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Die Schweiz ächzt unter einer hausgemachten Krise ihrer Großbank

Der Finanzplatz Schweiz lebte jahrzehntelang gut von seiner Verschwiegenheit und Diskretion. Das ist Vergangenheit, wie gerade die skandalträchtigen Vorgänge um die Credit Suisse (CS) zeigen. Immer wieder geraten Schweizer Geldinstitute international in die Schlagzeilen. Das kann weder Anlegern noch dem Geldstandort gefallen.

(Bild: Shutterstock)

Der Finanzplatz Schweiz lebte jahrzehntelang gut von seiner Verschwiegenheit und Diskretion. Das ist Vergangenheit, wie gerade die skandalträchtigen Vorgänge um die Credit Suisse (CS) zeigen. Immer wieder geraten Schweizer Geldinstitute international in die Schlagzeilen. Das kann weder Anlegern noch dem Geldstandort gefallen.

Am Zürcher Paradeplatz, nicht weit vom See und inmitten schicker Boutiquen, Restaurants und Hotels, residiert die ehemalige Schweizerische Kreditanstalt, gegründet 1856, heutzutage modisch-modern: Credit Suisse Group AG. Die zweitgrößte Bank der Eidgenossenschaft nach der UBS verfügt über alles, was den Standort auszeichnet – Verschwiegenheit, Würde, und superreiche Kunden, aber auch über Skandale fast jeder Schattierung. Und die haben sie viel gekostet und sind dazu geeignet, den gesamten Finanzplatz zu beschädigen

Fest steht inzwischen: Die Credit Suisse braucht Geld. Viel Geld. Derzeit ist von vier Milliarden Schweizer Franken die Rede, um die geplante und dringend notwendige Umstrukturierung der Bank zu finanzieren. Denn das stolze Geldhaus ist in Schwierigkeiten. Die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs prognostizierte gerade einen Fehlbetrag von bis zu acht Milliarden Franken bis 2024. Derartige Summen sind durch Verkäufe von Teilen der Bank allein nicht aufzubringen, so schnell zumindest nicht. Droht damit ausgerechnet von dem Hort der Sicherheit und Zuverlässigkeit, von der stabilen Schweiz die im Herzen Europas mit niedrigen Inflationsraten glänzt, ein Brandherd auszugehen, der die Bankenszene und womöglich andere Branchenweit über das Land hinaus nachhaltig erschüttern kann?

Die jüngste Vergangenheit der CS ist vor allem durch eines gekennzeichnet, was auf tiefsitzende Probleme schließen lässt: An der Spitze geht es zu wie im Taubenschlag. Ein Chef löst den anderen ab. Der erst seit Sommer amtierende deutsch-schweizerische Banker Ulrich Körner soll nun bis 27. Oktober einen Sanierungsplan vorlegen, unterstützt vom Verwaltungsratspräsidenten Axel Lehmann, ebenfalls erst seit 2022 auf diesem Posten. Credit Suisse hatte 2021 einen horrenden Milliardenverlust eingefahren, vor allem wegen Fehlspekulationen mit dem amerikanischen Hedgefonds Archegos Capital und Fonds aus dem Hause Greensill, mittlerweile insolvent.

Ebenfalls 2021 kamen eine ganze Reihe süffiger Details zu jahrelangen Verfehlungen ans Licht – es gab eine Spitzelaffäre im eigenen Haus, bei der der ehemalige Chef seine Mitarbeiter mit Detektiven überwachen ließ, die bulgarische Drogenmafia nutzte die CS zur Geldwäsche und die Bank blieb untätig; sie vermittelte Milliardenkredite an Staatsfirmen in Mozambik, das Geld versickerte auf unerklärliche Weise in dunklen Machenschaften. Und dann war da ein Bankmitarbeiter, der eigene Verluste deckte, indem er Gelder reicher Kunden für sich abzweigte. In der sich selbst harscher Kontrollen rühmenden Schweiz war das alles offenbar möglich. Noch immer wabern auch Vorwürfe und Enthüllungen durch die Geldwelt, was die CS-Konten russischer Oligarchen, arabischer und afrikanischer Potentaten und weiterer Milliardäre mit mehr oder weniger Blut an den Händen angeht. Was immer man aus einschlägigen Kriminalromanen über die Schweizer Bankenwelt zu wissen glaubte, bei der Credit Suisse stimmte es.

Auch 2022 wird es einen Milliardenverlust geben. Um zu belegen, dass man weiterhin über genügend Geldreserven verfügt, kaufte die Credit Suisse schon eigene Papiere für drei Milliarden Franken zurück – das verschaffte dem Börsenkurs kurzfristig etwas Auftrieb. Da die Bank allerdings gleichzeitig ihre wohl prestigeträchtigste Immobilie zum Verkauf stellt, nämlich das noble Zürcher Hotel Savoy Baur en Ville, 200 Jahre alt und etwa 400 Millionen Franken wert - kam der Gerüchtemarkt nicht zur Ruhe. Das Selbstbewusstsein der Schweizer in Bezug auf ihr Finanzwesen allerdings ficht dies alles nicht an.

„Wir haben kein Imageproblem. Wir haben ein Erfolgsproblem. Wenn Sie Erfolg haben, dann gibt es immer Leute, die das nicht so toll finden. Es gibt viele unterschiedliche Stimmen. Ich empfinde die Situation nicht als allzu dramatisch. Vielmehr stellt sich die Frage, wie es andere Finanzplätze mit der Transparenz halten. Wie geht die EU damit um, wie die USA? Wie viele russische Vermögen liegen dort? Das könnten die Medien mal fragen.“ Dies ist ein Zitat des Präsidenten der schweizerischen Bankenvereinigung, Marcel Rohner, vom September 2022. Rohner war mal Chef der benachbarten UBS, bevor er vom ehemaligen Chef der Credit Suisse abgelöst wurde. Man kennt sich eben gut in Zürich.  Im September versicherten alle Beteiligten, sämtliche Informationen zu den jüngsten CS-Skandalen zu kennen. Dann aber kam heraus, dass die amerikanische Justiz auch noch gegen die Credit Suisse ermittelt, wegen fortgesetzter Unterstützung von US-Bürgern bei der Steuervermeidung. Die Legende, dass nun alles offengelegt sei, stimmte also nicht.

Dazu passt so gar nicht das Streben nach Höherem am Zürcher oder Genfer Finanzplatz: „zur Sicherung seiner Reputation auf den globalen Märkten muss er gut reguliert sein. Der bisher in der Politik verfolgte Ansatz, internationale Empfehlungen sorgfältig in nationales Recht umzusetzen, falls zielführend auch mit erhöhten Anforderungen (Swiss Finish), hat sich bewährt“. So wirbt das Magazin „Schweizer Bank“ für den Finanzplatz, der zehn Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes ausmacht. 228 Banken gibt es im Land, zwei davon sind weltweit als systemrelevant eingestuft, die Credit Suisse ist eine davon.

Das Schweizer Außenministerium (EDA) lobt deswegen die eigene Finanzwirtschaft werbewirksam in aller Welt: „Die Schweiz setzt internationale Standards in Bezug auf Steuerfragen, die Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung sowie Finanzmarktstabilität um. Gleichzeitig schafft sie die rechtlichen und regulatorischen Voraussetzungen, die es dem Finanzplatz erlauben, qualitativ hochstehende Produkte und Dienstleistungen anzubieten und innovativ zu sein“, so die Eigenwerbung im Internet. Immer wieder allerdings sprechen die Fakten solchen Claims Hohn. Erst wenige Tage alt ist etwa der Vorwurf von Whistleblowern, der börsennotierte Schweizer Finanzdienstleister Leonteq sei durch „Wegsehen“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, bekannt hierzulande spätestens seit der Wirecard-Pleite, mit Geldwäsche und Steuerhinterziehung bislang durchgekommen. Die Vorwürfe, wie so oft: „… die eingesehenen Dokumente und Aufzeichnungen im Zusammenhang mit den Geschäften werfen Fragen über schwache Kontrollen, eine Kultur der Regelverletzung und eine schlechte Unternehmensführung bei Leonteq auf“, so die britische Financial Times über die ihr zugespielten Unterlagen. Swiss Finish? Fehlanzeige.

Bei früheren Skandalen konnten die Schweizer meist durch hohe Strafzahlungen das Schlimmste abwenden – etwa die Gefahr, auf die Liste weltweiter Kapitalflucht- und Steuerparadiese zu geraten. In diesen Tagen allerdings läßt die weltwirtschaftliche Lage keine großen Sprünge der Ertappten zu. Die Credit Suisse wird voraussichtlich nur mit weiteren Kapitalerhöhungen aus der Krise kommen - was den bisherigen Anteilseignern ihren Wert verwässern wird, weswegen der Börsenkurs der CS bereits auf immer neue Tiefstände, derzeit um die vier Franken, sinkt. Damit ergibt sich ein Teufelskreis: Je niedriger der Kurs, um so mehr neue Papiere müsste die Credit Suisse ausgeben, um das angestrebte Kapital einzunehmen, und um so mehr verringert sich der Wertanteil der Altaktionäre.

Die Situation kommentiert Johann Scholtz, Analyst beim Fondshaus Morningstar immerhin noch so: „Wir glauben nicht, dass die Credit Suisse von einer Insolvenz bedroht ist.“ Allerdings müsste sie Kapital aufnehmen, weil sie sonst ihre Kreditwürdigkeit verlieren könnte – was sie am Ende dann doch ins Wanken brächte. Doch Scholtz ist überzeugt: ein Desaster wie bei Lehman Brothers in der Finanzkrise vor 15 Jahren droht nicht. Die Banken seien weltweit besser ausgestattet mit höheren Kapitalquoten und für die Credit Suisse spreche, dass sie  auch Umsätze in Schweizer Franken erwirtschafte - neben dem US-Dollar eine der am besten performenden Währungen der Welt in diesem Jahr.

Reinhard Schlieker

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