Ade Aufschwung. Die Facebook-Aktie taumelt
Seit Juli hat das soziale Netzwerk rund 240 Milliarden Dollar verloren und ist damit auf den Stand von Frühjahr 2017 abgestürzt. Grund dafür sind schwache Wachstumsprognosen, aufpoppende Datenskandale und schlechtes Management. Trotz starker Gewinn- und Umsatzzahlen steht jetzt sogar Konzernchef Mark Zuckerberg im Kreuzfeuer der Anleger. Doch Facebook ist kein Einzelfall. Wie geht es weiter mit den Tech-Werten?
Seit Juli hat das soziale Netzwerk rund 240 Milliarden Dollar verloren und ist damit auf den Stand von Frühjahr 2017 abgestürzt. Grund dafür sind schwache Wachstumsprognosen, aufpoppende Datenskandale und schlechtes Management. Trotz starker Gewinn- und Umsatzzahlen steht jetzt sogar Konzernchef Mark Zuckerberg im Kreuzfeuer der Anleger. Doch Facebook ist kein Einzelfall. Wie geht es weiter mit den Tech-Werten?
Wer sein Facebook-Profil löschen möchte, wird dazu aufgefordert, zuvor alle Daten zu sichern. Diese Funktion ist tief in den Einstellungsmenüs versteckt und derzeit überraschend häufig geklickt. „In den vergangenen zwei Wochen beobachten wir mehr Download-Anfragen als üblich, deswegen dauert es länger, die Anfragen abzuarbeiten“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens. Fliehen die Nutzer also massenweise von der einst so angesagten Plattform? Indizien für den Exodus sind jedenfalls da. Seit dem 26. Juli – jenem Tag, an dem Facebook die Ergebnisse des zweiten Quartals vorstellte, hat das Unternehmen insgesamt 240 Milliarden Dollar Börsenwert verloren. Allein 120 Milliarden Dollar waren es innerhalb eines einzigen Tages, Zuckerbergs schwarzem Donnerstag, an dem die Aktie nachbörslich mit einem Sturz von zeitweise 23 Prozent reagierte. Insgesamt ist die Aktie also um fast 40 Prozent eingebrochen, stärker als der schwächelnde Nasdaq-100, der Index der wichtigsten Tech-Werte. Wer damals glaubte, die Wertpapiere würden sich wieder fangen, wurde eines Besseren belehrt. Denn derzeit sind die Anteilsscheine für rund 135 US-Dollar zu haben.
Cambridge Analytica, Daten-Skandal, Fake-News
Gründe für den Absturz gibt es reichlich. Facebooks Verstrickung in die Wahlmanipulation 2016, den sogenannten Cambridge Analyitica-Skandal, war da nur der Anfang – dabei sind die Untersuchungen keineswegs abgeschlossen. Es folgte der Daten-Skandal im Oktober. Durch eine Verkettung durch „Software-Fehler“ konnten Angreifer vollen Zugriff auf rund 30 Millionen Nutzer-Accounts erlangen. Bei rund 14 Millionen Nutzern seien dabei sensible Daten wie Name, Geburtsdatum, Wohn- und Aufenthaltsorte sowie Arbeitsplätze an Dritte abhandengekommen. Auch der Fake-News-Skandal - nämlich Facebooks Bemühungen, falsche Nachrichten in den Griff zu bekommen – schreibt negative Schlagzeilen. Zwar hat die Plattform jüngst den rechtspopulistischen Verschwörungstheoretiker Alex Jones mit seiner „Infowars“-Seite aus dem Netzwerk verbannt, allerdings erst, nachdem Apple & Co. es zuvor taten. Im Gespräch mit Investoren hat Zuckerberg nun weitere Nachbesserungen bei den Sicherheitssystemen versprochen, um Privatsphäre-Verletzungen zu minimieren sowie hetzerische Posts und problematische Inhalte zu löschen. „Dies sind nicht Probleme, die man einfach repariert“, erklärt der CEO. „Dies sind Probleme, die man über die Zeit bewältigt und reduziert.“
Politische Gegner
Gründer Zuckerberg hat in der Vergangenheit großes Geschick bewiesen, potentielle Konkurrenten rechtzeitig zu erkennen und zu neutralisieren. Entweder wurden diese aufgekauft – wie in den Fällen WhatsaApp und Instagram – oder aber kopiert, so wie Snapchat. Doch seit diesem Jahr gibt es weitere mächtige Gegner, die gegen den Tech-Giganten kämpfen: Acht Parlamente, allen voran der US-Kongress. Politiker drängen auf eine härtere Gangart gegenüber dem Netzwerk. Zudem wird das Repräsentantenhaus ab Januar von den ermittlungsfreudigen Demokraten kontrolliert, die bereits schwören, Facebooks Rolle im politischen System stärker regulieren zu wollen. „Auf Facebook ist kein Verlass, dass es sich selbst reguliert“, twitterte der Abgeordnete David Cicilline, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kartell-Unterausschuss verantworten wird.
Problem Zuckerberg
Jahrelang galt der Facebook-Chef als unantastbar. Das könnte sich nun ändern. Zuckerberg ist nicht nur CEO sondern auch Chairman, also Verwaltungsratschef. Sollte er zumindest diese Position aufgeben? Die Forderungen danach werden zumindest immer lauter. Neben dem Bostoner Hedgefonds Trillium Asset Management, sprechen sich auch der Pensionsfonds der Stadt New York sowie die Investmentfonds der US-Bundesstaaten Illinois, Pennsylvannia und Rhode Island erstmals öffentlich für den Rücktritt Zuckerbergs im Verwaltungsrat aus. „Ein unabhängiger Vorsitzender hilft dem Verwaltungsrat, das Management zu kontrollieren. Wenn der CEO auch die Rolle des Verwaltungsratsvorsitzenden innehat, schwächt das dessen Rolle“, begründen die Investmentbanker ihre Forderung. „Wir glauben, dass diese mangelnde Kontrolle dazu beigetragen hat, dass Facebook eine ganze Reihe von schweren Problemen falsch gehandhabt hat.“ Dank eines Zwei-Klassen-Systems unter den Aktionären, das Börseninvestoren vergleichsweise machtlos hält und dem Gründer immer noch eine Mehrheit der Stimmrechte garantiert, sollte sich an Zuckerbergs Rolle im Unternehmen aber nichts ändern – es sei denn, er tritt freiwillig zurück. Doch danach sieht es nicht aus. Im Interview mit CNN-Journalistin Laurie Segall antwortete der Facebook-Chef auf die Frage, ob er den Verwaltungsvorsitz abgeben würde, reichlich irritiert: „Das steht nicht auf dem Plan“.
Absturz der Tech-Werte
Facebook ist kein Einzelfall. Lange trieben die Technologie-Konzerne die Kurse nach oben. Doch jetzt lösen die sogenannten FAANG-Aktien eine Talfahrt aus. Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege beim US-Finanzinvestor Blackrock, sieht die wesentlichen Gründe für den Absturz der Tech-Werte in der Warnung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor erhöhten Risiken für die Finanzmärkte und in den Spekulationen über Zinserhöhungen. „Investoren sichern sich nun Kursgewinne“, meint Herrmann und ergänzt darüber hinaus: „Fundamental stehen die Unternehmen solide da, was auch das weiterhin überdurchschnittliche Weltwachstum widerspiegelt.“ Doch wie solide stehen Apple & Co. tatsächlich da? Die Bewertungen vieler Technologiekonzerne begründen sich auf Wachstumsversprechen, die gerade in unruhigen Zeiten zu einem großen Problem werden können. Cashflows werden erst nach einigen Monaten erwartet. Steigen also die Zinsen, müssen zukünftig Gewinne höher diskontiert werden, was – wie auch bei Anleihen mit langer Laufzeit – zu einer Neubewertung und Kursabschlägen führt.
Alec Young vom Indexanbieter FTSE Russel führt den Kurssturz des vergangenen Monats ebenfalls auf die Angst vor steigenden Zinsen zurück. Diese hätten vor allem für den Streaming-Anbieter Netflix gravierende Auswirkungen. Erst vor kurzem hat das Unternehmen einen hochverzinsten Junk-Bond aufgelegt, um den negativen Cashflow zu finanzieren. Der Grund: Filme, Serien und Lizenzen müssen vorab finanziert werden, spielen aber erst über Jahre Gewinne ein. Deshalb fließt netto mehr ab, als brutto reinkommt. Laut Tuna Amobi von CFRA könnte das schnell zum Problem werden: „Steigende Zinsen könnten Netflix zunehmend anfällig für höhere Kapitalkosten machen“.
Jetzt, da sich der Börsenhimmel eingetrübt hat, möchten Anleger Kursgewinne mitnehmen. Und das geht eben besonders gut dort, wo die Gewinne am größten sind. „Technologieaktien sind in den vergangenen Jahren einfach unglaublich gut gelaufen“, sagt Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie der Deka-Bank. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass gerade Tech-Aktien in diesen Tagen verkauft werden.
Falsche Wachstumsfantasien
Doch liegt der Negativtrend ausschließlich an externen Faktoren? Wohl kaum. Tech-Konzerne haben zwar überwiegend solide Quartalszahlen vorgelegt, aber gleichzeitig vorsichtige Wachstumsprognosen für die kommenden Monate ausgesprochen. So nennt Amazon ein Umsatzwachstum, das nur noch halb so groß ist wie am Anfang des Jahres - nämlich 15 anstatt 30 Prozent. Auch Facebook schwächelt: Während sich Gewinn pro Aktie noch im Rahmen der Börsenerwartungen bewegte, entwickeln sich Umsätze und Nutzerzahlen schlechter als prognostiziert, vor allem in Europa. Tech-Gigant Apple knackte zwar vor kurzem die 1-Billion-Dollar-Marke, bleibt aber trotzdem unter den Erwartungen der Anleger – nicht zuletzt, weil das nächste Big Thing der Kalifornier ausbleibt. Google Mutter Alphabet hat es ebenfalls erwischt, dabei waren die Zahlen gar nicht so schlecht – im Gegenteil, das Unternehmen hat die Erwartungen sogar geschlagen. Doch Anlegern gefielen die Umsatzerwartungen für die kommenden Monate nicht. Einzig und allein Netflix überrascht mit einem starken Kundenzuwachs, auch im laufenden Quartal. Das hat seinen Preis: Anleihen im Nettoumfang von 7,6 Milliarden Dollar sorgen für einen negativen Cashflow, der mit steigenden Zinsen als Bumerang zurückkommen könnte.
Große Werbeeinnahmen
Jahrelang haben die Tech-Giganten die Börse angetrieben, jetzt schwächen die FAANG-Werte die Kurse deutlich. Doch Investoren legen immer noch viel Wert auf Aktien von Facebook & Co in ihren Depots – auch wenn der Anteil mittlerweile so gering wie zuletzt in Zeiten der Finanzkrise ist. Klar ist aber auch, dass die Digitalisierung der Weltwirtschaft ungebrochen ist und der Markt für Tech-Aktien deshalb langfristig stabil bleiben sollte. Ungeachtet der Skandale und verfehlten Wachstumsfantasien der Börsianer ist Facebook weiterhin eine Geldmaschine. So kletterte der Gewinn im dritten Quartal um neun Prozent auf knapp 5,14 Milliarden-Dollar. Mit 13,73 Milliarden Dollar liegt der Umsatz nur leicht unter den Erwartungen. Zwar schrumpfte die Wachstumsrate bei Werbung, die wichtigste Einnahmequelle des Unternehmens, um 16 Prozent, liegt aber immer noch 33 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Deshalb verwundert es nicht, dass die überwältigende Mehrheit der Analysten die Facebook-Papiere zum Kauf empfiehlt. Das könnte auch daran liegen, dass Experten Wachstumspotentiale vor allem bei den von Facebook aufgekauften Unternehmen Instagram (Soziales Netzwerk) und Oculus Rift (VR-Technologie) sehen. Wurden laut der International Data Corporation (IDC) im vergangenen Jahr lediglich 14 Milliarden Dollar auf dem VR/AR-Markt umgesetzt, sollen es 2022 bereits 209 Milliarden Dollar sein. Auch der digitale Fotodienst wirkt derzeit als Stabilisator der Facebook-Aktie, denn das sich verändernde Nutzungsverhalten der jungen Generation schadet zwar der Mutterplattform selbst, spielt Instagram aber in die Karten.
Wie lang der Winter für Facebook-Aktionäre trotz der guten Gewinn- und Umsatzzahlen dauern wird, ist ungewiss. Das hängt wohl auch davon ab, wann das nächste Big Thing kommt, das das vorhandene Marktpotential ausschöpft und damit den Erwartungen der Börsianer gerecht wird. Aus dem Umfeld des Konzerns hört man in diesen Tagen, dass Topmanagerin Sheryl Sandberg das erste Opfer der Facebook-Krise sein könnte. Die 49-Jähige war bislang immer das „Hitzeschild“ des 15-Jahre jüngeren Zuckerbergs, der Sandberg nun persönlich für Teile der Misere verantwortlich mache, verkündet das „Wall Street Journal“. Der prominente CNBC-Börsenanalyst Jim Cramer meint unlängst, dass die Facebook-Aktie prompt steigen würde, sobald Zuckerberg die Topmanagerin absägt. Beziehungsstatus: kompliziert.
Florian Spichalsky