Der Wirecard-Wahnsinn: Eine Aktie fasziniert Deutschland
Seit langem einmal wieder scheint eine Aktie das ganze Land zu verzaubern. Oder zumindest seine Anleger. In beinahe schon gewohnter Regelmäßigkeit folgt ein Kursrekord auf den nächsten, unter Analysten jagt eine Zielanhebung die andere. Die logische Folge: Am 24. September steigt Wirecard in den Dax auf. Die Commerzbank dagegen muss gehen. Das klingt nach Zeitenwende. Doch wie weit kann die Aktie noch steigen? Oder anders herum gefragt: Wie weit ist es noch bis zur Blase?
Seit langem einmal wieder scheint eine Aktie das ganze Land zu verzaubern. Oder zumindest seine Anleger. In beinahe schon gewohnter Regelmäßigkeit folgt ein Kursrekord auf den nächsten, unter Analysten jagt eine Zielanhebung die andere. Die logische Folge: Am 24. September steigt Wirecard in den Dax auf. Die Commerzbank dagegen muss gehen. Das klingt nach Zeitenwende. Doch wie weit kann die Aktie noch steigen? Oder anders herum gefragt: Wie weit ist es noch bis zur Blase?
Alles begann als kleines Start-Up 1999 in Aschheim, einem Münchner Vorort. Und damit zu einer Zeit, in der Online-Shopping noch Zukunftsvision war. Mobiles Bezahlen sowieso. Die InfoGenieAG, wie Wirecard damals noch hieß, war kaum jemandem ein Begriff. Noch weniger ihr Geschäftsmodell, was damals – zugegeben – auch ein mindestens undurchsichtiges war. So soll das Unternehmen zu Beginn sein Geld unter anderem mit der Zahlungsabwicklung von Glücksspiel- und Pornowebseiten verdient haben. Wohl auch aufgrund dieser etwas „schmutzigeren“ Vergangenheit wurde Wirecard eine Zeit lang immer wieder einmal der Geldwäsche verdächtigt, konnte am Ende jedoch alle Vorwürfe von sich weisen.
Inzwischen sind diese Zeiten vorüber. Auf Zockerportale und Sexseiten folgten die ganz großen Konzerne. Ob nun die Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard oder Tech-Giganten wie Google, Apple, Alibaba und Tencent, Wirecard arbeitet mit all ihnen zusammen. Mal mehr, mal weniger, insgesamt aber mit tausenden Firmen. Weltweit und auf allen Kontinenten. Längst sind die Aschheimer zu Deutschlands Vorzeigeunternehmen im Tech-Sektor geworden, darüber hinaus zum wertvollsten Finanzdienstleister des Landes. Und peu à peu zum Börsenliebling nicht nur hiesiger Anleger.
Kein Wunder. Innerhalb von zehn Jahren ist der Kurs der Wirecard-Aktie um sagenhafte 2.850 Prozent gestiegen. Mit Blick auf die letzten fünf Jahre steht ein Plus von 650 Prozent zu Buche. Und alleine 2018 ging es für das Papier schon wieder um über 100 Prozent nach oben. Auf 191 Euro um genau zu sein.
Tech-Fieber in Deutschland
Deutschlands Börsen- und Finanzwelt scheint im Tech-Fieber. Und da das Angebot an erfolgreichen Firmen dieses Sektors hierzulande – vorsichtig ausgedrückt – rar ist, ist des Fiebers Ursache und Antrieb beinahe ausschließlich Wirecard. 23 Milliarden Euro ist das ehemalige Start-Up inzwischen an der Börse wert. Mehr als die Deutsche Bank und fast doppelt so viel wie die Commerzbank, was – wie die Deutsche Börse jüngst beschloss – am 24. September zu deren Abstieg aus und Wirecards Aufstieg in den Dax führt. Das „kleine“ Wirecard mit seinen rund 4.500 Mitarbeitern und dem Sitz in einem nach wie vor vergleichsweise unscheinbaren Aschheimer Betonklotz verabschiedet die „große“ Commerzbank mit ihren fast 50.000 Angestellten und einem glitzernden Frankfurter Wolkenkratzer als Zuhause aus Deutschlands Leitindex. Für Deutschlands zweitgrößtes Geldhaus dürfte dies einer Schmach gleichkommen, für Wirecard ist es der vorläufige Höhepunkt eines kometenhaften Aufstiegs.
Dabei machen sie bei Wirecard eigentlich gar nichts Spektakuläres. Sie wickeln einfach nur elektronische Zahlungsvorgänge ab. Doch genau die werden immer mehr. Online-Shopping und Mobile Payment boomen. Vor allem in den USA, China und Südostasien, aber auch in Europa und Deutschland kaufen immer mehr Menschen online ein, bezahlen immer öfter mit Kreditkarte oder dem Smartphone. Und Wirecard verdient via Gebühren an jeder Transaktion mit. Die Aschheimer versichern über eine eigene Bank dem Verkäufer die Zahlung. Damit schaltet sich das Unternehmen praktisch zwischen Kreditkartenanbieter oder mobilen Bezahldienst und den jeweiligen Händler.
Der Erfolg ist riesig. Im ersten Halbjahr 2018 stiegen die Zahlungen, die über Wirecard abgewickelt wurden, erneut kräftig an. Ihr Gesamtwert: 56 Milliarden Euro. Der Konzerngewinn legte im zweiten Quartal um 47 Prozent auf 82 Millionen Euro zu. Für das Gesamtjahr rechnet Vorstandschef Markus Braun mit einem Ebitda von bis zu 560 Millionen Euro. Der Umsatz soll sich bis 2020 auf rund drei Milliarden Euro verdoppeln.
Teuerste Dax-Aktie
Riesig allerdings sind inzwischen auch die Erwartungen. Das KGV der Wirecard-Aktie liegt inzwischen bei 60. Für deutsche börsennotierte Unternehmen untypisch hoch. Selbst wenn 2020 das Jahresgewinnziel von einer Milliarde Euro erreicht werden sollte, stünde es bei unverändertem Kurs immer noch bei 23. Für den Moment ist Wirecard zudem mit dem 14-fachen seines Eigenkapitals in Höhe von 1,7 Milliarden Euro bewertet.
Wie weit also kann die Aktie überhaupt noch steigen? Schließlich dürfte auch die steigende Zahl an Wettbewerbern kritisch zu sehen sein. Das Wirecard-Geschäftsmodell schließlich scheint nicht einmalig. Ob nun Ayden, Paypal oder Worldpay, es mangelt nicht an starker Konkurrenz. Im Zuge dessen könnten auf Dauer die Gebühren sinken und damit die Margen.
Genau das aber darf der deutschen Tech-Hoffnung nicht passieren. Ebenso wenig wie ein sich verlangsamendes Umsatzwachstum. Doch auch das scheint nicht ausgeschlossen. Rund die Hälfte des jüngsten Umsatzanstieges erzielte Wirecard durch Zukäufe und damit nicht aus der so wichtigen „eigenen Kraft“.
Analysten jedoch sind mehrheitlich guter Dinge. Exane BNP Paribas-Analyst Alexandre Faure beispielswiese hob sein Kursziel erst vor kurzem von 175 auf 265 Euro an. Die Aktien von Zahlungsabwicklern erschienen nach den Kursrallys hoch bewertet, doch sowohl deren Innovationskraft als auch die Marktchancen versprächen noch für lange Zeit ein hohes Wachstumspotenzial, schrieb er in einer Studie. Innerhalb der starken Branche ist Wirecard für Berenberg-Analystin Tammy Qiu zudem der „Top-Pick“. Mit dem Fokus auf Schwellenländer und dem Neugeschäft mit Banken als Treiber wachse das Unternehmen stärker als die Konkurrenz. Insgesamt raten 82 Analysten zum Kauf der Wirecard-Aktie, 14 dazu sie zu halten, nur einer würde verkaufen.
Für den Moment also sieht es gut aus. Sowohl für das Unternehmen als auch für seine Aktionäre. Der Aufstieg in Deutschlands Leitindex könnte darüber hinaus zum zusätzlichen Treiber werden. Doch je mehr Wirecard an den Märkten zugetraut wird, desto weniger dürfen sie es sich in Aschheim erlauben nachzulassen. Und genau das kann gefährlich werden, sollte auf einmal die kurzfristige Anlegerbefriedigung wichtiger werden als gesundes, langfristig orientiertes Wachstum. Eines jedenfalls dürfte ziemlich sicher sein: Wirecard wird wohl weiter faszinieren.