Was die Elefantenhochzeit am Wohnungsmarkt für Aktionäre bedeutet
Inmitten einer aufgeheizten Atmosphäre, in der sich Mieter für die Enteignung ihrer Vermieter stark machen, kündigen die beiden größten Wohnungsbaukonzerne Deutschlands an, sich zusammenzuschließen. Was bedeutet das für ihre Mieterinnen und Mieter, für Aktionäre und die Politik?
Inmitten einer aufgeheizten Atmosphäre, in der sich Mieter für die Enteignung ihrer Vermieter stark machen, kündigen die beiden größten Wohnungsbaukonzerne Deutschlands an, sich zusammenzuschließen. Was bedeutet das für ihre Mieterinnen und Mieter, für Aktionäre und die Politik?
Der geplante Zusammenschluss der beiden führenden deutschen Wohnbaukonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen platzt in eine aufgeheizte politische Atmosphäre: Bürgerinitiativen für bezahlbares Wohnen machen derzeit in Großstädten mobil. In Berlin zum Beispiel sammelt die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ fleißig Stimmen, um noch in diesem Jahr einen Volksentscheid zu erzwingen. Am Pfingstwochenende gab es dort ein „Enteignungscamp“.
In München, wo die Wohnmieten zwischen 2015 und heute um mehr als 26 Prozent stiegen und inzwischen die höchsten Mieten bundesweit aufgerufen werden, trommelt die Initiative „Ausspekuliert“ für bezahlbaren Wohnraum. Sie begreift sich als „Teil einer bundesweiten Bewegung, die versucht, den Reichen und Mächtigen auf den Füßen zu stehen und bei Bedarf laut zu protestieren“. In Leipzig hat das Aktionsbündnis „Leipzig für alle“ einen offenen Brief formuliert, und darin „soziale Gerechtigkeit für alle Mieter*innen“ gefordert. In der sächsischen Metropole sind die Mietpreise in den vergangenen fünf Jahren um eine Viertel gestiegen. In Hamburg haben sich Bürgerinitiativen unter dem leicht holpernden Motto „Keine Profite mit Boden und Miete“ zusammengeschlossen und protestieren für mehr bezahlbaren Wohnraum. Angesichts der aufgeheizten Stimmung widmen alle Parteien in ihren Wahlprogrammen, soweit sie vorliegen, dem Thema ausführliche Kapitel. SPD-Vize Kevin Kühnert trumpfte am Wochenende mit dem Vorschlag auf, Vermietern Steuererleichterungen zu versprechen, wenn sie die Mieten nur maßvoll erhöhen.
Auf zur Vorwärtverteidigung
Vor diesem Hintergrund haben sich die beiden größten Wohnungsbaukonzerne offenbar zur Vorwärtsverteidigung entschlossen: Sie kündigten an - noch während die Enteignungsbefürworter am Montag ihr Camp abhielten - sich zusammenzutun und den mit mehr als einer halben Millionen Wohnungen größten Wohnbaukonzerne Europas bilden zu wollen. Reagieren sie auf Druck mit Gegendruck? Oder haben sie den Aktionären, den Mieterinnen und Mietern sowie den Politikern, die sich für die Mieter in die Bresche schmeißen, wirklich handfeste Vorteile zu bieten?
Die Antworten fallen unterschiedlich aus, je nachdem aus welcher Perspektive sie beurteilt werden. Klappt der Deal entsteht ein Konzern, der an der Börse mit voraussichtlich 45 Milliarden Euro bewertet würde. Vonovia bietet dabei den Deutsche-Wohnen-Aktionären insgesamt 53,03 Euro, bestehend aus einem Angebotspreis von 52,00 Euro in bar sowie einer der Hauptversammlung der Deutsche Wohnen am 1. Juni 2021 vorgeschlagenen Bardividende in Höhe von 1,03 Euro je Aktie der Deutsche Wohnen. Dies entspricht einer Prämie von 17,9 Prozent auf den Schlusskurs der Deutsche Wohnen von Ende letzter Woche und von 25 Prozent auf Basis des gewichteten Durchschnittskurses der Deutsche-Wohnen-Aktie der letzten drei Monate. Die Prämie entspricht damit dem, was durchschnittlich bei einvernehmlichen Übernahmen gezahlt wird. Das Angebot bewertet Deutsche Wohnen insgesamt mit rund 18 Milliarden Euro. Vonovia-Chef Rolf Buch hat es diesmal so abgestimmt, dass Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn es unterstützt. Beide sprechen von einem fairen Angebot. Genau das war vor fünf Jahren nicht der Fall: Damals scheiterte Buch mit seinem ersten – feindlichen – Übernahmeversuch.
Aktionäre müssen Kapitalerhöhung mittragen
Grundsätzlich reagierten Investoren wohlwollend, als im vergangenen Jahr wieder Spekulationen über eine Übernahme aufkamen. Sie rechnen damit, dass ein großer Konzern unterm Strich mehr verdient als beide für sich, weil sich Kosten in Einkauf und Verwaltung sparen lassen. Vonovia beziffert die möglichen Einsparungen auf 105 Millionen Euro im Jahr. Mehr als 50 Prozent der Stimmen der Aktionäre müssen bis Ende August für den Deal zusammenkommen. Vonovia hat sich insgesamt 22 Milliarden Euro gesichert, um die Übernahme zu finanzieren. Acht Milliarden davon will der Bochumer Konzern noch in diesem Jahr durch eine Kapitalerhöhung ablösen – was aus Sicht der Vonovia-Aktionäre erst einmal zu einer Verwässerung ihres Einsatzes führen kann.
Ein wichtiges Wort bei dem Deal haben die Großinvestoren mitzureden: Mit dem weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock und dem norwegischen Staatsfonds sind maßgebliche Großaktionäre bei beiden Unternehmen engagiert. Was sie auf der einen Seite gewinnen, könnten sie auf der anderen verlieren. Und: Ob sie wirklich Grund zur Freude haben, bezweifeln Analysten, die in ersten Reaktionen den beabsichtigten Deal bewerten. Neil Green von JPMorgan glaubt, dass die Bereitschaft von Deutsche-Wohnen-Aktionären begrenzt ist. Denn der Nettoinventarwert, eine für die Bewertung von Immobilienunternehmen gebräuchliche Bewertungskennziffer, habe im letzten Quartalsbericht bei 52,50 Euro je Aktie gelegen – und damit kaum unter dem Angebot.
Mieter sitzen einem XXL-Konzern gegenüber
Mieterinnen und Mieter hätten es künftig mit einem noch größeren Gegenüber zu tun. Ob sich ihre Verhandlungsposition allerdings verschlechtert, weil sie es nicht mehr mit einem XL-Konzern, sondern einem XXL-Konzern zu tun haben, ist fraglich. Der Deutsche Mieterbund sieht genau diese Gefahr. Anlässlich der vor fünf Jahren gescheiterten Übernahme hatte sich der Mieterbund erleichtert gezeigt. Die Gefahr einer übergroßen Marktmacht und eines entsprechend großen politischen Einflusses sei vorerst abgewendet, hatte der heutige Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten kommentiert und hinzugefügt: „Die Elefantenhochzeit von Vonovia und Deutsche Wohnen hätte weder für den Wohnungsmarkt noch für den Mieter irgendwelche Vorteile gebracht.“ Siebenkotten kann seinen Kampf nun von neuem aufnehmen.
Unmittelbare Konsequenzen drohen den Mieterinnen und Mietern allerdings nicht: Bestehende Verträge müssen eingehalten werden. Auch käme Vonovia selbst mit mehr als 500.000 Wohnungen nur auf einen Anteil von leicht über zwei Prozent am gesamten deutschen Mietwohnungsmarkt. Eine marktbeherrschende Stellung und damit die Möglichkeit, überhöhte Mieten zu verlangen, ist auf den ersten Blick nicht zu befürchten. Allerdings gibt es Regionen, wie etwa Berlin, wo der neue Konzern mit rund neun Prozent auf höhere Marktanteile kommt.
Beide Unternehmen wissen um die Sorgen der Mieter und versuchen deswegen im Vorfeld den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Man wolle ein „mieterorientiertes und gesellschaftlich verantwortungsvolles Wohnungsunternehmen schaffen, das in enger Partnerschaft mit der Politik verlässlich zu notwendigen Lösungen vor allem für den Berliner Wohnungsmarkt beitragen kann“, heißt es beschwichtigend in einer Vonovia-Mitteilung. Der alte und voraussichtlich auch neue Konzernchef Buch sagt zu, reguläre Mieterhöhungen in Berlin über drei Jahre hinweg auf höchstens ein Prozent jährlich zu begrenzen. In den beiden danach folgenden Jahren soll nur um so viel erhöht werden, wie die Inflation in Deutschland die Preise insgesamt steigen lässt.
Berlin soll ein Stück vom Kuchen bekommen
Den Berliner Senat um den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), der in den vergangenen Jahren gegen steigende Mieten und Privatisierungen gekämpft hatte, versuchen beide Konzerne zu besänftigen, in dem sie auch ihm ein Angebot vorlegen: Sie wollen „eine signifikante Anzahl an Wohnungen“ aus ihren Beständen an die Stadt verkaufen. Von den gut 150 000 Wohnungen von Deutsche Wohnen liegen 113 000 in Großraum Berlin, bei Vonovia sind es 43000 von mehr als 400 000. Der Mietendeckel der rot-rot-grünen Koalition in der Stadt war kürzlich vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Die Vermieter waren gegen die Obergrenze für die Mieten Sturm gelaufen. Sie warnten davor, dass sich Renovierungen dann nicht mehr lohnten - etwa für altersgerechtes Wohnungen oder Maßnahmen zu einem geringeren Energieverbrauch. Das Urteil der Richter könnte den Plänen der beiden Konzerne zum Zusammenschluss neuen Auftrieb gegeben.
Michael Voigtländer, der sich beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Immobilienmärkten beschäftigt, identifiziert grundsätzlich die steigenden Risiken für Wohnbauunternehmen als Motiv für Zusammenschlüsse. „Durch politische Interventionen entstehen Risiken für die Unternehmen, die tendenziell für große Marktteilnehmer besser zu bewältigen sind als für kleine Unternehmen oder Privateigentümer“, schreibt er in einer ersten Analyse. Dabei haben die Unwägbarkeiten in den vergangenen Jahren noch einmal zugenommen: Sie reichten von Enteignungen bis zu weitreichenden Mietstopps und Einschränkungen bei der Umlagefähigkeit nach Modernisierungen. „Auch in anderen Branchen wie etwa dem Bankensektor sind Regulierungen ein wichtiger Treiber von Zusammenschlüssen“, stellt Voigtländer fest.
Wo bleibt der Kundenbetreuer?
Unterm Strich wird der Erfolg bei den Kunden darüber entscheiden, ob der geplante Zusammenschluss eine gute Idee ist. Kunden sind die Mieterinnen und Mieter. Und da steht es nach Aussage von Vonovia -Mitarbeitern nicht zum Besten. Auf einem Bewertungsportal für den eigenen Arbeitgeber macht ein Bochumer Vonovia-Mitarbeiter jedenfalls seinem Ärger Luft: Das schlechte Image, das den Konzern umgebe, sei „hausgemacht“. Durch lange Bearbeitungszeiten und standardisierten Antworten von Kundenanfragen komme es zu Unmut. „Hier sollte nachgebessert werden“, fordert er seinen Arbeitgeber auf und sagt auch wie: „Zurück zu mehr Individualität und einem richtigen Kundenbetreuer, der seinen Mietern in allen Fragen weiterhelfen kann.“
Oliver Stock