Das neue Prinzip „T+1“ beim Handel mit US-Aktien

In der Verkürzung der sogenannten Settlement-Risiken im Wertpapierhandel mit nordamerikanischen Aktien steckt auch für deutsche Broker und Vermögensverwalter eine immense Veränderung.
Von Gastautor Hristo Dinchev, CEO von AQX Technologies.
"Sell in May and go away!" Der langjährige Börsen-Tipp wäre für deutsche Vermögensverwalter und Broker in diesem Jahr grundverkehrt. Wenn er denn überhaupt einmal generelle Gültigkeit gehabt haben sollte. Denn im Mai dieses Jahres steht für die Broker und Co., die auch auf dem nordamerikanischen Markt präsent sind, eine tiefgreifende Veränderung an. Eine, die all ihre Präsenz und Konzentration erfordert und die zudem auch die hiesigen Kundinnen und Kunden der Finanzdienstleister betrifft.
50 Prozent schneller zur US-Aktie oder zum US-ETF
Und darum geht es im Detail: Die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC führt Ende Mai 2024 eine Verkürzung der Settlement-Zyklen im Wertpapierhandel ein – statt wie bisher „T+2“ heißt es dann „T+1“ ein. Das bedeutet, dass künftig alle Geschäfte am Tag nach dem Trade in den Büchern erledigt sein müssen, die Frist verkürzt sich also um einen ganzen Tag oder 50 Prozent. Bestimmte Geschäfte, für deren Abwicklung man heute noch bis T+2 Zeit hat, müssen künftig ein Tag früher, nämlich am T+1 abgewickelt werden. Diese Orders werden damit künftig am Handelstag ausgeführt, am Handelstag bestätigt und am Tag darauf abgewickelt.
Diese Umstellung betrifft nicht nur den amerikanischen Markt, sondern alle internationalen Finanzakteure, einschließlich deutscher Vermögensverwalter und Broker. Die Verkürzung der Abwicklungsfrist nach dem Kauf, Verkauf oder der Leihe eines Wertpapiers von zwei auf einen Tag stellt eine enorme Herausforderung dar. Doch es ist auch eine Chance, die Effizienz und Reaktionsfähigkeit im Finanzsektor zu steigern.
Der Wechsel zu T+1 hat weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Finanzprodukte, insbesondere auf börsennotierte Indexfonds (ETFs), die Wertpapierleihe und aktiv gemanagte Fonds. Die verkürzte Frist erhöht den Druck auf alle Marktakteure, ihre internen Prozesse und Systeme anzupassen, besonders für diejenigen mit Beteiligung am nordamerikanischen Markt. Deutsche Vermögensverwalter und Wertpapierhändler stehen vor der zusätzlichen Herausforderung der Zeitverschiebung, die die Anpassung an die neuen US-Marktzeiten erschwert.
Trotz der Herausforderungen bietet T+1 auch Vorteile – Vorteile, von denen vor allem die privaten Investorinnen und Investoren profitieren, die auch aus Deutschland heraus etwa Aufträge zum Kauf oder Verkauf von US-Aktien erteilen. Die Verkürzung der Abwicklungszeit reduziert Abwicklungsrisiken und die Anzahl der Fehlschläge („Fails“) bei Transaktionen.
Der Schlüssel zur Anpassung lautet: Automatisierung
Doch einfach umstellen von T+2 auf T+1 ist nicht. Erforderlich sind immense technologische Schritte und regelrechte Quantensprünge bei den Abwicklungsprozessen.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Automatisierung. Um den Übergang zu meistern, müssen deutsche Vermögensverwalter und Broker unverzüglich handeln. Der Frühling steht vor der Tür – bis zur Umstellung im Mai ist es also nicht mehr lange Zeit. Die zentrale Aufgabe besteht darin, interne Prozesse und Systeme zu überprüfen und anzupassen. Dies umfasst nicht nur technische Upgrades, sondern auch eine strategische Neuausrichtung, um mit den veränderten Marktbedingungen Schritt zu halten. Die Implementierung automatisierter Lösungen ist dabei unerlässlich, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Fazit
Die Einführung von T+1 im US-Wertpapierhandel ist mehr als eine regulatorische Anforderung: Sie ist ein Weckruf für die globale Finanzindustrie, insbesondere für manche deutschen Finanzdienstleister, die immer noch Schwierigkeiten haben, mit der notwendigen Digitalisierung und Automatisierung in der Branche Schritt zu halten. Die Umstellung von T+2 auf T+1 erfordert eine schnelle Anpassung und Modernisierung, bietet aber auch die Chance, effizienter und reaktionsfähiger zu werden. Investorinenen und Investoren profitieren ab Mai von noch besseren Handelsmöglichkeiten mit US-Papieren. Sie sollten zudem gut beobachten, welche Broker bei der Umstellung vornweggehen – und welche Probleme haben. Eine Abstimmung mit den Füßen hat noch niemals geschadet …