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Bayer und das Monsanto-Chaos: Wie ernst ist die Lage wirklich?

Bayer verliert den nächsten Glyphosat-Prozess. Ein Gericht in Kalifornien verdonnert die Leverkusener zu zwei Milliarden Euro Strafe. Die Aktie fällt auf ihren tiefsten Stand seit 2012. Einer der ehemals wertvollsten deutschen Konzerne steht vor einem Scherbenhaufen. Doch es gibt Hoffnung.

BÖRSE am Sonntag

Bayer verliert den nächsten Glyphosat-Prozess. Ein Gericht in Kalifornien verdonnert die Leverkusener zu zwei Milliarden Euro Strafe. Die Aktie fällt auf ihren tiefsten Stand seit 2012. Einer der ehemals wertvollsten deutschen Konzerne steht vor einem Scherbenhaufen. Doch es gibt Hoffnung. 

Die Unternehmensgeschichte von Bayer misst inzwischen stolze 156 Jahre. Der Leverkusener Konzern war einst Mitglied der Deutschland AG, ist mit rund 117.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Bundesrepublik und dazu eines der Aushängeschilder deutscher Innovationskraft und Exportstärke. Inzwischen jedoch redet darüber kaum noch jemand. Und am Rhein müssen sie sich womöglich bald Sorgen darum machen, nicht selbst Geschichte zu werden.

Dabei hatte man seiner Geschichte am 14. September 2016 doch nur ein weiteres großes und erfolgreiches Kapitel hinzufügen wollen. Die Konzernmarke Bayer nochmal ein Stück globaler, einflussreicher, mächtiger machen wollen. Als an diesem Septembertag der US-Konzern Monsanto einer Übernahme zustimmte, eineinhalb Jahre später, am 21. März 2018, die EU unter Auflagen ihr Wettbewerbs-OK gab und am 7. Juni 2018 der Kauf des Saatgut- und Pflanzenschutzriesen für die aus deutscher Sicht Rekord-Akquisitions-Summe von 63 Milliarden US-Dollar endgültig unter Dach und Fach war, dürften sie bei Bayer noch gelächelt haben. Heute – zweieinhalb Jahre nach Monsantos Zusage - lächelt kaum noch jemand. Wenn überhaupt tut das wohl die Konkurrenz. Aus Erleichterung darüber, mit dem, was sich Bayer da selbstsicher ins Konzernnest gelegt hat, nichts zu tun zu haben.

Bayer muss um Image und Aktionäre kämpfen

Bei Bayer dagegen müssen sie sich allmählich damit beschäftigen zu retten, was noch zu retten ist. Und vor allem darum kämpfen, dass nicht noch mehr Aktionäre ein Schiff, dessen Schieflage immer bedrohlicher zu werden scheint, frühzeitig oder je nach Ausgang der Geschichte rechtzeitig zu verlassen. 

Die Übernahme von Monsanto – das steht jetzt schon fest – ist für Bayer in der Tat zu einem neuen, großen Kapitel der Konzerngeschichte geworden. Allerdings zu einem des Chaos, das unberechenbare Zeiten eingeläutet hat. Eines mit katastrophalem Beginn und mehr als ungewissem Ausgang. Es verwundert wenig, dass für den Moment auf diesen kaum ein Aktionär warten will, seine Aktien lieber verkauft, das Erfolgsbuch Bayer zuschlägt, zu unwahrscheinlich wirkt die Aussicht auf ein Happy End.

Mit 52,6 Milliarden Euro ist Bayer an der Börse inzwischen weniger wert, als Monsanto damals umgerechnet in Euro gekostet hat, 56 Milliarden Euro.  Von ihrem Rekordhoch 2015 bei 146 Euro ist die Aktie des Pharmakonzerns bis heute um 62 Prozent auf 55,80 Euro gefallen. Einst wertvollstes Unternehmen im Dax, liegt Bayer diesbezüglich nun nur noch auf Platz acht. Und Vorstandschef Werner Baumann, der das Monsanto-Desaster zu verantworten hat, ist zum ersten Chef eines Dax-Konzerns geworden, dem auf der Hauptversammlung von den eigenen Aktionären die Entlastung verweigert wurde.

Verständlich, ist Bayers Wertvernichtung mit Blick auf Deutschland schließlich eine beinah beispiellose. Und natürlich fragen sich nicht nur Anleger: Hätte man dieses Chaos nicht vorhersehen können? Diese womöglich existenzielle Bedrohung? Diesen Schlamassel, der Bayer nun vielleicht in die Hände aktivistischer Investoren treibt? Dieses Debakel, dessen Ende Konzernzerschlagung lauten könnte? Und vor allem: Wieso hat es Bayer nicht vorhergesehen, dieser Megakonzern, der doch Erfahrung hat auf dem US-Markt und mit dortigen Rechtsstreitigkeiten.

13.400 Klagen – Ausgang ungewiss

Von Bayer selbst sind da kaum Antworten zu erwarten. Vielleicht aus deshalb, weil sie schlicht zugeben müssten, dass sie die Gefahren unterschätzt haben. Zu groß war der Traum vom globalen Agrarkonzern, zu klein die Sorgen um das wichtigste Produkt, Glyphosat. Und das, obwohl lange vor der Übernahme, teils erbittert über dessen Wirkung auf die menschliche Gesundheit gestritten wurde. Inzwischen hat Bayer drei Prozesse mit Blick auf den Unkrautvernichter Roundup, dessen Hauptsubstanz Glyphosat ist, verloren. Den letzten inklusive Urteil mit Signalwirkung: Zwei Milliarden US-Dollar Strafe soll Bayer allein an zwei Rentner zahlen, die Roundup in ihrem Garten versprüht haben. „Die Summe wird sicherlich noch deutlich gekürzt, aber ihre Höhe verunsichert weiter“, sagte Liberum-Analyst Alistair Campbell. Zusätzliche Strafzahlungen dürfen in den USA inzwischen nur noch höchstens neunmal höher liegen als die eigentliche Schadenssumme. Und die liegt bei 55 Millionen. Es wären insgesamt also maximal 495 Millionen Dollar fällig. Immer noch viel und sicher nicht beruhigend, blickt man auf die insgesamt über 13.400 Klagen, die – stand jetzt – allein in den USA eingegangen sind.

Bayer setzt weiter alles auf die nächsten Instanzen und auf die US-Umweltbehörde EPA, die Glyphosat nicht als für den Menschen gesundheitsschädlich einordnet. Mangels Beweise. Doch was, wenn es die einmal geben sollte? Die Unsicherheit ist riesig und womöglich tut Bayer gut daran, das Problem bald mit einem schmerzhaften Vergleich aus der Welt zu schaffen. Doch selbst dann dürften Umweltschützer keine Ruhe geben und weiter den Verbot von Glyphosat fordern. Ein solches wäre wohl noch gefährlicher für Bayer, als die drohenden Strafzahlungen. Dass ein Großkonzern solche wegstecken kann, zeigt die Causa Volkswagen. Doch ein Glyphosat-Verbot würde Bayer im Agrarsektor erst einmal einen Großteil seiner Geschäftsgrundlage nehmen und in dem Bereich weit zurückwerfen.

80 Milliarden Euro Rechtsrisiken im Kurs eingepreist

Die Lage bei Bayer also ist ernst. Es scheint auch nicht mehr komplett abwegig, dass es Interessenten gibt, die den extrem niedrigen Kurs an der Börse als Chance sehen, sich größere Anteile und Mitbestimmungsrechte zu sichern. Die Wahrscheinlichkeit für eine Übernahme oder den Einstieg eines aktivistischen Investors steige weiter, bestätigt Baader Bank-Analyst Markus Mayer. Auch, da im Kurs inzwischen 80 Milliarden Euro an Rechtsrisiken für ein Produkt eingepreist seien, das gerade einmal für fünf Prozent der Bayer-Gewinne stehe. Sein Kursziel beließ Mayer deshalb bei starken 123 Euro. Damit ist er deutlich optimistischer, als viele seiner Kollegen. Insgesamt jedoch raten 108 Analysten zum Kauf der Aktie, 50 dazu, sie zu halten, nur einer würde verkaufen.

Klar, fundamental ist die Bayer-Aktie massiv unterbewertet. Ihr erwartetes KGV für 2019 liegt bei 8,2. Dazu kommt dank des niedrigen Kurses eine Dividendenrendite von 4,6 Prozent. Die Einstiegschance ist da und trotzt aller Risiken, ist Bayer nun die weltweite Nummer Eins im Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäft. Doch Börsenschicksale, wie die von Eon und RWE durch Deutschlands abrupte Energiewende oder die von Deutscher Bank und Commerzbank, haben Anleger, wie es scheint, vorsichtig werden lassen. Bis Mitte 2020, schätzt JPMorgan-Analyst Richard Vosser, dürfte die Aktie nicht zur Ruhe kommen. Mindestens bis dahin dürften sich die Berufungsverfahren ziehen und die Verhandlungen zu zehn bis zwölf Fällen. Erst dann könnten die Belastungen abgeschätzt werden. Auch DZ-Bank Analyst Peter Spengler glaubt, dass die Aktie „weiter volatil auf die Glyphosat-Prozesse reagieren wird“. Sein Kursziel beließ er deshalb bei 57 Euro, also ungefähr auf derzeitigem Kursniveau. Für den Moment scheint die Aktie also eine giftige zu sein. Bleibt die Frage, wann es Bayer schafft ein Gegenmittel zu finden. Dann nämlich wären wohl große Kurssprünge drin.  

Oliver Götz

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