Piëch "auf Distanz": Fällt Winterkorn in Ungnade?
Bei Volkswagen läuft es, insgesamt betrachtet, rund – allerdings nicht bei der Kernmarke, sondern vorwiegend bei den Nobelmarken Audi und Porsche. Analysten erwarten trotz der nach wie vor zu geringen Rendite bei der Kernmarke VW weiter steigende Kurse für den Konzern. Konzernchef Winterkorn könnte allerdings jetzt bei Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch in Ungnade gefallen sein.
Bei Volkswagen läuft es, insgesamt betrachtet, rund – allerdings nicht bei der Kernmarke, sondern vorwiegend bei den Nobelmarken Audi und Porsche. Analysten erwarten trotz der nach wie vor zu geringen Rendite bei der Kernmarke VW weiter steigende Kurse für den Konzern. Konzernchef Winterkorn könnte allerdings jetzt bei Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch in Ungnade gefallen sein.
Volkswagen-Chef Martin Winterkorn hat wie immer ehrgeizige Pläne. „Ziel ist es, im Geschäftsjahr 2015 sowohl beim Volumen als auch bei Umsatz und operativen Ergebnis des Konzerns erneut zuzulegen.“ Die Aktionäre erwarten nichts anderes von ihm – schließlich wird er dafür fürstlich entlohnt. Allerdings stellt sich überraschend die Frage, ob das bisher Erreichte genug ist. Die Erlöse kletterten 2014 um knapp drei Prozent auf 202,5 Milliarden Euro – und damit zum ersten Mal über die 200-Milliarden-Marke. Das operative Ergebnis wuchs sogar um 8,8 Prozent auf 12,7 Milliarden Euro, was ebenfalls Rekord ist. Doch für den Gewinnsprung sind in erster Linie die beiden Premiummarken Audi und Porsche verantwortlich. Zusammen erwirtschafteten sie etwa zwei Drittel des operativen Ergebnisses. Und das ist zugleich das Problem der Kernmarke VW. Konzernchef Martin Winterkorn könnte darüber stolpern.
Seine ehrgeizigen Pläne scheinen Winterkorn nicht mehr zu helfen. Sein Vertrag endet zum Jahresultimo 2016, und das allseits erwartete Aufrücken auf den Vorsitz im Aufsichtsrat ist in Frage gestellt: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, läßt sich Ferdinand Piëch vernehmen, und es ist ein offenes Geheimnis, dass ohne ihn nichts läuft – die Familien Piëch und Porsche halten 53 Prozent der VW-Anteile. Offiziell ist die Entscheidung über Winterkorns Zukunft ins nächste Jahr vertagt, doch seit Winston Churchills legendärem Ausspruch ist bekannt, dass Aufschub die tödlichste Form der Ablehnung ist. VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh lobt Winterkorn derweil, doch ob sein Wort gegen das des Grandseigneurs im Aufsichtsrat bestehen wird, ist mehr als fraglich. Piëch seinerseits lässt wie unabsichtlich verlauten, dass Winterkorns Nachfolger „schon im Unternehmen seien“. Und: sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat sollen durch Ingenieure geführt werden – ganz nebenbei scheidet sang- und klanglos Audi-Chef Rupert Stadler aus dem Rennen um die Winterkorn-Nachfolge aus. Winterkorn, der Noch-Vorstandchef, kann derweil bereits heißen Atem im Nacken spüren – um zu wissen, wessen Atem es ist, muss man derzeit Piëch oder Porsche heißen.
Dies alles ficht Winterkorn rein äußerlich zunächst nicht an. Er verkündet unverzagt, dass es auch weiterhin bergauf gehen wirdl: „Mit 11,5 Milliarden Euro haben wir im Jahr 2014 so viel für Forschung und Entwicklung aufgewendet wie kein zweites Unternehmen auf der Welt.“ Als Beispiel verweist er auf die Zukunftsfelder Elektromobilität und Digitalisierung. Mit reinen E-Autos wie dem e-up!1 und dem e-Golf, Plug-in-Hybriden wie dem A3 e-tron, dem Golf und Passat GTE, dem Panamera E-Hybrid oder dem Cayenne S E-Hybrid bis hin zu technologischen Speerspitzen wie dem XL 1 und dem Porsche 918 Spyder biete Volkswagen bereits heute die breiteste Elektro-Flotte der Automobilwelt an. Ein weiteres Beispiel sei das automatisierte Fahren. „Wir werden mit Audi und Volkswagen zu den ersten gehören, die diese Technologie erfolgreich vermarkten“, so Winterkorn.
Probleme mit der Kernmarke VW
Bei so viel Licht gibt es aber auch Schatten. Während Audi und Porsche alle Rekorde brechen, dümpelt das Brot-und-Butter-Geschäft vor sich hin. So besteht bei der Kernmarke VW noch viel Luft nach oben. Die Marke Volkswagen Pkw erzielte 2014 einen Umsatz in Höhe von 99,8 Milliarden Euro, ein Plus von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Niedrigere Absatzzahlen auf den rückläufigen südamerikanischen Märkten, eine krisenbedingt sinkende Nachfrage in Russland, sich verschlechternde Wechselkursverhältnisse speziell im ersten Halbjahr und höhere Vorleistungen für neue Technologien wirkten sich negativ auf das operative Ergebnis aus. Es lag mit 2,5 Milliarden Euro (2013: 2,9 Milliarden) um 417 Millionen Euro unter dem Vorjahr. Die operative Rendite lag bei 2,5 Prozent (2013: 2,9 Prozent).
In der größten Volkswirtschaft der Welt, in den Vereinigten Staaten, wartet Volkswagen weiterhin auf die Trendwende.
Im März sanken die Verkaufszahlen der VW Pkw verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 18 Prozent auf gut 30.000 Neuwagen. Während der Golf sich fast doppelt so oft verkaufte wie vor einem Jahr, brachen die Auslieferungen bei den Volumenbringern Passat und Jetta um jeweils mehr als Viertel ein. Gut 79.000 Neuwagen konnte Volkswagen Pkw an die Kunden bringen. Solange das China-Geschäft für die Wolfsburger weiter so brummt wie in den vergangenen Jahren, dürfte das schleppende Geschäft in den USA zu verkraften sein. Inzwischen werden fast 40 Prozent der Verkäufe von VW in China getätigt. Sollte es im Reich der Mitte jedoch irgendwann nicht mehr so rund laufen, sieht das Ganze wieder ganz anders aus.
Russland als Gewinnbremse
Wie bei anderen Autoherstellern auch drückt der Schuh vor allem in Russland. Bei immer mehr Herstellern wird die Produktion zurückgefahren oder unterbrochen, weil sich die Verkaufszahlen seit einiger Zeit im freien Fall befinden. Beispielsweise zieht sich Opel zur Jahresmitte komplett aus Russland zurück. Die VW-Tochter MAN hat wegen der anhaltenden Krise in Russland seine dortige Produktion seit dem 1. März ausgesetzt. Die Produktion am Standort Sankt Petersburg soll zunächst bis zum 12. Mai ruhen. Die Wirtschaft in dem einstigen Hoffnungsmarkt leidet in großem Maße unter den schwachen Ölpreisen und den westlichen Sanktionen als Reaktion auf die Ukraine-Krise. Hinzu kommen die Preiserhöhungen aufgrund des Rubel-Verfalls.
Im vergangenen Jahr hatte Winterkorn seinem Kerngeschäft bei VW eine Milliardendiät verordnet. Über alle zwölf Marken des Konzerns verteilt will das Management die Kosten Insidern zufolge in den nächsten Jahren um zehn Milliarden Euro senken. Auch will man in der Pkw-Sparte die weltweite Standortbelegung optimieren. Modelle, die nicht mehr zur Nachfrage und zu den Renditeerwartungen passen, sollen gestrichen werden. Vielfalt wird dort, wo sie keinen Mehrwert bringt, reduziert. Trotz des laufenden Sparprogramms will Volkswagen eine halbe Milliarde Euro in den Ausbau der Produktion in der slowakischen Hauptstadt Bratislava investieren. Mit dem Geld soll die Fertigung in diesem Werk ab 2017 erweitert und Hunderte neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Fast die gesamte Produktion der Fabrik geht ins Ausland, allein ein Drittel nach Deutschland. Zuletzt profitierte Volkswagen wie andere deutsche Hersteller auch kräftig von der anziehenden Erholung des europäischen Automarkts.
Aktienrallye seit sechs Monaten
Aller Probleme bei VW und in Rusland zum Trotz – die im DAX notierte Vorzugsaktie von VW marschiert seit Herbst 2014 scheinbar unaufhaltsam nach oben. Vor einem halben Jahr stand der Titel noch bei rund 150 Euro. Heute sind mehr als 250 Euro, das ist ein Plus von rund 65 Prozent. Analysten gehen davon aus, dass der Aufwärtstrend anhält. Für die Experten von Kepler Cheuvreux etwa ist Volkswagen ein „Kauf“, ihr Kursziel liegt bei 275 Euro. Nach der Aktienrallye im europäischen Automobilsektor der vergangenen sechs Monate sollten Anleger zugleich einen neutralen Standpunkt zu diesem Segment einnehmen. Die Bank kürzte ihre 2015er-Prognose für das weltweite Pkw-Nachfragewachstum von 2,7 auf 2,0 Prozent.
Das US-Analysehaus Bernstein Research gibt ein Kursziel von 280 Euro aus. Ein Faktor ist dabei auch das von Apple geplante Elektroauto. Die Wahrscheinlichkeit, dass der iPhone-Hersteller in absehbarer Zeit ein iCar baut, sei gering, die Idee aber nicht völlig abwegig.
Allein die Spekulationen darüber könnten die Autoindustrie aber zu einer deutlich beschleunigten Forschung an leistungsfähigeren Batterien und am autonomen Fahren bewegen. Die europäischen Automobilaktien schätzen die Experten weiterhin mit „neutral“ ein. Die bevorzugten Branchenwerte bleiben Volkswagen und Peugeot. Unter allen Analysten zeigte sich zuletzt einzig und allein die Investmentbank Equinet nicht ganz so zuversichtlich, was das Kurspotenzial der VW-Aktie betrifft. Die Bank hat die Einstufung für die Vorzugsaktien von Volkswagen nach US-Absatzzahlen für März auf „Neutral“ belassen. Während Daimler und BMW stark abgeschnitten und ihren Absatz erneut gesteigert hätten, habe Volkswagen mit der Marke VW deutliche Einbußen hinnehmen müssen. Der starke Absatz der Marke Audi habe dies nicht vollständig kompensieren können.
Winterkorns letzte Chance
Unabhängig davon, was die Zukunft für VW-Chef Winterkorn bringt: Für die Aktionäre gibt es derzeit nicht viel zu meckern. Die Dividende soll im Zuge des Erfolgskurses im Mai bei der Stammaktie um 20 Prozent auf 4,80 Euro und je Vorzugsaktie auf 4,86 Euro erhöht werden. Wird das diesjährige Ziel Winterkorns, alle bisherigen Rekorde zu schlagen, erreicht, dürfte es auch im kommenden Jahr wieder ordentliche Gewinnausschüttungen geben. Bislang sieht es dafür gut aus. Der Konzern ist vielversprechend in das Jahr 2015 gestartet. In den ersten beiden Monaten wurden weltweit mehr als 1,5 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sowie Lkw und Busse ausgeliefert. Das entspricht einem Plus gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 1,6 Prozent. „Für das Gesamtjahr 2015 erwarten wir, dass die Auslieferungen trotz des weiterhin herausfordernden Marktumfelds moderat steigen werden“, sagt Vorstandschef Winterkorn. Vielleicht ist das Erreichen dieses ehrgeizigen Zieles seine letzte Chance, seinem Zieh- und Übervater Piëch doch noch auf den Chefsessel des VW-Aufsichtsrats nachzufolgen.