Achtung Aufwärtspotenzial!
Welche Branchen kommen am Besten durch die Krise? Wo lauern Chancen und neue Märkte für Unternehmen? Und wer kann in einem Aufschwung am ehesten punkten? Ein Blick auf die Profiteure der Krise. Und Hoffnungsträger für die Zeit danach.
Welche Branchen kommen am Besten durch die Krise? Wo lauern Chancen und neue Märkte für Unternehmen? Und wer kann in einem Aufschwung am ehesten punkten? Ein Blick auf die Profiteure der Krise. Und Hoffnungsträger für die Zeit danach.
Es dürften im Kern zwei Börsenweisheiten sein, die Anlegern derzeit großes Kopfzerbrechen bereiten. Einerseits gilt es nach Kursrutschen wie dem im Zuge der Corona-Pandemie nicht nach dem perfekten Einstiegszeitpunkt zu suchen – man wird ihn sehr wahrscheinlich nicht finden. Andererseits ertönt da immer öfter ein aus der Erfahrung heraus gut gemeinter Rat, steigenden Kursen möge man doch bitte nicht hinterherlaufen. Was tun also, wenn sich die Märkte nach einer ihrer rasantesten Talfahrten aller Zeiten anschicken, sich ähnlich schnell zu erholen?
Ausgehend von seinem Tiefpunkt Mitte März hat der Dax nun schon über 25 Prozent an Wert zugelegt. Gleichzeitig fehlen dem Index noch immer 30 Prozent bis zu seinem Rekordhoch von vor der Krise. Ein ähnliches Bild zeichnet der Dow Jones. Er steht ausgehend von seinem Crash-Tief nun schon mit fast 30 Prozent im Plus. Um das Vorkrisenniveau zurückzuerobern fehlen aber noch 23 Prozent. Ist jetzt also noch die Zeit für Schnäppchen oder kämen weitere Kursgewinne einer auf kurz oder lang nicht haltbaren Übertreibung gleich, die dann womöglich eine erneute Verkaufswelle auslöst? Schließlich passt der Optimismus an den Börsen auf den ersten Blick weder zu manch Horrorszenario, das führende Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande zeichnen, noch zu den Rekordzahlen, was die Anmeldungen von Kurzarbeit angeht.
In der Tat erscheint es ein gefährliches Spiel zu sein, nun breit auf eine Erholung zu setzen. Verlässliche Prognosen sind derzeit quasi unmöglich, so schnell ändert sich die Lage rundum das Coronavirus. Und das Tag um Tag. Doch dort wo langfristig, unabhängig der Pandemie oder gerade wegen der Krise Wachstums- und Aufwärtspotenzial möglich ist, könnten Anleger fündig werden. Der Aufschwung schließlich wird kommen, auch wenn noch völlig unklar ist, wann und wie. Bestimmte Branchen aber könnten diesen anführen, ausgewählte Unternehmen dürften schneller auf den Wachstumspfad zurückkehren, als andere – und manch Geschäftsmodell könnte der Krise wegen erst so richtig aufblühen.
Stay safe mit Stay-at-Home-Software?
Ein großes Erwachen erleben derzeit etwa Online-Kommunikationsdienstleister wie Zoom, Slack, Skype, Microsoft Teams oder die Göppinger Firma Teamviewer. Letztere bietet in erster Linie Fernwartungssoftware an, über die anderen Zugriff auf den eigenen Rechner und Bildschirm gewährt werden kann. Die Corona-Pandemie bescherte den Hessen im ersten Quartal ein Auftragsplus von 60 Prozent. Die Aktie des MDax-Unternehmens ist innerhalb eines Monats um 60 Prozent gestiegen. Von 25 Analysten raten 25 zum Kauf. Auch Microsoft freut sich über fast 40 Prozent mehr Teams-Nutzer. Und hat mit Tochter Skype gleich noch ein zweites Eisen im Feuer. Zuletzt tat sich der Dienst schwer, Microsoft veröffentlichte entsprechend lange keine Nutzerzahlen mehr. Nun sollen es 40 Millionen aktive am Tag sein. Das käme einem Plus von 70 Prozent gegenüber den letzten Zahlen aus dem Jahr 2016 gleich. Das allerdings ist nichts im Vergleich zu Konkurrent Zoom. Die Nutzerzahlen der Videokonferenz-App sind innerhalb weniger Wochen von zehn auf 200 Millionen emporgeschnellt. Der Aktienkurs der US-Firma hat sich innerhalb von drei Monaten verdoppelt. Wie langfristig all das ist, bleibt abzuwarten. Doch die Anbieter sogenannter Home-Office-Software werden sehr wahrscheinlich über die Pandemie hinaus gefragt sein. Der Trend hin zum ortsunabhängigen Arbeiten hatte sich bereits im Vorhinein verschärft. Machen Unternehmen nun gute Erfahrungen damit, bleibt das Wachstumspotenzial für die Zukunft immens.
Tech-Giganten festigen Macht und Marktposition – Trend zur Cloud und zum Online-Shopping verschärft sich
Im Allgemeinen zeichnet sich inzwischen ab, dass es die Tech-Industrie sein wird, die von dieser Krise am wenigstens tangiert wird. Und wenn, dann oft im positiven Sinne. Die Aktien von Microsoft oder Amazon sind inzwischen wieder nah dran an ihren Vorkrisenniveaus oder haben sie, wie der Konzern aus Seattle, längst und deutlich übertroffen. Die Menschen bestellen ihre Ware nun zunehmend im Internet, da ihnen kaum etwas anderes übrig bleibt. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil dieses Verhalten auch nach dem Ende der vielerorts geltenden Ausgangsbeschränkungen beibehält, allein aus Bequemlichkeit. „Auch wenn das Thema Coronavirus vorbei ist, wird weiterhin mehr online eingekauft werden als vor der Krise“, ist Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung überzeugt. Der Trend hin zum Online-Shopping dürfte sich so rasant beschleunigen und Amazon wie auch auch Konkurrent Alibaba eine sprunghaft steigende Kundenbasis bescheren.
Dazu gehören beide Konzerne neben Microsoft und Alphabet zu den größten Cloud-Anbietern der Welt. Längst ein Megatrend, erlebt die Cloud in Zeiten von Corona den nächsten Boom. Und womöglich ihren finalen Durchbruch. Innerhalb von Tagen und Wochen widerfahren dem Sektor Wachstums- und Entwicklungsschübe, zu denen es unter normalen Umständen mindestens Monate, wahrscheinlich eher Jahre gebraucht hätte. Microsoft beispielsweise meldete zuletzt einen Nutzungs-Anstieg seines Cloud-Angebots um fast 800 Prozent. Zumindest dort, wo Ausgangsbeschränkungen gelten. 2019 ist der Markt laut einer Canalys-Studie um 37 Prozent gewachsen. Mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens teilen die drei US-Schwergewichte Amazon, Microsoft und Alphabet unter sich auf. Und noch immer steckt viel in den Kinderschuhen, weshalb auch hier die Corona-Pandemie als Trendbeschleuniger dienen dürfte. Vor allem Alphabet hat gegenüber Amazon und Microsoft einiges aufzuholen und will bis 2023 einem CNBC-Bericht nach unter die Top Zwei der Welt. Wachstumsphantasie ist also da, eine günstige Einstiegsgelegenheit ebenso. Im Vergleich hat sich die Alphabet-Aktie noch nicht so stark von ihren Kursverlusten erholt, da Experten mit Einbrüchen bei den Werbeerlösen von Google und Youtube rechnen.
Digitale Hoffnungsträger aus Deutschland: SAP und HelloFresh
Auch in Deutschland profitiert derzeit manch Tech- und Online-Firma von der Pandemie. Die SAP-Aktie zählte jüngst zu den besten Performern im Dax und hat einen Großteil ihrer Crash-Verluste schon wettgemacht. Europas größter Tech-Konzern bietet eine ganze Reihe spezieller Softwareanwendungen an, die für viele Unternehmen auch in der Krise nicht zu ersetzen sind. Dazu laufen bei SAP immer mehr dieser Anwendungen über die Cloud. Das schafft wiederkehrende Einnahmen und wichtige Nutzerbindungen. Bei einer starken Marktposition, die SAP zweifelsohne inne hat, sind die Wachstumschancen überdies auch für eine Zeit nach Corona groß. Barclays-Analyst James Goodman sieht in SAP gar einen „Fels in der Brandung“ und das Papier an der Börse als „Top Pick“.
Vielleicht lohnt darüber hinaus auch der Blick auf manch kleineren Fisch. HelloFresh, der Berliner Anbieter von Kochboxen, hat seinen Umsatz im ersten Quartal um 265 Millionen Euro steigern können. Vor allem ab Mitte März soll das Wachstum spürbar angezogen haben. An der Börse ist das Start-Up inzwischen mehr Wert als die Deutsche Lufthansa. Auf Jahressicht liegt die Aktie mit über 250 Prozent im Plus. Verrückt und ein besonders anschauliches Beispiel dafür, dass jede Krise in der Lage ist, Gewinner hervorzubringen.
Zwischen Spekulation und sicherem Hafen - Medizintechnik-, Biotech- und Pharmawerte
Ein weiterer großer Profiteur ist die deutsche Medizintechnik-Firma Drägerwerk, was inzwischen freilich kein großes Geheimnis mehr ist. Die Aktie der Lübecker schoss zwischenzeitlich um 85 Prozent nach oben, nachdem unter anderem die Knappheit von Beatmungsgeräten Tag um Tag sichtbarer wurde und schlussendlich allein die Bundesregierung für einen Großauftrag von 10.000 Stück sorgte. „Bei den Beatmungsgeräten ist die Nachfrage so groß, dass wir das Zehnfache produzieren könnten. Die Masken sind so gefragt, dass wir locker das Hundertfache verkaufen könnten“, sagte Stefan Dräger vor kurzem dem Spiegel. Vor dem Corona-Ausbruch lief es für die Drägerwerk-Aktie aber allenfalls durchschnittlich und die Nachhaltigkeit des derzeitigen Auftragsbooms darf in Frage gestellt werden. Die kurzfristig anfallenden Umsatz- und Gewinnsprünge könnten derweil bereits eingepreist sein. Von 32 Analysten raten derzeit 15 dazu, die Aktie zu verkaufen, 17 würden das Papier halten. Für einen Kauf plädiert kein Experte.
Etwas optimistischer sind die Analysten bei der Aktie des Pharma- und Laborzulieferers Sartorius, wobei auch hier neun Kaufempfehlungen sechs Verkaufsempfehlungen gegenüberstehen. Die Aktie hat über die vergangenen zehn Jahre eine wahnsinnige Rally hingelegt, der Kurs ist um 4.500 Prozent gestiegen. Solche Kursexplosionen kennt man eigentlich nur aus dem Tech-Bereich. Von Krise ist dazu gegenwärtig keine Spur, die Titel eilen von Rekordhoch zu Rekordhoch.
Ähnlich Drägerwerk und Sartorius stand zuletzt auch die Mainzer Biotech-Firma Biontech bei Anlegern hoch im Kurs. Auch hier raste die Aktie zwischenzeitlich auf 86 Euro nach oben. Ein Plus von über 200 Prozent. Doch ähnlich schnell ging es wieder auf rund 40 Euro bergab. Biontech gilt als aussichtsreicher Kandidat, was die Entwicklung eines Impfstoffes anbelangt.
Man findet derzeit viele solcher spezialisierten Firmen aus dem Medizin-, Pharma-, und Biotechbereich, denen Anleger im Zuge der Corona-Pandemie das große Wachstum zutrauen. Klar aber ist auch: Hier ist viel Spekulation dabei. Überbewertungen sind schnell erreicht. Sichere Häfen jedenfalls sehen anders aus, gibt es im Pharmasektor aber auch. Großkonzerne wie Roche, Novartis oder Johnson & Johnson setzen nicht zu großen Kurssprüngen an, performen aber dennoch besser als der Gesamtmarkt, zahlen dazu stattliche Dividenden und verfügen über weitgehend krisenresistente Geschäftsmodelle. Langfristig könnten sie davon profitieren, dass Corona die Aufmerksamkeit der Politik auf den Gesundheitssektor lenkt und ohnehin vom Megatrend der alternden Bevölkerungen in den Industriestaaten.
OG