„Die Soziale Marktwirtschaft muss eine europäische Idee werden“
Wohin entwickelt sich die digital-ökologische Soziale Marktwirtschaft? Und welche Rolle sollte der Staat spielen bei der Umgestaltung der Wirtschaft nicht zuletzt in Richtung mehr Nachhaltigkeit?
Wohin entwickelt sich die digital-ökologische Soziale Marktwirtschaft? Und welche Rolle sollte der Staat spielen bei der Umgestaltung der Wirtschaft nicht zuletzt in Richtung mehr Nachhaltigkeit?
Veränderung ist für die soziale Marktwirtschaft ein Dauerzustand. Aber noch nie gab es so hohen Transformationsdruck wie derzeit. Auch hier gilt der aktuell oft bemühte Begriff „Zeitenwende“: Die Digitale Revolution ist noch längst nicht abgeschlossen. Firmen leiden unter Fachkräftemangel und der Wandel zu nachhaltigerem Wirtschaften ist eine hochkomplexe Management-Aufgabe. Wie soll die digital-ökologische soziale Marktwirtschaft der Zukunft also aussehen? Um dieser Frage ging es in einer der Gesprächsrunden auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee.
Neben der Frage, wie unsere Art zu Wirtschaften nachhaltiger gestaltet werden kann, ging es vor allem um Werte: Mit wem „dürfen“ deutsche Unternehmen guten Gewissens Geschäfte machen? Nur mit liberalen Demokratien oder auch mit autokratisch regierten Ländern? Angesichts des Krieges in der Ukraine und der Abhängigkeit von China hochaktuelle Fragen.
Die Bestsellerautorin und Multi-Aufsichtsrätin Janina Kugel plädierte für weniger Scheinheiligkeit bei der Frage, ob man sich aus bestimmten Märkten zurückziehen soll, auch wenn es hierzulande Arbeitsplätze kostet: „Diese Diskussion wird nicht ehrlich geführt.“ Robert Mayr, Vorstandschef von Datev, schlussfolgert, dass der europäische Binnenmarkt stärker aktiviert werden soll, damit die Abhängigkeit von China tendenziell sinkt. „Die Marktwirtschaft muss eine europäische Idee werden.“ Die wesentliche Rolle der sozialen Marktwirtschaft bleibe dreigeteilt: Sie sei für Effizienz zuständig und sozialen Ausgleich und sie solle die Möglichkeit zur Teilhabe aller möglich machen.
An diesem Punkt fragte Frank Walthes, Vorstandsvorsitzender der Versicherungskammer Bayern: „Wie schaffen wir das während der ökologischen Transformation?“ Janina Kugel betonte: „Es geht nicht immer nur mit Freiwilligkeit. Es gibt bei ESG noch viel Greenwashing. Zu glauben, dass das in den bestehenden Systemen klappt, würde ich in Frage stellen.“ Der Preis könne durchaus ein Impuls für mehr Nachhaltigkeit sein.
Hier waren sich alle einig, dass es weitaus mehr braucht für die Wende, nämlich die entsprechende Haltung auf allen Ebenen bis hin zum Verbraucher. Der Staat könne und dürfe nicht alles vorgeben. Walthes setzt auf kluge Abwägung: „Der Staat soll den Ordnungsrahmen setzen, aber nicht prozesspolitisch eingreifen.“ Dem Bürger müsse man die Dringlichkeit deutlich machen: „Da bedarf es Informationen und Anreize zum Beispiel über das Steuersystem – anstatt Subventionen.“
Christoph Winterhalter, Vorstandvorsitzender des DIN, ergänzte: „Es braucht Spielregeln, eine Regulatorik, mit der die Wirtschaft umgehen kann.“ Und mit solchen Situationen hat die Soziale Marktwirtschaft ja auch reichlich Erfahrung, denn die Normung gebe seit mehr als 100 Jahren vor, was die Wirtschaft zu leisten habe. „Der Staat kann Vorgaben machen, aber die Wirtschaft muss es ausgestalten.“
Datev-Chef Mayr zog bei der Frage der Regulierung einen Vergleich mit der Datenschutzgrundverordnung: „Unternehmen haben bei der Einführung der DSGVO gestöhnt und der Aufwand war auch groß. Aber: Wenn man sich heute die verschiedenen Wirtschaftsräume ansieht, da kann sich Europa als Wirtschaftsraum gegenüber USA und China inzwischen sehr positiv abheben.“ Entsprechend könne die EU auch bei der Nachhaltigkeit eine Führungsrolle in der Welt einnehmen.
Dass nachhaltiges Verhalten die Produktivität nicht schmälern muss, habe sich in der Corona-Pandemie gezeigt, findet Mayr: „Homeoffice hat im Lockdown funktioniert, weil wir gezwungen waren, unser Verhalten zu verändern.“ So hätten wir in den vergangenen zwei Jahren gesehen, dass es einen enormen Effizienzsprung gegeben habe. Und genau hier könnte eine weitere Triebfeder der „neuen“ Sozialen Marktwirtschaft liegen: Die neue Art und Weise, wie wir Arbeit gestalten. „Nun sollte jede und jeder selbst entscheiden, wie er die freiwerdenden Ressourcen verwendet: Reinvestieren in den Job oder das Unternehmen, oder fürs Private.“
Denn der Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss sich nicht nur wegen steigender ESG-Anforderungen ändern, sondern auch aufgrund des Mangels an Arbeitskräften auf allen Ebenen. Zur sozialen Marktwirtschaft moderner Prägung gehöre mehr denn je, dass Unternehmen für sich einen Sinn definieren: „Natürlich muss jedes Unternehmen Wertschöpfung betreiben. Aber die Leute verlangen nach einem Purpose. Man muss eine gewisse Work-Life-Balance erreichen, um neue gute Mitarbeiter zu gewinnen“, sagte DIN-Chef Winterhaller. Die neue Anspruchshaltung vieler Mitarbeitenden verändere auch die Art, wie wir Wohlstand beschreiben: Dieser sollte individuell betrachtet und nicht mehr eindimensional über finanzielle Sicherheit definiert werden.
wmg