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Kommt mehr so vom Geld her: Die Adyen-Aktie

Die Inhaber von Rüstungsaktien, oder von Firmen, die auch mit Verteidigung zu tun haben, vornehmlich in den USA, durften in den letzten Tagen eine neue Sorte von mulmigem Gefühl kennenlernen (nein, weder Angst noch Gier).

Die Inhaber von Rüstungsaktien, oder von Firmen, die auch mit Verteidigung zu tun haben, vornehmlich in den USA, durften in den letzten Tagen eine neue Sorte von mulmigem Gefühl kennenlernen (nein, weder Angst noch Gier).

Von Reinhard Schlieker

Dass Rüstungsgüter exportiert werden, und nicht immer nur zu Friends & Family, und dass sie mit einem zivilisatorischen Makel behaftet sind – das weiß der Aktionär. Dass die Waffensysteme allerdings fast direkt in teils brandneuem Zustand von der US-Armee über einen Kurzaufenthalt bei den afghanischen Truppen an die Taliban ausgehändigt werden, und demnächst staunendes Fachpublikum in Peking oder Moskau oder Teheran finden dürften – das ist mehr als ein Missgeschick. Boeing kann kaum was dafür, auch nicht Raytheon oder Northrop Grumman oder all die anderen. Dennoch dürften die Aktien längerfristig mit einem Spionageabschlag gehandelt werden. In Israel rauft man sich erkennbar die Haare.

Davor, wenn auch nicht vor vielem anderen, ist man bei jenen Firmen weitgehend sicher, die eher so vom Geld her kommen. Finanzbranche also. Seit wenig mehr als drei Jahren ist der niederländische Bezahldienst Adyen börsennotiert. Für einen Ausgabepreis von 240 Euro war das Papier allerdings schon am ersten Handelstag weit und breit nicht mehr zu bekommen. In diesen Tagen nun hat der Kursgewinn für die Erstzeichner die 1000-Prozent-Marke überschritten: Über 2.500 Euro kostet die Aktie, wenn man nicht kleiner einsteigen und die Teilaktie als ADR-Variante für gut 50 Euro kaufen will. Schon vor dem Börsengang hatten sich solche Leute wie Mark Zuckerberg (Facebook-Tycoon) und Jack Dorsey (Twitter-Gründer) an Adyen beteiligt und damit aus heutiger Sicht ihr Armutsrisiko deutlich verringert.

Mit immer neuen Rekorden gehört Adyen seither zu den beliebten Diskussionsgegenständen auf den Social-Media-Plattformen – was allein für sich noch keine Empfehlung sein muss. Aber die Zahlen sprechen Klartext: Im ersten Halbjahr 2021 setzte Adyen 445 Millionen Euro um, ein Plus von rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Gewinn (209 Millionen Euro) verdoppelte sich, und nach den Worten von Gründer und CEO Pieter van der Does soll es in etwa so weitergehen. Vor rund drei Monaten erhielt Adyen eine amerikanische Banklizenz, was den Kundenfang in den USA erheblich vereinfachen sollte. Aber der Kreis der Nutzer der Adyen Zahlungsplattform und -abwicklung ist bereits durchaus ernstzunehmen: Groupon, Zalando, Butlers, Netflix und Booking.com, Uber und Flixbus, Swarovski oder Delivery Hero, und weil auch digitales Geld offenbar nicht stinkt, L’Oreal.

Der Branchenmix bestätigt offenbar den Anspruch von Adyen, dem Handel eine universale Zahlungslösung auf allen Ebenen anzubieten, sei es per Internetverkauf, mobil oder im stationären Geschäft. Das Wort „Adyen“, in der Kreolsprache Surinams in etwa „neu anfangen“, nahmen die Gründer als Beschreibung ihres Ansatzes, der 2006 tatsächlich revolutionär erschien, in einer zerfaserten Vielfalt von Zahlungsdiensten eine übergreifende Plattform zu schaffen. Man halte sich vor Augen, dass die deutschen Kreditinstitute sich erst kürzlich (2021!) weitgehend von ihrem Flickenteppich verabschiedeten und mit Giropay erneut versuchen, eine einheimische Lösung gegen die übermächtigen Platzhirsche PayPal oder Apple Pay in Stellung zu bringen. Na denn.

Adyen hat übrigens mit längerem Vorlauf bereits einen von ihnen in die Schranken gewiesen: Bei Ebay lösten die Niederländer den lange bevorzugten Anbieter PayPal ab. Seither wirbt Ebay für seinen eigenen Bezahlvorgang, hinter dem nun eben Adyen steckt und werkelt. Für die Kunden des Online-Auktionators wird es billiger als mit PayPal, und die Auszahlungen an Verkäufer werden nun von Ebay selbst vorgenommen. Typisch also, dass Adyen für den Endverbraucher hier gar nicht in Erscheinung tritt und daher seinen Kunden wiederum die Möglichkeit lässt, im eigenen Namen aufzutreten.

Die Analystenmeinungen sind überwiegend positiv – manchen ist der dramatische Kursanstieg aber auch nicht geheuer, es gibt sogar einige Verkaufsempfehlungen. Die Mehrheit traut den Amsterdamer Senkrechtstartern allerdings weitere Rekorde zu. Ist Adyen also so eine Art Wirecard, nur halt in ehrlich? Das Geschäftsmodell erscheint klarer, die Kundenbasis verlässlicher; bis ins letzte zu verstehen ist die Komplexität allerdings wohl auch hier nur für computeraffine Finanz-Fachleute, was natürlich wiederum die Markteintrittsbarrieren für künftige Konkurrenten als ziemlich hoch erscheinen lässt. Die Kursschwankungen sind verlässlich ausgeprägt; Gefahren lauern von der Zinsfront und einem Favoritenwechsel an den Börsen. Dem setzt Adyen energische Kunden-Akquise entgegen, den Niederländern ist der Planet gerade so groß genug, will man den selbstbewussten Prognosen des Managements folgen. Man darf immerhin annehmen, dass wenigstens die Talibanwirtschaft keinen Bedarf an Adyens Produkten anmelden wird, was durchaus mal beruhigend wirken könnte in all dem anderen Ungemach.

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