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Börsenneuling Volvo Car: Das älteste Startup der Welt?

In Sachen Mobilität macht Volvo so schnell keiner mehr was vor. Nein, gemeint ist nicht der Börsengang des Autobauers kürzlich in Stockholm. Der erforderte zwar auch einiges an Beweglichkeit, vor allem bei den Investoren, doch dazu später.

In Sachen Mobilität macht Volvo so schnell keiner mehr was vor. Nein, gemeint ist nicht der Börsengang des Autobauers kürzlich in Stockholm. Der erforderte zwar auch einiges an Beweglichkeit, vor allem bei den Investoren, doch dazu später.

Von Reinhard Schlieker

Wirklich neu ist der „Weekender“, eine bei Instagram vorgestellte Handtasche von Volvo und dem In-Designer Phillip Lim: Das bislang unverkäufliche Stück ist aus einem Material namens „Nordico“ gefertigt, und das sicher nicht nur, weil der berühmt-berüchtigte Schwedenstahl aus der Autowerbung so was von gestern wäre.

Und zu schwer natürlich, man soll ja auch noch etwas hineintun können in einen „Weekender“, welcher anschließend noch mit Muskelkraft bewegt werden können muss. Volvo jedenfalls, Erfinder des Nordico-Stoffs, hält große Stücke auf diese Mischung, in die lauter recycelte Substanzen einfließen: Alte PET-Plastikflaschen, Holzreste und Gebrauchtkork. Der Rest ist geheim. Das jüngste E-Auto des Konzerns namens C40 Recharge ist im Innenraum mit diesem Material ausstaffiert. Es soll die Anmutung aller künftigen Elektrofahrzeuge prägen und demzufolge auch tierische Produkte wie Leder verdrängen.

Ob Veganer damit bedenkenlos Volvo fahren können, muss die Wissenschaft noch klären. Bis 2030 ist dafür Zeit, dann gibt es nur noch E-Mobile der Schweden, die eigentlich im wesentlichen Chinesen sind, denn nach einem Intermezzo bei Ford wurde der Konzern 2010 eine Tochterfirma des Auto- und Getriebeherstellers Geely aus Hongkong. Je rund zur Hälfte gehört Geely und Volvo wiederum die Elektroautofirma Polestar, die ebenfalls 2022 an die Börse gehen will, ein Startup, das reichlich Erfahrung hat. Sogar mit dem Verkauf von E-Autos. Nicht so viel wie Volvo natürlich.

Die Schweden allerdings präsentierten sich bei ihrem Börsengang Ende Oktober dank Nordico und anderer Errungenschaften als smartes Jungunternehmen, nur halt reiferen Alters (das hundertjährige Jubiläum steht 2024 bevor): An Diversität soll es nicht mangeln, an Innovationen auch nicht, und Gründergeist ist selbstverständlich. Trotz dieser Saga wurde um den Ausgabepreis gefeilscht und gerungen. Beinahe wäre der IPO, wie schon ein Versuch vor einigen Jahren, noch gescheitert. Nur weil Geely bereit war, Sonderstimmrechte abzugeben, und der Ausgabepreis mit 53 Kronen (etwa 5,20 Euro) am unteren Ende der Spanne festgelegt wurde, griffen professionelle Investoren zu. Inzwischen, das muss man den Schweden lassen, hat der Kurs auf knapp 76 (7,40 Euro) schwedische Kronen zugelegt. Möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich ist das künftige IPO der Tochter Polestar als Hoffnungswert mit eingerechnet.

Was der Marke Volvo inzwischen jedoch abhandengekommen ist: Das Vorreiter- und Alleinstellungsmerkmal „Sicherheit“. Als erster Autobauer der Welt lieferte Volvo sein klassisches Modell „Amazon“, von 1956 an gebaut, und zwar bis 1970 (!), mit Kopfstützen aus. Später war man Pionier beim Dreipunktgurt und konstruierte sogar ein System, nach welchem der Fahrer erst einen Alkohol-Atemtest verrichten musste, ehe das Auto sich starten ließ. Wie im Straßenverkehr täglich erlebbar, setzte sich die Erfindung nicht durch. In den USA ist Volvo jedoch auch aufgrund seiner Historie nach wie vor beliebt, die Laufleistung der Modelle ist legendär, schließlich bedeutet der lateinische Firmenname „ich rolle“. US-Amerikanern sicherlich vertraut, der Wortstamm findet sich ja auch im Revolver.

Daran also, an die Pionierzeit, will Volvo-Chef Håkan Samuelsson, der bei MAN vor Jahren eher unrühmlich gehen musste, nun anknüpfen; Elektro-Wegbereiter sein – und gleichzeitig mit der Expertise des Traditionsherstellers punkten. Wer an die Börsenstory glaubt, könnte allerdings ein paar rumplige Zeiten erleben. Denn bei Volvo geben sich derzeit Führungskräfte die Klinke in die Hand, einige Abgänge gab und gibt es zu verkraften. Offenbar ist die Strategie des Chefs, oder die Art ihrer Umsetzung nicht immer so recht kompatibel mit der überlieferten Natur des Herstellers, mutmaßte unlängst das „Manager Magazin“.

Für Anleger mit Fernweh gäbe es da natürlich noch die Konzernmutter Geely. Mit deren Aktie kauft man ordentlich Volvo und reichlich Polestar gleich mit, und wettet auf den Individualverkehr in Fernost, wo Geely aktiv, fast schon hyperaktiv ist. Die erratische chinesische Politik, wo Topmanager hin und wieder selbst unter die Räder kommen, ist widrigenfalls in der Wette mit drin. Gründer und Chef Li Shufu ist allerdings bisher, anders als etwa Alibaba-Boss Jack Ma, nicht mit kritischen Worten über die herrschende KP Chinas aufgefallen. Bestrafe einen, erziehe hundert, so die eher brutale Diktatorenweisheit des KP-Gründers Mao Tse Tung, nach der in China sein derzeit amtierender Nachfolger Xi Jinping offenbar die Zügel führt. Westliche Anleger sind in der Tat bislang nicht ernsthaft gestraft, außer zwischenzeitlich beim Kurs mancher chinesischer Aktien wie Alibaba, Didi oder auch Nio - sollten aber das Geschehen im Auge behalten, nicht nur Handtaschen aus seltsamen Stoffen.

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