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Kluft zwischen Realität und Aktienmarkt wird immer größer

An den Börsen setzt sich der seit Wochen erkennbare Favoritenwechsel fort und könnte weiter für steigende Kurse sorgen. Die Risiken nehmen jedoch zu. Noch nie schien die Kluft zwischen Realität und Aktienmarkt so groß.

(Foto: Shutterstock)

An den Börsen setzt sich der seit Wochen erkennbare Favoritenwechsel fort und könnte weiter für steigende Kurse sorgen. Die Risiken nehmen jedoch zu. Noch nie schien die Kluft zwischen Realität und Aktienmarkt so groß.

Von Konstantin Oldenburger, Marktanalyst CMC Markets

Mit dem Blick auf die chaotischen Szenen vor und im Kapitol in Washington ist auch die Hoffnung verbunden, dass dieser Tag den finalen Höhepunkt einer ebenso oft chaotischen Präsidentschaft Trump darstellt und die USA nun etwas geordneter in die kommenden vier Jahr unter dem Demokraten Joe Biden gehen können. Und mit dem Jahreswechsel ist an der Börse auch die Hoffnung verbunden, dass sich die historisch wohl einmalige Turbulenz in diesem Jahr beruhigt und neben Wirtschaft und Gesellschaft auch die Finanzmärkte wieder den Weg zurück zu etwas mehr Normalität finden. Bleiben allerdings dürfte die Sorge, ob aus der rasanten Erholung vom Corona-Crash vor gut einem Jahr nicht eine gefährliche Blase entstanden ist, die irgendwann platzen muss und wird.
 
Große Kluft zwischen Aktienmarkt und Realität

Getrieben wurde die Rally im vergangenen Jahr vor allem von den großen Technologieunternehmen in den USA wie Apple, Amazon, Google, Facebook und Netflix, die vom "Stay-at-home"- und einem beschleunigten Digitalisierungstrend profitieren. Sie beendeten das Jahr 2020 mit Kursgewinnen, die teilweise zu historisch einmaligen Bewertungsniveaus geführt haben. Gegen Ende des Jahres hielten jedoch nicht nur diese Aktien die Rally am Laufen, sondern Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe übernahmen das Ruder an den Börsen. Das unterstreicht zwar die zunehmende Breite der Aufwärtsbewegung, aber die mittlerweile hohen Bewertungen auch der wachstumssensitiveren Aktien bleiben ein Grund zur Sorge. Denn wenn die Kluft zwischen rasanten Börsengewinnen und wirtschaftlich nur mäßigen Aussichten so groß geworden ist wie derzeit, wächst auch die Sorge vor einer größeren Korrektur, gar einem Crash. Und Risiken gibt es zuhauf, darunter eine wieder aufkeimende Virus-Pandemie, nicht genug Impfstoffdosen und politisch hochgesteckte Ziele eines neuen US-Präsidenten Biden, die nicht nur Jubel an einer von Trump verwöhnten Wall Street auslösen dürften.
 
Niedrige Zinsen kompensieren politische Risiken

Durch die gewonnene Stichwahl im US-Bundesstaat Georgia haben die Demokraten jetzt auch die volle Kontrolle über den Kongress. Das erhöht zwar einerseits die Wahrscheinlichkeit für größere fiskalische Stimulierungsmaßnahmen für die Wirtschaft, beinhaltet aber andererseits auch die Möglichkeit von Steuerreformen, die den Unternehmensgewinnen und damit den heiß gelaufenen Aktienkursen durchaus schaden könnten. Kompensiert werden dürften diese Risiken durch die noch auf Dauer ultraniedrigen Zinssätze, die die Attraktivität von Aktien gegenüber festverzinslichen Anlagen weiter hochhalten und den Investoren den Blick für die Risiken weiter vernebeln dürften.
 
Chance für Nachzügler

Da sich viele US-Technologiewerte auf Rekordniveaus befinden, rücken nun die Aktien von wirtschaftlich sensitiven Unternehmen, Rohstoffe und Unternehmen in Schwellenländern in den Fokus der Investoren, die noch weit unter ihren Höchstständen notieren. Mit dem Start der weltweiten Impfungen wird auch das Licht am Ende eines zwar noch sehr langen Pandemie-Tunnels immer sichtbarer, so dass gerade die Nachzügler-Aktien und -Sektoren des vergangenen Jahres die Rally im Börsenjahr 2021 am Laufen halten könnten.
 
Sollte sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzen und Korrekturen im Laufe des Jahres überstanden werden, könnten Value-Aktien, Aktien von Small Caps und Nicht-US-Aktien mögliche Profiteure einer Fortsetzung der Rally werden. Denn diese Märkte haben im Gegensatz zur Wall Street noch einige Luft nach oben. Schwellenländer, aber auch europäische Aktien wie zum Beispiel aus Frankreich oder Spanien könnten in diesem Jahr ihr Comeback erleben. Ein stärkeres globales Wachstum, weiter unterstützt durch geldpolitische und fiskalische Stimuli, dürfte diesen Aktien zu einer Outperformance verhelfen. Einiges von dieser Erwartung wurde allerdings auch schon in diese Kurse eingepreist. Deshalb bleiben eine gute Auswahl und das richtige Timing weiterhin elementar an der Börse.

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