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Die aufgeschobene Krise

Volkswagen, Daimler und BMW können auf der IAA Rekordzahlen vermelden und wirtschaften so profitabel wie nie. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sowohl bei wichtiger Zukunftstechnologie als auch auf dem wohl weiter wichtigsten Zukunftsmarkt verlieren die deutschen Hersteller den Anschluss.

VW-Boss Herbert Diess auf der IAA Mobility in München. (Foto: picture alliance/dpa | Sven Hoppe)

Volkswagen, Daimler und BMW können auf die IAA Rekordzahlen vermelden und wirtschaften so profitabel wie nie. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sowohl bei wichtiger Zukunftstechnologie als auch auf dem wohl weiter wichtigsten Zukunftsmarkt verlieren die deutschen Hersteller den Anschluss.

Mindestens alle zwei Jahre, wenn in Frankfurt die Internationale Automobilausstellung (IAA) in die zahlreichen Messehallen zog, schaute die ganze Welt gespannt auf Deutschlands Schlüsselindustrie.  Die hiesigen Branchengrößen Volkswagen, Daimler und BMW mieteten riesige Flächen und stellten unter dem minutenlangen Blitzlichtgewitter hunderter Fotografen ihre neuesten Modelle vor. Es war stets ein ganz besonderes Heimspiel für die Beletage der Branche, die keine Kosten scheute, um der internationalen Konkurrenz zu zeigen, wer die besten, leistungsstärksten und schönsten Autos des Planeten baut.

Es war ein Trio am Zenit seines Erfolgs. Die ganze Welt fuhr die deutschen Premiummarken BMW, Audi, Porsche und Mercedes. Volkswagen schaffte es sogar vorbei an Toyota zum weltgrößten Autohersteller. Die mobile Zukunft wurde hierzulande gedacht und gemacht. Audis Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“ galt in Deutschland quasi branchenübergreifend. „Das Beste oder Nichts“, inzwischen Daimlers Marketing-Jingle, war häufig Anspruch und Wirklichkeit in einem. Und „Freude am Fahren“, wie es bei BMW lange Zeit hieß, war in den meisten Fällen auch keine leere Worthülse.

In dieser Woche nun, hätte es wieder so weit sein können, hätten sie wieder beginnen können, die Feiertage der deutschen Autoindustrie in Frankfurt. Vorausgesetzt, es hätte sich in den vergangenen Jahren, mit der Corona-Pandemie ganz am Ende, nicht plötzlich alles gewandelt.

Alles neu macht München

So kommt die internationale Autowelt diesmal zum ersten Mal in München zusammen. Diese Zusammenkunft heißt auch nicht mehr IAA, sonder IAA Mobility. Pompös ist an der Veranstaltung nur noch wenig, vieles ist kleiner und zurückhaltender geworden. Verbrenner und Diesel stehen, wenn überhaupt, in den hinteren Reihen. Neue E-Modelle posieren in den besten Lagen, junge Start-Ups sind genauso vertreten wie Lastenräder. Es geht um Mobilität als Ganzes, nicht mehr allein ums Auto. Es geht um Robotaxis, Recycling-Konzepte und klimafreundliches Fahren. Elektrifizierung und Automatisierung im Fahrzeugsektor haben die Branche und deren bis dato wichtigstes Treffen radikal verändert.

Eigentlich keine schlechte Entwicklung, möchte man meinen. Im Gegenteil: Endlich wagt die wichtigste deutsche Industrie den Blick nach vorn, präsentiert sich mutig und innovationsfreudig. Allein: Während Daimler, VW und BMW der Dieselskandal lahm legte und konservativ-verkrustete Strukturen lange Zeit den Status Quo bedienten, sind mit Tesla oder BYD aus China  neue, große Konkurrenten entstanden – und gehören jetzt schon zu den wertvollsten und bedeutendsten Autoherstellern der Welt. Dass Deutschlands Branchengrößen, nachdem sie die Zukunft jahrelang  aus Versehen übersehen oder  wahrscheinlich eher ignoriert haben, nun plötzlich die E-Mobilität preisen, könnte deshalb zu spät kommen.

„Vorsprung durch Technik“ zumindest, hat beim E-Auto Elon Musks Tesla. Ebenso beanspruchen die Kalifornier einen Platz unter den Premiummarken. „Das Beste“ gibt es nun also auch vom US-Hersteller. Und „Freude am Fahren“ haben in China sehr viele Kunden dann, wenn der Preis günstig ist. Das beliebteste E-Auto im Reich der Mitte ist aktuell mit rund 20 Prozent Marktanteil der Wuling Hongguan Mini EV. Der Kleinwagen kostet gerade mal 5.000 Euro. Unter den Top Ten der Hersteller mit den meistverkauften E-Autos tauchen die Deutschen überhaupt nicht auf. Es dominieren Tesla, BYD, Nio und sogar kleine Start-Ups wie Hozon Auto verkaufen mehr Fahrzeuge als Daimler und BMW. Volkswagen schafft es immerhin auf Rang Zwölf. „Man kann nicht sagen, dass die Deutschen einen Superjob gemacht hätten. Sie haben jetzt Wettbewerber, mit denen sie vor drei Jahren noch gar nicht gerechnet haben“, zitiert die ARD den Automobilanalysten Jochen Siebert. Auf dem weltweit wichtigsten Markt geraten die deutschen Hersteller im wohl bald wichtigsten Antriebssegment ins Hintertreffen.

In Zahlen macht sich dieser bedrohliche Rückstand bislang nicht bemerkbar. Im Gegenteil: Wie eine Analyse des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young (EY) zeigt, sind BMW mit einer Ebit-Marge von 14,5 Prozent und Daimler mit 12,9 Prozent im Jahr 2021 die profitabelsten Autohersteller weltweit. Insgesamt entfielen von 71,4 Milliarden Euro Gewinn, den die Branche insgesamt im ersten Halbjahr einfuhr, 30,3 Milliarden Euro auf die Big Three aus Deutschland. Daimler erzielte einen Gewinn in Höhe von 10,9 Milliarden Euro, BMW erwirtschaftete einen Überschuss von acht Milliarden Euro, Volkswagen schaffte 11,3 Milliarden Euro. Auch die Absatzzahlen fielen in den ersten sechs Monaten 2021 überraschend gut aus. Daimler steigerte die Verkaufsmenge um 21 Prozent auf 1,25 Millionen Autos. BMW verkaufte bei einem Plus von 39 Prozent 1,34 Millionen Fahrzeuge und bleibt damit Premium-Spitzenreiter. Volkswagen steigerte den Absatz um 24 Prozent auf 4,5 Millionen Einheiten. Die Aktien entwickelten sich entsprechend. Die Daimler-Papier haben auf Jahressicht um 60 Prozent zugelegt, die Volkswagen-Anteilsscheine sind um rund 40 Prozent geklettert und bei BMW steht ein Plus von 30 Prozent zu Buche. Den Corona-Crash haben alle drei damit hinter sich gelassen. Die VW-Aktie steht sogar so hoch, wie seit sechs Jahren nicht mehr.

Starke Ergebnisse machen den technologischen Rückstand auf Tesla nicht wett

Klingt bestens. Ist bestens. Täuscht aber über den Rückstand hinweg, den die deutschen Hersteller vor allem gegenüber Tesla mit sich herumschleppen. Um dessen Relevanz zu verstehen, braucht es den Blick auf den Börsenwert. Teslas Marktkapitalisierung beträgt inzwischen rund 700 Milliarden US-Dollar. Das ist weit mehr als die von Volkswagen, Daimler und BMW zusammen. Selbst Toyota hinzugerechnet, reicht es nicht. Nun mag am Finanzmarkt gerne auch mal übertrieben werden, seit jeher wird dort aber auch die Zukunft gehandelt. Und da scheint bei vielen Investoren Tesla hoch im Kurs zu stehen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Tesla wächst in einem rasanten Tempo. Im ersten Halbjahr 2021 verdoppelten die US-Amerikaner den Absatz auf 386.000 Fahrzeuge. Der Gewinn verdreifachte sich sogar und kletterte umgerechnet auf 1,58 Milliarden Euro. Geht das in diesem Tempo weiter, wird Tesla im Premium-Segment zu Daimler, BMW und Audi aufschließen. Während es aktuell so aussieht, als hätten VW, Daimler und BMW die Transformation gerade noch rechtzeitig eingleitet und könnten nun wieder zu alter Stärke zurückfinden, sieht bei genauerem Hinsehen also viel nach einer bloß aufgeschobenen Krise aus.

Anders solle die erste IAA Mobility in München werden, warb die Vorsitzende des Verbands der deutschen Autoindustrie (VDA) Hildegard Müller im Vorfeld der Messe. Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität würden im Zentrum stehen, nicht Autos. Die aber verkaufen Volkswagen, Daimer und BMW nun einmal. Und je mehr die vernetzte Mobilität, das automatisierte Fahren, das Auto als Computer, Realität werden, desto mehr kommen die deutschen Branchenvertreter gegenüber Tesla, aber auch manch chinesischem Hersteller, ins Schlingern. Der aktuelle so beruhigende Wachstumsschub rührt derweil auch von Kaufprämien im Zuge der Coronapandemie. Die starken Gewinne dürften in Teilen in der staatlich finanzierten Kurzarbeit, sowie insgesamt stark steigenden Preisen zu finden sein. Für Anleger stellt sich da bei den stark gestiegenen Kursen die Frage nach der Nachhaltigkeit dieses Nach-Corona-Hochs. Die Gefahr, dass sich am Ende nicht nur die IAA verkleinert, besteht weiterhin.

OG

+++INOFS ZUR IAA Mobility+++

Die IAA MOBILITY 2021 stellt die Transformation zur klimaneutralen Mobilität als eine der wichtigsten weltweiten Herausforderungen in den Mittelpunkt. Mehr als 1.000 Aussteller und Redner präsentieren Innovationen und Konzepte. Insgesamt sind über 700 Aussteller vertreten, darunter Automarken, Fahrradmarken, wichtige Player der Tech-Branche sowie alle wichtigen Unternehmen der Zulieferindustrie. Die IAA MOBILITY 2021 findet vom 07. bis 12. September 2021 in München statt. Tickets für die Veranstaltung sind online erhältlich.

Formate und Angebote auf der IAA MOBILITY

Auf dem ‚IAA MOBILITY Summit‘ in den Münchner Messehallen tauschen sich Fachbesucher und Experten aus aller Welt über innovative Mobilitätslösungen und Weltneuheiten aus. Neben namhaften Fahrzeugherstellern präsentieren sich Zulieferbetriebe, über 75 Startups sowie führende Unternehmen aus der Tech- und IT-Industrie.


Auf dem ‚IAA MOBILITY Open Space‘ werden Neuheiten führender Auto- und Fahrradhersteller erstmals mitten in der Stadt präsentiert. Eine Begegnungsplattform der Mobilitätsbranche.

Erstmals bietet die IAA MOBILITY den Besuchern über 250 neue und nachhaltige Fahrzeuge direkt zum Testen an, über 38 Modelle von über 15 internationalen Marken, die die Besucher testen können: Auf der ‚Blue Lane‘, eine Umweltspur, die zusammen mit der Stadt München und dem Land Bayern für die Zeit der IAA eingerichtet wird.

Auf der ‚IAA MOBILITY Conference‘ gibt es 4 Bühnen, auf denen über 500 internationale Redner der Mobilitäts- und Digitalbranche, Wissenschaftler, Vertreter der Politik sowie NGOs sprechen. In allen Beiträgen geht es um die nachhaltige Transformation der Mobilität.

Außerdem finden im Rahmen des ‚IAA MOBILITY Citizen Lab‘ öffentliche Diskussionen und Workshops rund um das Thema Mobilität der Zukunft live und open air auf dem Marienplatz statt.

Natürlich ist die IAA Mobility auch hybrid, so dass mit der ‚IAA MOBILITY Virtual‘ alle wesentlichen Programminhalte auch digital erlebbar sind und weltweit jedem den Zugang zu den spannenden Themen der Mobilität ermöglichen. Die Nachfrage nach diesem Angebot ist sehr groß.