Volkswagen bekommt neuen Chef - Aktie steigt
Der Vorstand des Volkswagen-Konzerns steht vor einem grundlegenden Umbau. Neuer Vorstandschef soll Herbert Diess werden, der bislang Chef der Kernmarke VW ist. Die Börse reagierte unmittelbar: Der VW-Aktienkurs stieg infolge der Meldung um vier Prozent und setzte sich damit an die Spitze des DAX.
Der Vorstand des Volkswagen-Konzerns steht vor einem grundlegenden Umbau. Neuer Vorstandschef soll Herbert Diess werden, der bislang Chef der Kernmarke VW ist. Die Börse reagierte unmittelbar: Der VW-Aktienkurs stieg infolge der Meldung um vier Prozent und setzte sich damit an die Spitze des DAX.
Von Sebastian Sigler
Der Vertrag von Vorstandschef Matthias Müller läuft eigentlich noch bis 2020. Doch nun muss er gehen. Offiziell hat der weltgrößte Autobauer bisher lediglich mitgeteilt, dass die Führungsstruktur „weiterentwickelt“ werden solle. Dabei habe der 64 Jahre alten Müller, der seit 2015 im Amt ist, bereits seine Bereitschaft erklärt, „an den Veränderungen mitzuwirken“. Doch das bedeutet im Klartext wohl: Müller ist in der Defensive, sein Sturz soll als Fallschirmsprung bemäntelt werden. Von personellen Veränderungen „im Vorstand und bei den Ressortzuständigkeiten“ war in Wolfsburg kryptisch zu hören – fast schon eine Bestätigung war da der Satz: „Dazu könnte auch eine Veränderung im Amt des Vorstandsvorsitzenden gehören.“ Und bereits auf der nächsten Sitzung des Aufsichtsrates am Freitag, den 13. April könnten vollendete Tatsachen geschaffen werden.
Die Familien Porsche und Piech hatten Müller im September 2015 aufs Schild gehoben, als der damalige Konzernchef Martin Winterkorn im Zuge des Dieselbetrugs zurücktreten musste. Welche Schritte im Einzelnen geplant sind und was dies konkret für die Zukunft von Volkswagen bedeuten könnte, blieb derweil unklar. Am Freitag wird der Aufsichtsrat des weltgrößten Autoherstellers über die Kernmarke VW reden, deren verbesserte Zahlen, speziell bei der Rentabilität, was offensichtlich Diess zugutekommt. Doch es dürfte es auch um Umbaupläne der Sparten und eine mögliche Abspaltung des Lkw-Geschäfts gehen. Hat der scheidende Konzernchef Müller hier nicht schnell genug umgesteuert? Die Ablösung von Müller soll angesichts dessen schon seit Monaten von den Mehrheitseignern geplant worden sein.
Müller als „Diesel-Judas“ – wie sehr hat ihm das geschadet?
Immerhin – bei Volkswagen ist der interne Umbau seit langem ein Thema, der riesige Konzern kämpft mit komplexen Strukturen und will den einzelnen Marken und Regionen mehr Verantwortung geben. Außerdem erfordern die Elektromobilität und die Vernetzung viele Veränderungen, der Konzern investiert hier bereits Milliarden. War Müller hier mit seinen Äußerungen zum Dieselantrieb zu hoch am Wind? Immerhin musste er sich von der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer vorwerfen lassen, der „Diesel-Judas“ zu sein.
Oder war der Schatten des früheren Aufsichtsratschefs Ferdinand Piech zu lang? Der hatte den Konzern zu einem Imperium mit zentraler Führung aufgebaut, und Winterkorn war sein augenscheinlich autokratischer Statthalter. Denn die einzelnen Regionen und Marken hatten durch Müller mehr Mitsprache in der Modellpolitik erhalten, die Konzernmarken bekamen auch formell mehr Eigenständigkeit.
Wenn Diess den Chefposten übernimmt, warten auf ihn gewaltige Aufgaben. Vor allem die Nachwirkungen des Dieselskandals halten den größten deutschen Autobauer weiter fest im Griff. Die Aufarbeitung der Abgasmanipulationen kostete für Rückrufe, Schadensersatz und Strafen bereits mehr als 25 Milliarden Euro – und das allein in den USA! Noch sind die Gesamtkosten gar nicht abzusehen. Denn rund um den Globus verlangen Anleger und ihre Anwälte einen Ausgleich für Kursverluste der VW-Aktie im Zuge des Abgasskandals. Die Kläger werfen Volkswagen vor, sie zu spät über den Einsatz von Software zur Manipulation von Abgaswerten informiert zu haben. Allein beim Oberlandesgericht Braunschweig sind mehr als 1.600 Anlegerklagen im Gesamtvolumen von rund neun Milliarden Euro anhängig.
Kartellvorwürfe und Tributzahlungen?
Seit dem vergangenen Sommer müssen sich die Wolfsburger zudem gegen den Verdacht illegaler Absprachen mit Konkurrenten wehren. Laut „Spiegel“ haben sich die fünf deutschen Automarken VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz seit den 90er-Jahren in geheimen Treffen über Technik, Kosten, Zulieferer und Märkte abgesprochen. Ermittler der EU-Kommission waren daraufhin bei Daimler und Volkswagen an und ließen sich Unterlagen aus dieser Zeit aushändigen. Derartige Probleme kosten den Konzern ständig Geld, und die Reputation leidet. Auch die Warnungen weitblickender Ökonomen, der ganze Kartellverdacht sei weder schädlich noch strafwürdig, sondern lediglich Ausdruck falsch interpretierter Kartellregelungen, verhallt weitgehend.
Volkswagen ist in der Defensive, und der Ausgangspunkt dafür sind die horrenden Zahlungen in den USA. Auch wenn hochspezialisierte Techniker – und darunter erfahrene Ingenieure! – zu bedenken geben, dass es zu den Strafen nur kommt, weil die Grenzwerte für kleine Dieselmotoren in den USA im Vergleich zu größeren Modellen erstaunlich streng sind. Wobei nur ein Schelm sich etwas dabei denkt, wenn er erfährt, dass es keinen US-Ingenieur gibt, der die VW-Motoren auch nur ungefähr nachbauen könnte.
Volkswagen ist nicht zu Unrecht Weltmarktführer im Automobilbau, und unter Matthias Müller konnte diese Position, die kurz verloren war, wiedergewonnen und gefestigt werden. Das sei nicht vergessen. Angesichts der Zukunftsaufgaben und der andauernden, fast an Tributzahlungen gemahnende Strafzahlungen für teils obskure Vorwürfe im Dieselskandal wird jetzt ein Wechsel gebraucht. Einer, der VW-Stallgeruch hat. Und obwohl er bei BMW schon eine Vorstandskarriere hingelegt hat, gelang es Diess, genau diesen Stallgeruch sehr schnell zu bekommen. Dass die Wahl auf ihn fiel, könnte Volkswagen sehr nützen. Das wissen auch die Anleger. Die VW-Aktie jedenfalls hat sehr deutlichen Rückenwind – dank Diess.