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Christine Lagarde und die Reise ins Ungewisse

Die EZB-Chefin hat lange gezögert. Jetzt leitet sie die Zinswende doch ein. Obwohl die Inflationsrate in der Eurozone davonläuft, vorerst aber nur mit angezogener Handbremse.

(Foto: Alexandros Michailidi / Shutterstock)

Die EZB-Chefin hat lange gezögert. Jetzt leitet sie die Zinswende doch ein. Obwohl die Inflationsrate in der Eurozone davonläuft, vorerst aber nur mit angezogener Handbremse.

In der Volkswirtschaft lässt sich der Leitzins in Abhängigkeit von Arbeitslosenrate und Inflation mit der sogenannten Taylor-Regel errechnen. In der Euro-Zone müsste er danach aktuell bei 7,4 Prozent liegen. Er liegt aber nicht einmal bei einem Prozent, sondern nach wie vor bei null Prozent.

Das soll sich nun ändern. Die ewig zögernde Christine Lagarde hat auf der EZB-Sitzung unter der Woche eine Leitzinserhöhung auf 0,25 Prozent für Juli angekündigt. Im September könnte dann ein weiterer Zinsschritt nach oben erfolgen, womöglich ein deutlicherer. Wie so oft in ihrer Amtszeit ließ die EZB-Chefin vieles erneut im Ungefähren. „Erwarten wir, dass die Zinserhöhung im Juli unmittelbare Auswirkungen auf die Inflation haben wird? Die Antwort lautet: Nein“, sagte Lagarde. „Es ist kein Schritt, es ist eine Reise.“

Die Reise beginnt nun. Nach elf Jahren Niedrigzinsphase könnte ein neues Zeitalter der Geldpolitik anbrechen. Doch wie genau die Reise aussehen soll, das erzählte Lagarde nicht. „Die EZB wird sicherstellen, dass die Inflation auf zwei Prozent sinkt“, sagte sie hingegen. Ein Satz, der alles bedeuten kann und dessen Glaubwürdigkeit mindestens in Frage steht. Schließlich gab sich Lagarde vor wenigen Monaten auch noch überzeugt davon, dass die steigenden Inflationsraten nur ein sehr kurzfristiges Phänomen seien und es keine geldpolitische Straffung brauche.

Getrieben von der Realität

Jetzt aber läuft der EZB auf einmal die Zeit davon. Im Mai markierte die Inflationsrate im Euro-Raum mit 8,1 Prozent ein Rekordhoch. Die EZB selbst hat ihre Inflationserwartungen deshalb nach oben geschraubt. Für das laufende Jahr erwarten die Notenbanker nun im Schnitt eine Teuerungsrate von 6,8 Prozent. Im März noch hatte man mit 5,1 Prozent deutlich weniger prognostiziert. 2023 soll die Inflationsrate dann im Schnitt noch bei 3,5 Prozent statt der bisher veranschlagten 2,1 Prozent liegen. Diese drastischen Prognoseanpassungen waren es auch, die den DAX zur Wochenmitte auf Talfahrt schickten. „Die Anpassung der Inflationserwartung hat die Börsen auf dem falschen Fuß erwischt“, sagte Thomas Altmann, Portfoliomanager bei  QC Partners.

Die mickrige Zinserhöhung für Juli, kann schließlich niemanden an der Börse verschreckt haben. Im Vergleich zu den USA und Großbritannien hat der Beschluss fast nur symbolischen Charakter. Die realwirtschaftliche Entwicklung jedenfalls dürfte der Geldpolitik der EZB weiter davonlaufen. Für den Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, kommt die Zinserhöhung zu spät und fällt zu niedrig aus. „Durch dieses Zögern riskiert sie, dass die Inflationserwartungen der Bürger weiter steigen und sich die hohe Inflation dauerhaft festsetzt.“ Viertel-Prozentpunkt-Schritte würde den aktuellen Herausforderungen mit Blick auf die Inflation nicht gerecht, so Krämer.

Ifo-Chef Clemens Fuest ist ähnlicher Meinung. „Es war nicht akzeptabel, dass die EZB bei einer Inflation von 8 Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihenkäufen festgehalten hat", so Fuest auf der Ifo-Jahresversammlung in München: „Die Geldpolitik ist zu spät dran, daran besteht kein Zweifel.“

Jetzt begibt sich Europas Geldpolitik also offenbar auf eine Reise. Sich dabei nur am Steuer festzuhalten, wird für Christine Lagarde auf Dauer kaum reichen.

OG

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