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Der Staat braucht neue Möglichkeiten, korrupte Firmengeflechte zu bestrafen

Lange haben sich Konzerne gegen ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland gewehrt. Mit Skandalen wie dem jüngsten bei der Deutschen Bank werden ihre Argumente jedoch unglaubwürdig.

Lange haben sich Konzerne gegen ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland gewehrt. Mit Skandalen wie dem jüngsten bei der Deutschen Bank werden ihre Argumente jedoch unglaubwürdig.

Mal wieder ist es die Deutsche Bank. Sie steht seit dem Wochenende erneut hierzulande im Zentrum von Geldwäschevorwürfen, nachdem interne Unterlagen der US-Finanzbehörden bekannt geworden sind. Aber es hätte auch VW mit neuen Verstößen gegen Abgasvorschriften sein können. Oder es hätten schwarze Kassen in der Baubranche sein können. Oder, oder, oder.

 „Wir brauchen ein neues Unternehmensstrafrecht“ lautet die Antwort der großen Koalition in Berlin, damit solche Vorgänge ein für alle Mal so geahndet werden können, dass sie sich nicht ständig wiederholen. Sie hatte diese Forderung bereits in ihren Koalitionsvertrag vor vier Jahren geschrieben. Nach ihrem Willen soll ein Gesetz zur Einführung einer eigenständigen strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen geschaffen werden. Die Regelung hat gerade am Freitag mit kleinen Schönheitskorrekturen den Bundesrat passiert.

Unternehmen tragen niemals Schuld

Sie beruht auf einer nachvollziehbaren Analyse. In unsere Industriegesellschaft geben Organisationen den Ton an. Der einzelne Unternehmer tritt in den Hintergrund. Die Zahl der Wirtschafts-, Umwelt- und Korruptionsvergehen, die Unternehmen zuzurechnen sind, steigt. Bisher konnten da nur Bußgelder wegen Ordnungswidrigkeiten verhängt werden. Es gilt das Opportunitätsprinzip, das heißt, die Ermittlungsbehörden entscheiden, ob sich die Verfolgung lohnt oder nicht. Das Strafrecht hätte schärfere und teurerer Sanktionsmittel. Staatsanwälte wären gezwungen nach dem Legalitätsprinzip zu ermitteln. Und die Strafen wären nicht wie jetzt bei ein paar Millionen Euro gedeckelt, die Konzerne aus der Portokasse zahlen, sondern sie richteten sich nach dem Umsatz und können empfindlich schmerzen. Am Ende könnte es sogar zur Zwangsauflösung ganzer Unternehmen kommen.

Gegen dieses Vorhaben gibt es berechtigte Einwände. Einer beruht auf unserem Rechtssystem. Nach deutschem Recht können nur Menschen und keine Organisation „schuldig“ gesprochen werden. Der mit der Strafe einhergehende moralische Tadel richtet sich an Menschen und ihr Gewissen. Unternehmen könnten sich hingegen nicht für oder gegen das Recht entscheiden und seien daher weder schuld- noch straffähig.

Überlastete Justiz

Ein anderer Einwand geht so: Richterinnen und Staatsanwälte sollen zu den 150 000 Wirtschaftsstrafsachen, die sie jährlich abarbeiten, künftig noch jedes Mal prüfen, ob sie auch zusätzlich gegen das Unternehmen ermitteln müssen. Das ist nicht zu schaffen. Das Gesetz läuft damit ins Leere. Und: Wenn das Gesetz kommt, sehen sich kleinere und mittelgroße Unternehmen gezwungen künftig eine Compliance-Abteilung vorzuhalten, die größer ist als ihre Entwicklungs- und Verkaufsabteilung. Das kann der Mittelstand nicht leisten.

Von Unternehmen, Verbänden und Anwälten kommt deswegen ein Gegenvorschlag: Wie wäre es, die Compliance-Vorkehrungen der Unternehmen bei Verstößen bußgeldmindernd zu berücksichtigen? Im Falle einer vollständigen Wiedergutmachung gegenüber den Opfern oder einer umfassenden Selbstanzeige könnten Bußgelder ganz entfallen. Ein positives Anreizsystem würde Gesetzesverstöße begrenzen. Unternehmen, die selbst aufklären und selbst anzeigen, benötigen allerdings die Sicherheit, dass sie für redliches Verhalten am Ende nicht auch noch bestraft werden. Der Gesetzgeber müsste dazu Unternehmen klare Leitlinien für eine effektive Compliance an die Hand zu geben und dabei auch die Unternehmensgröße berücksichtigen. Anreiz zum Wohlverhalten statt Abschreckung durch Strafe steckt hinter diesen Gedanken.

Die Argumentation hatte ihren Charme. Bis zum Wochenende. Mit den neuen Vorwürfen gegen die Deutsche Bank, die belegen, dass sich das Geldhaus entgegen seinen Beteuerungen auch nach der Finanzkrise noch im großen Stil nicht an Recht und Ordnung gehalten hat, wird klar, dass es bei Anreizsystemen nicht bleiben kann. Der Staat braucht offenbar die Möglichkeit, korrupte Firmengeflechte an den Pranger zu stellen. Eine deutliche Verschärfung des Rechtssystems hin zu einem Unternehmensstrafrecht haben sich die Konzerne selbst zuzuschreiben.     

Oliver Stock

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