Sieben Fragen zum Ölpreis
Schon seit einigen Wochen bewegt sich die Literanzeige beim Tanken schneller als der Preis in Euro – zumindest bei Dieselkraftstoffen. Doch die Freude über den gesunkenen Ölpreis ist mittlerweile nicht mehr ungetrübt. Denn an den Börsen sorgt der Preiskollaps für hohe Nervosität und sinkende Notierungen. Doch wie passt das zusammen? Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank, analysiert die Lage an den Weltmärkten.
Schon seit einigen Wochen bewegt sich die Literanzeige beim Tanken schneller als der Europreis – zumindest bei Dieselkraftstoffen. Doch die Freude über den gesunkenen Ölpreis ist mittlerweile nicht mehr ungetrübt. Denn an den Börsen sorgt der Preiskollaps für hohe Nervosität und sinkende Notierungen. Doch wie passt das zusammen? Ist ein niedriger Ölpreis nicht eigentlich ein Segen für die Weltwirtschaft? Schließlich entlastet er Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen und schafft damit Raum für Investitionen bzw. stärkeren Konsum. Und wie konnte es überhaupt zu diesem dramatischen Preisverfall kommen? Ein Blick auf die aktuelle Situation am Ölmarkt.
1.) Was bestimmt derzeit den Preis?
Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. So haben wir es im Grundkurs Volkswirtschaftslehre an der Universität gelernt. Man könnte daher schnell versucht sein, eine ausgeprägte Nachfrageschwäche für den deutlichen Ölpreisverfall verantwortlich zu machen. Schließlich werden insbesondere die Schwellenländer – und hier vor allem China – mit Argusaugen verfolgt. Von einer massiven Wachstumsverlangsamung ist da immer wieder die Rede. Doch schaut man sich die weltweite Energienachfrage an, gibt es hier kaum Auffälligkeiten. Sie wächst weiter moderat an – wie seit vielen Jahren prognostiziert. Eine deutliche Planabweichung, die massiv fallende Preise erklären könnte, ist also nicht auszumachen. Entsprechend scheinen die Probleme eher von der Angebotsseite zu kommen.
2.) Kriegt die OPEC die Lage in den Griff?
Aktuell wird deutlich mehr Öl gefördert als nachgefragt wird. Hauptgrund dafür ist die geringe Angebotsdisziplin der OPEC-Staaten. Fungierte das Kartell in der Vergangenheit immer wieder als Preisstabilisator und reagierte auf deutlich sinkende Preise mit ebenso drastischen Förderkürzungen, scheinen die OPEC-Staaten diesmal nicht bereit zu sein, den ersten Schritt zu tun. Insbesondere Saudi-Arabien hat ausreichend tiefe Taschen, um die aktuelle Preisschwäche noch einige Monate oder Quartale auszuhalten. Und in einigen OPEC-Staaten scheint derzeit eher eine Erhöhung der Fördermenge ins Kalkül gezogen werden, um Preiseinbußen wenigstens etwas kompensieren zu können. Ein Teufelskreis.
3.) Wie wirkt der Wegfall der Iran-Sanktionen?
Ein weiterer Faktor, der die Ölpreise drückt, ist der Wegfall der Iran-Sanktionen. Zwar muss der Iran viele seiner Anlagen erst einmal grundsanieren und auf den neuesten Stand bringen, trotzdem rechnen wir bereits zum Sommer hin mit deutlich steigenden Fördermengen. Damit wird das ohnehin schon bestehende Überangebot weiter vergrößert.
4.) Wie klappt das mit den Produktionskürzungen?
Auch die erhofften Produktionskürzungen von unrentablen Förderprojekten kommen nicht richtig in Gang. So hatte man insgeheim auf eine Insolvenzwelle US-amerikanischer Fracking-Betreiber gehofft. Diese ist auch tatsächlich in vollem Gange, gut 80 Betreiber haben sich mittlerweile zahlungsunfähig erklärt. Deutliche Förderkürzungen gehen damit aber nicht einher. So haben die insolventen Betreiber ihre Fördermenge gerade einmal um sieben Prozent reduziert. Hier verhindern die Besonderheiten des US-amerikanischen Insolvenzrechts, bei dem die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs oberste Priorität genießt, eine schnellere Anpassungsreaktion.
5.) Nehmen spekulative Geschäfte noch weiter zu?
Zusätzlich verschärft wurde der Preisverfall in den vergangenen Wochen auch durch spekulative Geschäfte. So haben viele Hedgefonds auf weiter fallende Ölpreise gesetzt und dadurch den Abwärtsdruck zusätzlich verschärft. Entsprechend wird die fundamental gerechtfertigte Preiskorrektur am aktuellen Rand deutlich überzeichnet.
6.) Wie geht es weiter?
Wir sehen Chancen, dass sich der Ölpreis in den kommenden Wochen fängt und etwas erholt. Denn der zusätzliche Druck durch spekulative Verkäufe sollte zunächst weichen. Eine nachhaltige Preiserholung kann aber erst dann einsetzen, wenn die OPEC ihre Hausaufgaben macht und zur Förderdisziplin zurückkehrt. Wann dies passiert, ist schwer zu prognostizieren. Der „Leidensdruck“ nimmt aber bei Ölpreisen um die 30 US-Dollar massiv zu, so dass wohl irgendwann in den kommenden Monaten mit entsprechenden Gegenmaßnahmen zu rechnen ist. Ein spürbar höherer Ölpreis bleibt uns aber wohl den Rest des Jahres weiter erspart. Denn aktuell sind die Lagerbestände zu hoch, als dass Produktionskürzungen allein den Preis schnell wieder in deutlich höhere Bahnen lenken können.
7.) Fluch oder Segen für die Weltwirtschaft?
Wer sich die Börsenentwicklung der letzten Wochen anschaut, kann schnell den Eindruck bekommen, dass ein niedriger Ölpreis Gift für die Weltwirtschaft ist. Doch das ist nicht richtig. Unsere Volkswirte gehen davon aus, dass der deutlich gesunkene Ölpreis eine Art kleines Konjunkturprogramm ist und die positiven Wachstumseffekte die Negativfaktoren (z.B. niedrigere Investitionen im energienahen Bereich) mehr als kompensieren. Warum reagieren die Märkte dann trotzdem so nervös? Im Wesentlichen ist es wohl die Angst vor den Zweitrundeneffekten, die sich aus einem niedrigen Ölpreis ergeben können. An erster Stelle sind da natürlich die massiven Haushaltsprobleme vieler ölexportierender Länder zu nennen.
Die hohen Defizite in Russland, Brasilien, Venezuela und einigen arabischen Ländern haben das Risiko einer Staatspleite deutlich vergrößert. Zudem beginnen einige Staaten ihr Tafelsilber zu veräußern. So verkaufen einige arabische Staatsfonds bereits seit einigen Wochen Aktienpositionen, um mit dem Verkaufserlös Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. Diese Abflüsse lasten dann aber wiederum auf den Kursen. An zweiter Stelle sorgt der Ölpreiskollaps für Nervosität bei den Banken. Viele haben in den vergangenen Jahren energienahe Projekte finanziert – und fürchten nun steigende Kreditausfallraten. Dies könnte angesichts steigender Kapitalanforderungen zu einer Welle von Kapitalmaßnahmen führen – und belastet entsprechend die Kurse der Banken.
Fazit: Eine Stabilisierung des Ölpreises tut not
Auch wenn ein niedriger Ölpreis in Summe weiterhin positiv für die Weltwirtschaft ist, hat die Dramatik des jüngsten Preisverfalls Ängste geschürt. Diese werden so lange am Markt spürbar bleiben, bis sich eine nachhaltige Stabilisierung des Ölpreises einstellt. Je früher die OPEC also zu etwas mehr Förderdisziplin zurückkehrt, desto besser. Denn selbst dann wären spürbar steigende Preise unwahrscheinlich. Tanken dürfte also auch in den kommenden Monaten weiter Spaß machen.