Daimler, VW, BMW: Die große Wette
Alle Autohersteller und Motorenbauer haben Disruption, wie man plötzlichen Wandel heute vornehm nennt, hinter sich und nach menschlichem Ermessen auch vor sich. Was das für das Hier und Jetzt bedeutet.
Alle Autohersteller und Motorenbauer haben Disruption, wie man plötzlichen Wandel heute vornehm nennt, hinter sich und nach menschlichem Ermessen auch vor sich. Was das für das Hier und Jetzt bedeutet.
Von Reinhard Schlieker
Der Weg vom Benz-Motorwagen (ohne Pferde), dem Volks-Kübelwagen, der ‚Kraft durch Freude‘ hinfällig machte und düpierte Besteller hinterließ, die nur wenig unglücklicher waren als spätere Trabant-Kunden, wenn auch stark abgelenkt; und vom Flugzeugmotorenhersteller aus München bis zu den heutigen Anbietern computerisierter Plattformen mit Antrieb war ja nun keineswegs holperfrei.
Und zwar bei keinem. Volkswagen hat mit seinem ehrgeizigen „ID.“-Projekt reichlich Softwareprobleme gehabt, zum Beispiel. Der Kompaktwagen ID.3 stieß nach seiner verzögerten Einführung auf verhaltene Kritiken. Mit das einzige, was bei Volkswagen weitgehend unverändert seit Jahrzehnten angeboten wird, ist die in der Regel nicht für die Öffentlichkeit bestimmte VW-Currywurst (mit OEM Ketchup), obschon auch hier eine Geflügel- und gar vegetarische Variante ins Angebot kamen, auf der gleichen Metzgerplattform natürlich.
Damit enden die Besonderheiten des politiknahen Konzerns noch lange nicht, in erkennbarem Maße allerdings entwickelt sich die VW-Aktie jüngst ähnlich wie die der Konkurrenten, nämlich deutlich nach oben. Zweistellige Zuwächse in wenigen Tagen – das kannte man schon länger nicht mehr, VW war eigentlich seit dem (26 Mrd. Euro verschlingenden) Dieselskandal und dessen Folgen rufmäßig eher beschädigt. Nun kommt den Wolfsburgern wohl zugute, dass die internationale Positionierung der zahlreichen Konzernmarken sowohl die Wünsche der jeweiligen Regulierer als auch der Kunden erfüllen hilft: Die europäische Konzentration auf das Ende von Verbrennungsmotoren wird keineswegs weltweit geteilt, im Gegenteil.
Elektrofahrzeuge mögen einen Ruf als Zukunftsmodell haben, in Wahrheit ist die Technologie ebenso alt wie die des Benziners, und wurde aus Gründen aufgegeben, die bis heute im Weg herumstehen: Die Batterien leisten einfach nicht genug und brauchen in der Regel viel zu lange, bis sie wieder aufgeladen sind. Die Anleger scheinen allen drei Großen der deutschen Branche zuzutrauen, hier noch aufzuholen (Tesla ist weiterhin die Messlatte). Jedenfalls beugen sich die Hersteller den sich ständig verschärfenden Anforderungen aus Brüssel und Berlin, mancher mag sagen, zumindest zum Schein. Denn so unterschiedlich sind die Ausweichstrategien dann am Ende nicht. Daimler hat jüngst mit dem chinesischen Konzern und Volvo-Eigner Geely den Bau hunderttausender traditioneller Motoren vereinbart – das spart hunderte Millionen Euro ein und lässt von Verbrennungstechnologie bis Hybridfahrzeugen jede Anwendung zu. Die deutschen Standorte haben hier das Nachsehen, was der Betriebsrat des Herstellers entsprechend kommentierte. Seit März, dem Corona-Tiefpunkt der Börse, konnte man mit Daimler sein Geld verdoppeln. Das gab es sonst meist nur bei spekulativen Newcomern; nun kann man seine Schlüsse betreffend traditionelle Autobauer daraus ziehen.
Mit sehr vielschichtigen Neuerungen plant BMW. Im Stammsitz München konzentriert man sich auf Plattformen, die eine Herstellung unterschiedlichster Antrieb erlauben, Verbrennungsmotoren werden hier dann nicht mehr gebaut werden, wenn die Umstellung in den Dauerbetrieb mündet. Womöglich bleibt am Ende vor allem Hams Hall in Großbritannien als Motorenwerk für Verbrenner – außerhalb der EU sieht man wohl die einzige realistische Chance in Europa, auch wenn zunächst weiter in Österreich kleinere Verbrennungsmotoren gebaut werden. Die Aktie von BMW ebenfalls obenauf. Offenbar trauen die Anleger den Innovationskräften der Hersteller und nehmen die heutige Durststrecke bei den insgesamt eher unbeliebten E-Autos vorübergehend in Kauf.
Man soll ja langfristig denken. Kurzfristig könnte ein Ende der Handelsauseinandersetzungen mit den USA helfen, wo ein Präsident Biden wohl nicht weitermachen wird wie sein Vorgänger. Dann zeigt auch noch der chinesische Autoabsatz, dass es aufwärts geht. Die Diversifizierung der Autohersteller, die eben längst nicht mehr nur konstruieren und bauen, sondern finanzieren, vermieten, Mobilität als ein Gesamtpaket sehen, lässt manchen Rückschlag kleiner erscheinen. Das gilt nicht für die Arbeitsplätze hierzulande, auch bei den Zulieferern. Der Wandel kostet. Den Aspekt, gemäß dem alten Spruch der Gewerkschaften, „Autos kaufen keine Autos“, haben selektiv anlegende Aktionäre vermutlich nicht restlos im Kalkül. Es wird sich aber erst noch zeigen müssen, ob Deutschland einen Aderlass, wie er bei den Beschäftigten der Autoindustrie bereits angelaufen ist, durch andere Innovationen wettmachen kann. Zweifel sollten angesichts mancher umstrittener Entwicklungen in (Wirtschafts-)Politik, in Sachen Regulierungseifer und anderer absehbarer Holzwege durchaus erlaubt sein. Das trifft dann aber alle.
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