Bitcoins: der größte Anlegerbetrug dieses Jahrtausends?
Noch nie waren sie so erfolgreich wie in diesem Jahr, noch nie haben sie so viel Geld eingesammelt. Kryptobörsengänge, sogenannte ICOs, sorgten 2017 bei risikoaffinen Anlegern für Goldgräberstimmung. Doch bei ICOs könnte es sich nicht nur um eine gewaltige Milliardenblase, sondern auch um eine der größten betrügerischen Börsentricksereien aller Zeiten handeln.
Noch nie waren sie so erfolgreich wie in diesem Jahr, noch nie haben sie so viel Geld eingesammelt. Kryptobörsengänge, sogenannte ICOs, sorgten 2017 bei risikoaffinen Anlegern für Goldgräberstimmung. Doch bei ICOs könnte es sich nicht nur um eine gewaltige Milliardenblase, sondern auch um eine der größten betrügerischen Börsentricksereien aller Zeiten handeln.
Börsianer werden sie aus Finanzkrisen-Zeiten in lebhaftter Erinnerung haben: Abkürzungen wie ABS oder CDS. Sie waren gemeinsam mit den Subprime-Darlehen die Hauptschuldigen an dem unvergessenen Desaster aus den Jahren 2007 und 2008 und ganz bestimmt nicht die einzigen Abkürzungen, die damals kaum einer außerhalb der engsten Finanzkreise wirklich verstand. Übrigens auch dann nicht, wenn man sie ausschrieb. Doch da „Asset Backed Securities“ und „Credit Default Swaps“ schwindelerregend-hohe Renditen versprachen, kümmerte sich von einer sehr großen Zahl an Investoren keiner darum, um was es hier eigentlich gning. Die gier war größer als der Wissensdurst.
Derzeit tauchen nun wieder drei Buchstaben am Börsenhorizont auf, bei denen sich die Mehrheit der Anleger verwundert die Augen reiben dürfte. Die Rede ist von sogenannten ICOs, gerne auch als Kryptobörsengänge bezeichnet. Es handelt sich hier zwar um kein Produkt, das fähig wäre, eine weltweite Finanzkrise auszulösen, aber dennoch um eine sehr undurchsichtige Maßnahme zur Kapitalbeschaffung. Wer sich an ICOs beteiligt erhofft sich – wenn wundert’s – die große Rendite und erhält dabei im Gegenzug das Vielfache einer Einheit, von dem er in vielen Fällen gar nicht weiß, wie diese denn nun von ihrem innerem Wert her zu taxieren ist.
Was bedeutet ICO eigentlich?
Einfach erklärt sind Initial Coin Offerings (ICO) nichts anderes als digitale Börsengänge. Der Begriff bezeichnet wie bei einem Börsengang eines Unternehmens einen Verkauf, aber es werden anstatt Aktien sogenannte Tokens ausgegeben. Das sind digitale Coupons, deren Funktion variieren kann. In den meisten Fällen dienen sie als Währung – oft sind sie dabei projektbezogen. Die betreffenden Unternehmen haben dann ein Geschäftsmodell, das auf Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum basiert. Investoren erhalten damit die Möglichkeit, frühzeitig in eine Kryptowährung zu investieren, die eigentlich noch gar nicht verfügbar ist. Die Idee: Wenn das Projekt Erfolg hat, dann sollte auch der Wert des Tokens über den ursprünglichen Ausgabepreis steigen; sie werden über spezielle Plattformen gehandelt. Steigt die Unternehmensbewertung, steigt auch der Wert der Token. Das also ist ähnlich dem Prozedere am Aktienmarkt, nur dass man selten Mitsprachrechte zugestanden bekommt.
Das Hauptproblem aber ist, dass einmal mehr keiner so wirklich versteht, was Token eigentlich sind. Sie entsprechen keiner Währung, auch keiner virtuellen, sind letztlich Anteile an Projekten, die durch all diese Anteile zusammen, einmal finanziert werden sollen. Wer den Willen hat genau hinzusehen, stößt da schnell auf die Frage: Woran erwerbe ich durch Token eigentlich Eigentum? Am Unternehmen selbst? Am Projekt? An einer digitalen Währung? Das ist tatsächlich unklar und von Unternehmen zu Unternehmen verschieden, da es nicht reguliert ist.
Doch was ist mit den Risiken? Die traditionellen Kapitalmärkte unterliegen verschiedenen, strikten Regulierungen, die vor allem dem Schutz der Anleger dienen. Für ICOs hingegen gelten diese Vorgaben nicht. Dauerhaft dürften die Regulierungsbehörden weltweit dem Vormarsch der Kryptowährungen aus Bits und Bytes nicht zusehen. Die US-Börsenaufsicht dürfte die erste sein, die mit harten Mitteln gegen ICOs durchgreifen könnte. Letztlich wünschen sich auch viele Investoren mehr Sicherheit.Die Nicht-Regulierung ist indes der Hauptgrund dafür, dass ICOs überhaupt so populär geworden sind. Firmen können so Kapital anhäufen, ohne sich den strengen Vorgaben von Banken, Börsen und öffentlichen Kontrollinstanzen unterwerfen zu müssen. Die Regulierung des Kryptobörsengänge könnte also dieses ganze Marktsegment zum Einsturz bringen, ohne dass äußere Risiken hinzutreten.
Bitcoin-Boom im Reich der Mitte
In china ist es überaus populär, Aktien auf Kredit zu kaufen. Die Verpfändung riesiger Anteile am Aktienvermögen ist eines der Hauptrisiken der Börsen zwischen Schanghai und Hong Kong. Und so hat gerade im formal sehr streng regulierten China das Aufkommen von Bitcoin & Co. zu einem regelrechten Boom geführt. Im ersten Halbjahr 2017 wurden im Reich der Mitte 2,6 Milliarden Yuan, umgerechnet 328 Millionen Euro, in ICOs investiert. In den USA waren es im bisherigen Jahresverlauf 180 Millionen US-Dollar. Und auch in Europa wuchs zuletzt das Interesse. Weltweit hatten Anleger 2016 zu Jahresbeginn weltweit 40 Millionen US-Dollar in Kryptobörsengänge investiert. Inzwischen sind daraus zwei Milliarden geworden.
Diese rasant-positive Entwicklung ruft nun die Pekinger Behörden auf den Plan. Die Chinesen denken gar über ein Verbot von ICOs in ihrer jetzigen Form nach, teils haben sie es schon durchgesetzt. Zentralbank und Wertpapieraufsicht der Volksrepublik hatten Untersuchungen eingeleitet und dabei festgestellt, dass wohl neun von zehn ICOs gegen chinesische Gesetze verstoßen. „ICOs sind ein illegales Finanzierungsinstrument und sollten komplett verboten werden“ sagte ein anonymer Beamter der chinesischen „Financial News“.
Und die National Internet Finance Association of China mahnt: „ICO-Projekten fehlt Transparenz bei ihren Assets, sie haben keine Standards für eine nachhaltige Anlage und es gibt große Probleme bei der Einsicht in die Geschäftsdaten.“ Die US-Wertpapieraufsicht formuliert es etwas diplomatischer, ist aber ebenfalls alarmiert: Investoren sollten sich fragen, wofür ihr Geld genutzt wird und welche Rechte sie im Gegenzug erhalten. Anbieter sollten einen klaren Geschäftsplan aufweisen, den Investoren einsehen können.
„The Wolf Of Wall Street“ warnt eindringlich
Der vielleicht prominenteste und zudem eindringlichste Mahner kommt ebenfalls aus den USA und saß für knapp zwei Jahre wegen Börsenbetrugs in Millionenhöhe im Gefängnis: Jordan Belfort. Der Er ist auch bekannt unter dem herrlichen Pseudonym „The Wolf Of Wall Street“. Nun äußert er sich zu den ICO-Geschäften. „Das ist viel schlimmer als alles, was ich je getan habe“, ließ er die Financial Times wissen, „das ist der größte Betrug aller Zeiten. So ein riesiger, gigantischer Betrug wird in den Händen vieler, vieler Leute explodieren.“ Das Vorgehen mancher ICO-Anbieter sieht er durchaus ähnlich seinem eigenen, betrügerischen Handeln in den 1980er Jahren: Erst Anreize schaffen, damit Anleger anlocken und dann irgendwann mit dem Geld verschwinden.
Erst vor kurzem sorgte ein Fall aus der Schweiz für Aufsehen. Arthur und Kathleen Breitman ließen eine neue Kryptowährung namens „Tezzie“ entstehen. Dazu haben sie in den USA das Unternehmen „Ledger Solutions“ gegründet, das wiederum die Technologie hinter „Tezzie“ sein soll. In einer ersten Finanzierungsrunde, also über einen ICO, nahmen die Breitmans 232 Millionen Dollar ein. 20 Millionen sollten als Bonus an das Gründerpaar gehen. Der Clou: Die Technologie, für die das Geld eingesammelt wurde, gibt es noch gar nicht. Arthur und Kathleen Breitman haben nun also viel Geld, ob die angekündigte Technologie jemals Realität wird, ist dagegen völlig unklar. Das zeigt deutlich, welch hohes Risiko Investoren eingehen, wenn sie in ICOs investieren.
Kryptowährungen: alles ein riesiger Bluff?
Stehen Kryptobörsengänge also schon kurz nach ihren größten Erfolgen vor dem Aus? Angesichts dessen, wie einfach sich mit ICOs betrügen lässt, ist durchaus möglich, dass seitens der Regulierungen harte Leitplanken eingezogen werden. Schließlich werden hier teils Millionen in Versprechen investiert, die auf nicht funktionierenden Geschäftsmodellen basieren, und so lange nur genug Menschen ihre Hoffnung auf dieses modell setzen, funktioniert das System Und China hat ICOs teilweise schon verboten, die USA und Europa könnten nachziehen. Zumindest werden sie wohl Regularien schaffen. Vor allem aber zeigt das ICO-Modell: Sobald irgendwo die Chance auf hohe Renditen winkt, schrecken Anleger nach wie vor kaum vor etwas zurück. Die Gier, sie wird an den Märkten wohl nie verschwinden. Notfalls müssen Digitalwährungen und Token her, wenn es anders nicht mehr funktioniert. Oliver Götz