Lufthansa: Der Sinkflug geht weiter
Die Deutsche Lufthansa zählt zu den Verlierern der Woche. Doch auch auf lange Sicht gesehen sind die Papiere kein Kassenschlager. Aktuell kosten sie rund fünfeinhalb Euro und selbst als Schnäppchen will sie kaum jemand haben. Das hat Gründe.
Die Deutsche Lufthansa zählt zu den Verlierern der Woche. Doch auch auf lange Sicht gesehen sind die Papiere kein Kassenschlager. Aktuell kosten sie rund fünfeinhalb Euro und selbst als Schnäppchen will sie kaum jemand haben. Das hat Gründe.
Von Reinhard Schlieker
Mit Netflix kann man ganz gut über die Runden und virtuell sogar rund um die Welt kommen. Ersteres im Lockdown ohne Wiederkehr, letzteres beim Brutalo-Eastern „Squid Game“ (Korea), „Bridgerton“ (Großbritannien) und natürlich etlichen US-Blockbustern von der dortigen, wild-romantischen Westküste; die der Streamingdienst zur Abonnentengewinnung einsetzt und zahlende Kunden an Bord lockt, dass die Schwarte kracht. Vor dem traditionell weihnachtlichen Weihnachtsquartal mit neuen Reisezielen offenbarte der Rückblick aufs letzte Vierteljahr 1,45 Milliarden Dollar Gewinn.
Am kommenden Donnerstag will die Deutsche Lufthansa über die Ergebnisse ihrer Reisetätigkeit und anderer mehr oder weniger lohnender Aktivitäten Zeugnis ablegen, das umfasst ebenfalls den Zeitraum der ersten neun Monate des Jahres und verspricht spannende Unterhaltung. Das Genre changiert vermutlich zwischen Horrorschocker und düsterem Dokudrama. Ob man dafür mit gutem Gewissen Eintrittspreise verlangen kann, ist eher zweifelhaft, denn das Happy End fehlt derzeit völlig.
Völlig klar, die Corona-Pandemie hat Fluglinien belastet wie kaum eine Branche sonst, es gibt Gegenwind aus der Klima-Aktivistenecke und Kämpfe hinter den Kulissen um Marktanteile, Subventionen und Begünstigung hier und dort, was man sich sonst nur bei Netflix vorstellen kann, wenn man dort Serienkonsument ist. Der Kurs der Lufthansa dümpelt derzeit auch nach einigen ganz ordentlichen Nachrichten und positiven Analystenkommentaren durch phantasiebegabte Fondsgesellschaften und Marktforscher mit weitem Blick, sehr weitem, um die fünfeinhalb Euro. Das wurde nicht einmal in den Kurstälern der vergangenen zwanzig Jahre abwärtsstrebend erreicht, man findet diese in den Chroniken von 2005 oder 2009 oder 2012.
Noch weiter zurückgeblickt und man stößt auf kernige Kernaussagen etwa eines Artikels im „Manager-Magazin“, nämlich im Jahre des Herrn 1992, unter der Regentschaft von Jürgen Weber, immerhin später gefeierter Erfinder der Star Alliance: „Der Konzern war ertragsschwach, unproduktiv, hatte zu viele Flugzeuge, lag weit hinter der Konkurrenz und war gefesselt von Tarifverträgen und einer überaus üppigen Altersversorgung für Mitarbeiter.“ Und: „Ohne radikalen Kurswechsel fliegt die Deutsche Lufthansa AG in den Konkurs“.
Das müsste nach fast dreißig Jahren antiquiert, aus der Zeit gefallen und längst überholt klingen. Tut es aber seltsamerweise nicht. Denn die Pandemiezeit hat viele Probleme überdeckt, die hinter dem dunklen Vorhang weiterwaberten, eine bekannte ungute Mischung aus abgeflautem Interesse an Geschäftsreisen, gestrichenen Flugzielen und behindernden Regulierungen, Bürokratie gepaart mit Partikularinteressen von Piloten und Kabinenpersonal und deren Gewerkschaften, dazu teils verzweifelte Unternehmungen der Konzernleitung wie etwa ausgeklügelte Systeme von Tarifen bei Tochtergesellschaften - das alles nur noch im Verteidigungsmodus gegen Billigflieger aus nah und fern.
Das Positivste, was man derzeit in Analystenmeinungen finden kann, ist die lapidare Aussage, die Lufthansa habe das Schlimmste hinter sich und die Aktie sei daher zu kaufen, oder, weniger tollkühn, eine Halteposition. Vermutlich reichte schon die jüngst gelungene Kapitalerhöhung um 2,16 Milliarden Euro, deren Verwendung für eine Rückzahlung weiterer Staatshilfen aus der Pandemiezeit, und der Ausblick auf sich öffnende Flugziele, um solcherart Optimismus herbeifliegen zu lassen. Wenn der alte Fluch zurückkommt, nämlich die hauseigenen Probleme wie geschildert, hilft es nichts. Bei der Lufthansa fehlt es an innerem Zusammenhalt, und warum die Aufbruchsstimmung im Konzern nicht alle oder fast alle erfasst, ist ein Rätsel und eine Aufgabe. Denn entgegen vulgärökonomischer Auffassung, gern in diversen Publikationen verbreitet, sind Entlassungen von Arbeitskräften oder deren Knechtung im Unternehmen keineswegs Sternstunden der Börsianer oder anderer herzloser Kapitalisten: Man schaut in der Regel schon sehr darauf, was die tieferen Gründe von Sparprogrammen in Unternehmen sein könnten, und wer diese für einen neuen großen Anlauf braucht, ist stets besser angesehen als eine Firma auf Schrumpfkurs.
Wofür sich Lufthansa entscheiden muss oder wird, sieht man womöglich in einem Jahr. Wo die Messlatte hängt, weiß man schon heute: Quatar Airways ist der Branchenkönig. Die Linie aus dem Emirat genießt zwar zu Hause Wettbewerbsvorteile, die sich gewaschen haben. Aber sie profitierte mindestens genauso von einem charismatischen Chef, der beherzt anpackt, wie auch dessen Gespür für Kundenwünsche. Am wichtigen Drehkreuz Doha kommt kaum noch etwas vorbei, was in Asien herumfliegen will. Als Katar freundschaftliche Verbindungen zur Lufthansa knüpfen wollte, schon eine ganze Weile her, war man sich hierzulande wohl zu fein oder zu selbstbewusst. Jetzt kommen die Flieger aus dem Emirat kooperativ mit British Airways, übrigens, massiv nach Europa, und die Einschläge kommen näher.
Die Lufthansa, will sie vom alt-ehrwürdigen Etikett das Alte loswerden, ohne das Ehrwürdige aufzugeben, hat hier eine neue Herausforderung. Vielleicht ging ja hier ein Staffelfinale im LH-Drama nicht so gut aus. Für den Serienschluss aber ist hoffentlich das Drehbuch noch nicht geschrieben.
Lesen Sie auch: Jens Weidmanns Rückzug ebnet den Weg für weiter steigende Inflationsraten