber natürlich auch die mit den Sanktionen gegen den Iran einhergehende Angebotsverknappung, die den Ölpreis steigen lässt. Dem Weltmarkt könnten so bis zu eine Million Barrel verloren gehen.
Gegenwärtig spielt dem Ölpreis zudem der schwache US-Dollar in die Karten. Für das Ausland wird Erdöl demzufolge günstiger. Eine steigende Nachfrage ist die Folge.
Das spricht gegen steigende Preise
Auch wenn die globale Konjunktur gegenwärtig noch auf Hochtouren läuft, zuletzt mehrten sich Anzeichen einer leichten Abkühlung. Hinzu kommt die steigende Inflation in den USA, im April lag jene um 2,5 Prozent höher als im Jahr zuvor. Das könnte die FED dazu bewegen, die Zinsen schneller anzuheben, was wiederum den US-Dollar aufwerten dürfte. Damit würde dem Ölpreis einer seiner derzeitigen Treiber wegfallen. Steigende Preise dürften mittelfristig zudem die Nachfrage nach Erdöl negativ beeinflussen.
Zu einem bedeutenden Faktor könnte aber vor allem und mal wieder die US-Fracking-Industrie werden. Durch die gestiegen Preise rentiert sich für viele Firmen die kostenintensive Schieferölförderung wieder. Damit dürfte mehr Erdöl auf den Weltmarkt gelangen.
Weiterhin hat Saudi-Arabien angekündigt bei Ausfällen durch den Iran einspringen zu wollen. Ganz bestimmt nicht, um die Ölpreise klein zu halten, vielmehr um den Iran zu schwächen. Aus politischen Gründen scheint es daher nicht unwahrscheinlich, dass Saudi-Arabien bei spürbar nachlassenden Exporten des Iran tatsächlich eingreift und selbst mehr Öl produziert.
Sollte man jetzt Öl-Aktien kaufen?
Es gibt also sowohl Argumente für steigende als auch für sinkende Ölpreise. Glaubt man den Analysten der US-Finanzinstitute Morgan Stanley und Bank of America dürften allerdings die für einen Ölpreisanstieg überwiegen. Morgan Stanley rechnet für das kommende Jahr inzwischen mit einem Preis von 85 Dollar je Barrel, die Bank of America hält sogar den Sprung auf 100 Dollar für möglich.
Das dürfte vor allem die Gewinne der Öl-Konzerne weiter antreiben. Bereits im Jahr 2017 konnten die Branchenriesen Shell, BP, Exxon Mobil, Chevron und Total ihren Gewinn im Vergleich zum Vorjahr auf insgesamt 53,6 Milliarden Dollar verdreifachen, rechnet das Handelsblatt vor. In diesem Jahr dürften den Ölkonzernen darüber hinaus freie Cashflows in Rekordhöhe blühen. Über Dividendenanhebungen und Aktienrückkaufprogramme könnten Aktionäre davon profitieren.
Selbst auf dem derzeitigen Ölpreis-Niveau verdienen die Öl-Konzerne also schon blendend. Die Kostensenkungen, die sie in Zeiten des billigen Öls in die Wege leiten mussten, scheinen sich jetzt bezahlt zu machen. Anleger quittierten dies bereits mit Zukäufen. Allein seit Mitte März hat der MSCI World Energy, der die größten Öl- und Gaskonzerne der Welt listet, um 16 Prozent zugelegt.
Eine Geldanlage in Öl-Aktien scheint damit auf den ersten Blick vielversprechend, Investoren sollten aber eines nicht vergessen: Die gegenwärtig hohen Preise haben ihren Ursprung in der Geopolitik und in einer aus der Not heraus eingeführten Förderkürzung der OPEC. Und wie lange letztere Bestand hat gilt als unsicher. Ohne sie jedenfalls herrschte immer noch ein klarer Angebotsüberhang. Käme dann langfristig noch der Weltwirtschaftsmotor ins Stottern, könnte es schnell auch wieder in die andere Richtung gehen.
Oliver Götz