Der ständige Umbruch
Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme am 1. August letzten Jahres räumte Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, ein, dass die großen Wettbewerber wie General Electric wesentlich ertragsreicher seien. Und genau daran müsse sich sein Konzern orientieren, lautete die Marschrichtung.
Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme am 1. August letzten Jahres räumte Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, ein, dass die großen Wettbewerber wie General Electric wesentlich ertragsreicher seien. Und genau daran müsse sich sein Konzern orientieren, lautete die Marschrichtung.
Heute, ein dreiviertel Jahr nach Kaesers Amtsübernahme, droht sich der Abstand zwischen den Technikreisen aus good pld Europe und dem US-Giganten weiter zu vergrößern. Zum Leidwesen von Siemens scheint GE im Ringen um die französische Industrie-Ikone Alstom die Nase vorne zu haben. So gab der US-amerikanische Mischkonzern ein Kaufangebot für die Energietechnik-Sparte in Höhe von 12,35 Milliarden Euro ab, das laut den Franzosen bis Ende Mai geprüft werde. Obwohl die Chancen auf eine Übernahme von Alstoms größtem Geschäftsfeld mitsamt 65.000 Beschäftigten für den 1892 gegründeten Konzern gut stehen, ist Siemens noch nicht aus dem Rennen. Die Münchner können in den nächsten vier Wochen eine Gegenofferte zum Angebot aus Übersee vorlegen.
Das Siemens-Eigenwächs Kaeser, dessen amtlicher Vorname eigentlich Josef ist, steckt in der Zwickmühle. Einerseits darf der 56-jährige zweifache Familienvater aus Arnbruck, einem Dorf im Bayerischen Wald, den Weltkonzern GE nicht weiter davonmarschieren lassen – der Abstand des Umsatzes von GE zu Siemens könnte nach einer Übernahme von Alstoms auf 76 Milliarden Euro anwachsen –, andererseits gilt es, die Abwehrschlacht nicht zu teuer werden zu lassen. Durch eine Übernahme der Alstom-Energiesparte könnte der deutsche Technologiekonzern zum Branchenführer im Geschäft mit grüner Wasserkraft werden. Während Siemens, derzeit in 190 Ländern vertreten, besondere Kompetenzen im Bereich der Gasturbienen hat, sind die Franzosen bei Dampfturbinen herausragend stark. Von dieser Qualifikation könnten die Münchner enorm profitieren und sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Für die Sparte Schienenverkehr schlägt Kaeser Alstom ein Gemeinschaftsunternehmen vor. Siemens stellt den ICE her, Alstom den TGV. Offenbar strebt Siemens an dem Joint Venture aber nur eine Minderheitsposition an.
Die Siemens-Anleger sind allerdings, was den möglichen Alstom-Deal angeht, in zwei Lager geteilt. Viele halten den Preis für zu teuer, zumal das französische Unternehmen nicht sonderlich profitabel ist. Andere hingegen sehen die Synergie-und Wachstumspotentiale. Zunächst zeigte sich die Börse erschrocken, das Siemens-Papier brach ein. Inzwischen hat sich der Aktienkurs aber wieder erholt. Berichte über ein mögliches Angebot von Siemens an Alstom in Form eines Tausches der Transportsparte gegen das Energiegeschäft der Franzosen plus einen Barausgleich seien gute Nachrichten für die Alstom-Aktionäre, schrieb J.P.Morgan-Analyst Andreas Willi in einer Studie. Für Siemens könnte so ein Deal zur Ergebnissteigerung im hohen einstelligen Bereich beitragen. Dies sei in einer Welt der Niedrigzinsen zwar nicht der wichtigste Beurteilungsmaßstab, es könnte aber reichen, um die Aktie zu stützen. Morgan Stanley bewertet die Risiken der Integration des neuen Geschäftsfelds als beträchtlich.
Das ganz große Rad in der Energiebranche
Neben Alstom bemüht sich der deutsche Traditionskonzern um den Kauf von Teilen der britischen Rolls-Royce Holding. Durch die Akquisition des Gasturbinen- und Kompressorengeschäfts von Europas größtem Flugzeugtriebwerkhersteller plant Siemens den Ausbau seiner Energiegesparte. Das Unternehmen, das außer dem gleichlautenden Namen nichts mit dem Luxusauto-Hersteller zu tun hat, stellt kleinere Turbinen mit einer von Flugzeugtriebwerken abgeleiteten Technologie her, die in der Öl- und Gasindustrie eingesetzt werden. Diese Art Turbinen hatte Siemens bisher nicht im Portfolio. Allerdings ist Siemens nicht nur um Neuanwerbungen bemüht, sondern auch gewillt Unternehmensteile zu veräußern. Auf der Liste der potentiellen Verkäufe stehen nach Ansicht von Analysten das Hörgerätegeschäft oder die Mikrobiologie. Der größte Einschnitt wäre eine Trennung von der gesamten Gesundheitssparte, was allerdings in Hinblick auf de Ertragskraft des Bereichs als unwahrscheinlich gilt.
Angesichts der für kommende Woche geplante Strategievorstellung, in die viele Aktionäre hohe Erwartungen- gerade in Bezug auf Wachstumsmöglichkeiten bei Siemens-stecken, wäre es für Kaeser wichtig, aussichtsreiche Verhandlungsstände bzw. erfolgreiche Ergebnisse zu präsentieren. Die Deutsche Bank verleiht indes Vorschusslorbeeren und rät zum Kauf des Papiers. Dabei setzt sie das Kursziel auf 110 Euro. Das Interesse des Industriekonzerns an seinem Konkurrenten sei ein klares Zeichen, dass Siemens das Energiegeschäft ausbauen wolle, auch wenn der genaue Portfoliozuschnitt in diesem Bereich vermutlich noch unklar sei, schrieb Analyst Martin Wilkie in einer Studie. Bei der für Anfang Mai geplanten Strategievorstellung gehe es daher auch darum, an welcher Stelle der Konzern sein Portfolio dafür verkleinern wolle.
Der Experte erwartet zudem Angaben zu Aktienrückkäufen und den mittelfristigen Zielen. Die DZ Bank hat die Einstufung für Siemens anlässlich des Übernahmepokers mit General Electric (GE) um Alstom auf Kaufen mit einem fairen Wert von 115 Euro belassen. Ein Kauf der Alstom-Energietechniksparte wäre für Siemens strategisch sinnvoll und finanzierbar, schrieb Analyst Jasko Terzic in einer Studie. Hierbei ziehe er einen Tausch des Segments gegen die Bahntechnik-Aktivitäten von Siemens einer Alstom-Komplettübernahme vor. Positiv wertete er, dass die Münchener auf die Unterstützung der französischen Regierung bauen können.
Aktuell stehen große Umbaumaßnahmen im Gefüge des Konzerns an. So wird die von Vorgänger Peter Löscher eingeführte Struktur mit vier großen Geschäftssäulen, auch als Sektoren bezeichnet, abgeschafft. Damit fällt eine Entscheidungs- und Verwaltungsebene mit mehreren Tausend Angestellten weg. Die kleineren Geschäftseinheiten (Divisionen) rücken näher an den Vorstand und bekommen mehr Entscheidungsfreiheit. Kaeser erhofft sich von den Veränderungen eine Verschlankung des Konzerns, sowie einen Zugewinn von Dynamik. Da sich Siemens inzwischen von zahlreichen Aktivitäten getrennt hat, ist die Neuaufstellung für Kaeser leichter umsetzbar. Allerdings haben viele Anleger durch die zahlreichen Umstrukturierungsaktionen immer stärker das Gefühl, der Konzern sei allen voran mit sich selbst beschäftigt. Man darf also gespannt sein, ob es Kaeser am 7. Mai gelingt, die Aktionäre zufriedenzustellen.