Biontech, Curevac & Konsorten: Aktionärsschock und gefährliche Patentrezepte
Man muss nicht die abgegriffene Börsenweisheit vom furchtbaren Mai bemühen, wenn es zu Beginn des Monats für Pharma- und Biotech-Investoren böses Erwachen oder, je nachdem, erschüttertes Einschlafen gab, und dazwischen den gewöhnlichen Schrecken, dass womöglich das Vermögen bedroht scheint.
Man muss nicht die abgegriffene Börsenweisheit vom furchtbaren Mai bemühen, wenn es zu Beginn des Monats für Pharma- und Biotech-Investoren böses Erwachen oder, je nachdem, erschüttertes Einschlafen gab, und dazwischen den gewöhnlichen Schrecken, dass womöglich das Vermögen bedroht scheint.
Von Reinhard Schlieker
Die ohnehin von – wenn auch objektiv recht fernliegenden – Inflationssorgen geprägten Finanzmärkte, mitten in ersten Umschichtungen von Aktien in Anleihen, traf nun eine recht grundsätzliche Verunsicherung. Das bei näherem Hinsehen oft gar nicht so kapitalistisch-mütterliche Land der finanziellen Verheißungen schloss sich mit einem Paukenschlag aus Washington überraschend unter gewissen Bedingungen der Phalanx jener UN-Mitglieder an, die eine Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe verlangen. In der Erwartung oder zumindest Hoffnung, dass die Impfungen in der Folge für Entwicklungs- und Schwellenländer erschwinglicher würden.
Um es gleich zu verraten: EU-Europa denkt noch nach, denn man wurde davon kalt erwischt. Und das Nachdenken in Brüssel dauert gewöhnlich recht lange, und es kommt oft ein gewisser Kokolores dabei heraus, der dann mühsam in eine verträgliche Form gebracht werden muss – und für plötzliche Schocks nicht taugt, auch nicht in der Heimat von solchen Aktiengesellschaften wie Biontech oder Curevac. Derweil berät die Welthandelsorganisation in Genf zu dem Thema und die Weltgesundheitsorganisation freut sich schon. Dass Biontech und Curevac (noch ohne Impfstoffzulassung) an der Börse zeitweise an die zwanzig Prozent Kursverlust zu verzeichnen hatten, dürfte den etwas Nachdenklicheren unter den Privatanlegern aber womöglich zupass kommen. Denn die Kurse waren zuletzt doch reichlich mit Zukunftshoffnungen befrachtet. Dies zu analysieren wäre wohl eher ein guter Weg zur Einschätzung der Aktien als die kurzfristige Aufregung. Die wird sich nämlich legen, und zwar aus ganz praktischen und nachvollziehbaren Gründen. Denn mit dem Erfolg der Impfungen und der hohen Nachfrage gehen die Firmen bereits jede Menge Kooperationen ein – auf allen Ebenen des Geschäfts.
Ohne solche Zusammenarbeit, und einhergehende Lizenzierung, wäre eine nachhaltige Versorgung mit den Vakzinen gar nicht möglich. Wie man sich erinnert, steckte beispielsweise Biontech eine Menge Energie in den Aufbau weiterer Produktionsstätten, und fand zumindest in Deutschland recht schnell Möglichkeiten dafür. Selbst bei freier Verfügbarkeit der patentierten Stoffe und Verfahren wäre in anderen Weltgegenden eine sichere Herstellung bestenfalls ein Hoffnungswert mit jahrelangem Horizont. Um in der akuten und katastrophalen Lage zum Beispiel in Indien zu helfen, käme dies allemal zu spät – da hilft nur Export dorthin. Wenn in Ländern wie Indien also, oder in der Dritten Welt, nicht umfassend geimpft wird, liegt dies eher weniger an der Verfügbarkeit der Stoffe, die inzwischen von diversen Anbietern in die ganze Welt geliefert werden – staatliche Strukturen, die einer Beherrschung der Pandemie und ihrer Eindämmung keineswegs förderlich sind, wären wohl eher reformbedürftig, doch das publikumswirksame Schielen auf Enteignung anderer ist für autokratische Regime und unfähige Verwaltungen vermutlich erfolgversprechender.
Was die Hersteller natürlich wissen – und im eigenen Interesse eben weitere Lizenzen vergeben. Curevac arbeitet an seinem mobilen Herstellungslabor „mRNA Printer“, das bei Gelingen des Projekts die Produktion in entlegenen Gegenden ermöglichen würde. Biontech will demnächst nach China liefern, 100 Millionen Dosen zu Beginn. Die Zulassung soll der chinesischen „Global Times“ zufolge, unter Berufung auf hohe KP-Funktionäre, bis Juli über die Bühne gehen. Im weiteren Verfahren soll der chinesische Partner Fosun Pharma die Produktion aufnehmen. Diese Abfolge, begonnen mit Gesprächen zwischen Biontech und der chinesischen Parteiführung in Schanghai bereits im vergangenen Herbst, lässt in etwa ermessen, wie eine Expansion auch zeitlich aussehen könnte. Und kostenlos ist das schon gar nicht zu haben.
Wer wollte das Risiko und die Verantwortung tragen, bei unzureichenden Produktions-Gegebenheiten womöglich eine riesige Zahl von Menschen mit untauglichen oder gar gefährlichen Produkten zu impfen? Die heutigen Patentinhaber sicher nicht. Verantwortlich wären im Ernstfall diejenigen Aktivisten, die einfältigerweise glauben, das geistige Eigentum sei seinen Inhabern schlicht wegzunehmen – ein gefährliches Patentrezept.
Die Hersteller aus Europa, den USA, Australien und Japan wehren sich also mit guten Argumenten gegen ein Kapern ihrer Technologien – allerdings hält in den USA der Staat selbst einige Rechte, die für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen notwendige Voraussetzung sind. Und so weist man von seiten der Amerikaner auch darauf hin, dass ohne eine weltweite Impfkampagne zu vertretbaren Kosten für die Dritte Welt der Kampf gegen das Corona-Virus nicht zu gewinnen sein wird. Da es Organisationen gibt, die mit dem gezielten Kampf gegen einige Plagen der Menschheit, so Pocken oder Masern, umfassende Erfahrungen besitzen, steht zu vermuten, dass eine konzertierte Aktion durchaus erfolgreich laufen könnte.
Das ungefragte Verfügen über das geistige Eigentum anderer ist jedenfalls kein guter Start. Gäbe es eine solche Enteignung unter Hinweis auf die gegenwärtige Ausnahmesituation, wäre dies für die forschenden Pharmaunternehmen allerdings ein Menetekel. Noch selten sind Maßnahmen für Ausnahmesituationen anschließend wieder schlicht einkassiert worden. Für die Großen wie Pfizer, Glaxosmithkline oder Novartis stellte sich damit die Grundsatzfrage, ob aufwendige Forschung für Mittel gegen schwere oder seltene Krankheiten nicht besser unterbleiben sollte. Die kleineren Firmen wir Biontech oder Curevac würden für ihre innovative Suche nach Mitteln gegen Krebserkrankungen wohl kaum noch bereitwillige Investoren finden – das Risiko wäre schlicht nicht mehr kalkulierbar, wenn Erfolge zwar von ihnen bezahlt, dann aber von anderen mehr oder weniger entschädigungslos usurpiert werden könnten.
Spätestens hier dürften sich dann aber auch Patienten-Interessengruppen und Ärzteorganisationen zu Wort melden, wenn den (zwischen-)staatlichen Institutionen schon kein Licht aufgeht. Für Panik an der Börse bietet das ganze Szenario, sorgfältig abgewogen, nun allerdings wahrlich keinen Grund.