Wie sich Daimler an China verkauft
Zwei chinesische Investoren könnten den in der Coronakrise stark gesunkenen Kurs der Daimler-Aktie nutzen, um ihre Macht bei dem Autokonzern weiter auszubauen. Zum Fürchten, finden die einen. Ein Glücksfall, sagen die andern.
Zwei chinesische Investoren könnten den in der Coronakrise stark gesunkenen Kurs der Daimler-Aktie nutzen, um ihre Macht bei dem Autokonzern weiter auszubauen. Zum Fürchten, finden die einen. Ein Glücksfall, sagen die andern.
Der Mercedes-Stern mit seinen drei Zacken - er stand immer exemplarisch für die deutsche Ingenieurs- und Automobilkunst, für Exklusivität und den Anspruch, das beste Auto der Welt zu bauen. Diesen Anspruch haben sie noch immer in Stuttgart. Doch der Stern ist in die Jahre gekommen. Nach dem Dieselskandal und großen Versäumnissen in Sachen Elektrifizierung hat er Kratzer bekommen. Und das wird nicht besser, wenn die Weltwirtschaft in Folge der Corona-Pandemie in eine tiefe Rezession fährt. An der Börse hat sich längst ein grauer Schleier um den Stern gelegt, von 102 Milliarden Euro Marktkapitalisierung sind nur noch 38 Milliarden übrig. Im Vergleich zu ihrem Höchstkurs wird die Daimler-Aktie inzwischen mit einem Abschlag von fast 70 Prozent gehandelt. Am Markt gilt der Stern aus Stuttgart entsprechend nur noch wenigen als Sehnsuchtsort.
Dieser Minderheit allerdings gehören nicht erst seit heute zwei Großinvestoren aus China an. Gemeinsam halten sie an dem deutschen Traditionskonzern inzwischen mehr Anteile als jeder andere Investor. Zunächst war es der Geely-Gründer Li Shufu, der sich Anfang 2018 über seine Kapitalbeteiligungsgesellschaft Tenaciou3 Prospect Investment für 7,5 Milliarden Euro 9,7 Prozent an Daimler sicherte. Seither ist der Milliardär aus dem Reich der Mitte der größte Einzelaktionär des Autobauers. Im Juli 2019 krallte sich dann die staatliche Beijing Automotive Group (BAIC) ebenfalls einen Sternzacken und stieg für 2,4 Milliarden Euro mit fünf Prozent bei den Stuttgartern ein. Hinter dem Staatsfonds von Kuwait (6,8 Prozent) wurden die Chinesen zum drittgrößten Aktionär.
BAIC plant Ausweitung seiner Anteile auf zehn Prozent
Beide Investments sorgten in Deutschland schon damals für Aufregung. Schließlich geht es beim Anteilserwerb immer auch um Machtverhältnisse. Die könnten sich im Zuge der Corona-Pandemie nun nochmals zugunsten der Chinesen verschieben. Die Nachrichtenagentur Reuters wollte bereits im Dezember des vergangenen Jahres erfahren haben, dass BAIC seine Anteile mittelfristig auf zehn Prozent aufstocken will. Ziel sei es, Geely als größten Aktionär abzulösen und einen Sitz im Aufsichtsrat von Daimler zu ergattern. Der jüngste Kurssturz könnte nun den perfekten Einstiegszeitpunkt darstellen. Noch immer sind die Aktien des Autobauers so günstig wie in den letzten sieben Jahren nicht. Entsprechend könnte auch Geely-Gründer Shufu sein Investment in die Schwaben weiter ausbauen. Damit würde dieses im Schnitt auch billiger. „Ich gehe davon aus, dass Geely bei günstigen Kursen Daimler-Aktien dazu kaufen wird“, sagte Wirtschaftsprofessor und Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer der Börse am Sonntag.
Gemeinsam mit den Plänen von BAIC wären dann mehr als 20 Prozent der Daimler-Anteile in den Händen chinesischer Investoren.Schließen sich beide zusammen, käme eine Sperrminorität in Sichtweite. Geely und BAIC könnten wesentliche Managemententscheidungen der Stuttgarter blockieren.
Noch sind die beiden Unternehmen aber Konkurrenten und betonen stets keine gemeinsamen Pläne zu schmieden. Klar ist jedoch: Der chinesische Einfluss auf Daimler steigt. Damit nimmt auch das Risiko eines zunächst recht einseitigen Wissens- und Technologietransfers zu. Etwa beim Wasserstoff-Antrieb: Daimler Trucks hat jetzt angekündigt am Standort Stuttgart mit Hochdruck die Serienproduktion von Brennstoffzellen vorzubereiten. Vorstandsmitglied Martin Daum wirbt: „Die wasserstoffbasierte Brennstoffzelle ist eine zentrale Technologie von strategischer Bedeutung, wir leisten damit absolute Pionierarbeit.“ Denkbar, dass die Wett- und Mitbewerber aus China an dieser Technologie großes Interesse haben.
Daimler kann profitieren
Auf der anderen Seite öffnet der Einstieg der Chinesen auch Chancen. Vor allem in China selbst – dem nach wie vor wichtigsten Absatzmarkt für Daimler. Mit BAIC arbeiten die Stuttgarter schon seit 2005 zusammen, betreiben unter anderem ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungszentrum und produzieren über ein Joint Venture ein halbe Million Autos pro Jahr. Gemeinsam mit Geely fertigt Daimler den Smart – ab 2022 nur noch als E-Variante und ausschließlich in China. Sollte Geely tatsächlich Anteile zukaufen, „wäre das ein Glücksfall für die Stuttgarter“, glaubt Experte Dudenhöffer. So würde ein „neuer, starker Verbund“ entstehen.
Er betrachtet sowohl BAIC als auch Geely eher als strategische Investoren, die nicht darauf aus sind, den Wert ihrer Anteile zu steigern und sie anschließend gewinnbringend zu verkaufen. Beide Unternehmen sind auf Einfluss, Know-How und gemeinsame Allianzen aus. Entsprechend wäre es nur logisch, würden beide in der gegenwärtigen Lage ihre Anteile erhöhen. Wenn Deutschlands berühmtester Stern in Zukunft wieder leuchtet, dann also vielleicht in einem klar erkennbaren Rot-Ton.
OG