Impfstoffhersteller: Chance schlägt Risiko
Die einen verdienen Milliarden mit Impfstoffen, die anderen stürzen sich in ein schier unkontrollierbares finanzielles Risiko. Wer gewinnt, wer verliert?
Die einen verdienen Milliarden mit Impfstoffen, die anderen stürzen sich in ein schier unkontrollierbares finanzielles Risiko. Wer gewinnt, wer verliert?
Eigentlich dauert die Entwicklung eines Impfstoffes mehrere Jahre. Doch so viel Zeit hatte während Corona niemand, war doch die Rede von der „Pest des 21. Jahrhunderts“. Den Virologen und Medizinern war von Anfang an sonnenklar: Der Impfstoff wird der einzig effektive Weg heraus sein aus der Pandemie. Und er wird denjenigen, die ihn herstellen und verkaufen, ein Vermögen einbringen. Gabriel Felbermayr, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), formulierte es so: „Wer am Ende einen Corona-Impfstoff hat und den vertreiben kann, der wird mit diesem Mittel sehr viel Geld verdienen.“ Wieviel? US-Analysten rechnen inzwischen mit mehr als 56 Milliarden Euro zusätzlichen Einnahmen in diesem Jahr für Impfstoffhersteller. Laut dem Wissenschaftsmagazin „Genetic Engineering & Biotechnology News“ (GEN) sollen die zugelassenen Impfstoffe und Medikamente gegen das Virus den Unternehmen im ersten Quartal 2021 bereits 16 Prozent dieser Prognose eingebracht haben – und zwar insgesamt etwa neun Milliarden Euro. Das neue Gold – es sieht aus wie Impfstoff.
Wohin fließt das Geld? Sind die großen Pharmahersteller die Gewinner? Die Unternehmensberatung EY hat mit Blick auf die Pharmafirmen festgestellt: „Die Corona-Krise war kein Wachstumstreiber im vergangenen Jahr, sondern führte im Gegenteil zu höheren Ausgaben für Forschung und Entwicklung.“ Insgesamt stieg der Umsatz der 21 größten Pharmakonzerne der Welt 2020 lediglich um 4,4 Prozent. 2019 hatte das Plus noch bei fast 13 Prozent gelegen. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Milliardenübernahmen in der Branche, Ausfälle von Behandlungen und Operationen, Rückgänge bei Therapeutika für Atemwegs- und Infektionserkrankungen wegen des Tragens von Mund-Nasen-Schutzmasken. Mit 26,4 Milliarden Euro machten die Corona-Impfstoffe 2020 nur etwas fünf Prozent des Gesamtumsatzes der Branche aus. Felbermayr hätte also besser noch erwähnen sollen, dass diejenigen, die das Rennen um die Impfstoffherstellung verlieren, auch sehr viel Geld verpulvern. Doch der Reihe nach. Welche der Pharmaunternehmen können den Corona-Schub nutzen und profitieren auch nachhaltig von der Impfstoffentwicklung?
Die Aufsteiger: Moderna
Für Moderna als verhältnismäßig kleines und junges Biotech-Unternehmen verspricht der Impfstoff ein gigantisches Geschäft. Analysten von Goldman Sachs schätzen, dass das erst vor elf Jahren in Cambridge, Massachusetts, gegründete Unternehmen in diesem Jahr einen Umsatz von rund 11,5 Milliarden Euro mit dem Impfstoff erwirtschaften wird. Im ersten Quartal belief sich der Umsatz mit dem Vakzin, der mit knapp 78 Prozent überwiegend in den USA eingefahren wurde, auf etwas über 1,4 Milliarden Euro. Ein Riesensprung für ein Unternehmen, dessen Umsatz noch 2019 auf bescheidene 50 Millionen Euro beziffert wurde. Inzwischen ist Moderna an der Börse 52 Milliarden Euro wert, in etwa so viel wie der ungleich größere deutsche Bayer-Konzern.
Die Spätzünder: Johnson & Johnson
Die Corona-Pandemie hat auch dem US-Pharmakonzern Johnson & Johnson Auftrieb gegeben. Im Auftaktquartal kletterte der Umsatz im Vergleich zum Coronajahr 2020 um 7,9 Prozent auf 18,7 Milliarden Euro. Unterm Strich blieb ein Gewinn von etwa 5,2 Milliarden Euro übrig – fast sieben Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Derzeit sind die Papiere für etwa 143 Euro zu haben, das Allzeithoch liegt bei 145,43 Euro. 83,72 Millionen Euro Umsatz entfallen auf den Verkauf des Vakzins – ein recht kleiner Anteil am Gesamtumsatz. Wachstumstreiber blieben die Krebsmedikamente Darzalex und Imbruvica sowie die Sparte Medizintechnik.
Im Gegensatz zu anderen Impfstoffen reicht nur eine Spritze zur Immunisierung. Deshalb gilt das Vakzin als besonders wichtig für die Impfkampagne hierzulande. Das Bundesgesundheitsministerium rechnet mit gut 10 Millionen Impfdosen im Sommer. Von der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (RKI) erhält das Vakzin von Johnson & Johnson eine grundsätzliche Altersvorgabe wie auch der Impfstoff von Astrazeneca. Demnach kommen die Impfstoffe bei Menschen über 60 Jahren zum Einsatz, Menschen unter 60 Jahren dürften „nach ärztlicher Aufklärung und individueller Risikoakzeptanz“ entscheiden, ob sie mit den Impfstoffen von Johnson & Johnson oder Astrazeneca geimpft werden wollen.
Die Enttäuschung: Curevac
Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Mainzer Forschern und denen aus Tübingen. Biontech gegen Curevac. Beide benutzen die gleiche Technologie der „Boten-RNA“ für die Entwicklung des Corona-Impfstoffes. Beide Aktienkurse explodierten förmlich, beide Unternehmen holten sich große Partner ins Boot. Das Forscher-Ehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin von Biontech, vor Kurzem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, setzte auf den US-Konzern Pfizer, Curevac wurde bei Bayer fündig. Und ja, auch beim deutschen Staat, der viel Geld in das Tübinger Unternehmen investierte. „Die Bundesregierung beteiligt sich an diesem vielversprechenden Unternehmen, weil sie erwartet, damit Entwicklungen zu beschleunigen und es Curevac finanziell zu ermöglichen, das Potenzial seiner Technologie ausschöpfen zu können.“ Das sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor fast genau einem Jahr und rechtfertigte damit die Summe von 300 Millionen Euro, die der Bund damals investierte. Das Bundesforschungsministerium legte noch mal einen Batzen, 252 Millionen Euro, obendrauf.
Und dann kam die Enttäuschung. Weniger als 50 Prozent Wirksamkeit. Der Impfstoff liegt im Vergleich zur Konkurrenz abgeschlagen auf dem letzten Platz und hat, wenn es bei diesen Ergebnissen bleibt, keine Chance auf Zulassung. Dennoch bleibt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek dem Tübinger Biotech-Unternehmen treu und hat weiter Unterstützung zugesichert. Rückschläge seien in der Forschung nicht ungewöhnlich, so Karliczek. Das stimmt. Nur in den seltensten Fällen steigt der Staat finanziell mit ein und setzt auf ein Pferd, von dem er nicht sicher weiß, ob es das Rennen um die vorderen Plätze gewinnen wird. Mittlerweile ist klar: Es ist nicht schnell genug.
Curevac, an dem der Hauptaktionär Dietmar Hopp über seine Heidelberger Holding Dievini rund 47 Prozent der Anteile hält, hatte in den vergangenen Monaten ein Partnernetzwerk aufgebaut, zu dem neben Bayer auch GlaxoSmithKline und die Celonic Group gehört, die mehr als 100 Millionen Impfdosen in Heidelberg herstellen will, mehr als 50 Millionen noch dieses Jahr. Aktuell passiert auf der 4.500 Quadratmetern großen Erweiterung der Produktionsfläche aber noch rein gar nichts. Ob sich das in den nächsten Wochen ändert, bleibt ungewiss. Curevac-Studienleiter Kremsner zeigt sich optimistisch, den Impfstoff zur Einsatzreife zu bringen: „Es wird möglich sein, den Impfstoff so aufzubereiten, dass er sehr wirksam sein kann.“ Curevac sei nach wie vor in den Top Ten von 300 Impfstoffentwicklern, man habe es halt nicht in die Medaillenränge geschafft. Doch Podiumsfantasien waren da. Beim Staat, bei Hopp und bei allen Einzelaktionären. Während die ersten beiden weiterhin Treue schwören, zeigen sich Aktionäre panisch. Mit der Folge, dass sogar die Finanzaufsicht Bafin den Kursabsturz untersucht. Möglicherweise haben Beschäftigte der Häuser Curevac oder dessen Partners Bayer Insiderwissen genutzt und noch rechtzeitig Aktienbestände verkauft. Ein Blick in die Bilanz der Tübinger zeigt: Es läuft nicht so. Wegen hoher Forschungskosten schreibt das Unternehmen tiefrote Zahlen.
Die Gemobbten: Astrazeneca
Beim britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca läuft es schon besser. Zwar sieht sich das Unternehmen ebenfalls immer wieder in den Schlagzeilen wegen seines Corona-Impfstoffes, aber es verdient Geld mit ihm – und zwar gar nicht so schlecht. Laut dem Wissenschaftsmagazin GEN belief sich der Umsatz mit dem Vakzin im ersten Quartal auf etwa 230 Millionen Euro, Gewinn machte das Unternehmen damit aber nicht. Der Pharmakonzern hatte angekündigt, während der Pandemie keinen Gewinn mit seinem Impfstoff erwirtschaften zu wollen und ihn deshalb zum Selbstkostenpreis von 3,40 Euro zu verkaufen. Allerdings ist dieses Versprechen offenbar zeitlich begrenzt. Ein kleiner, aber wichtiger Zusatz der Aussage von Konzernchef Pascal Soriot hatte darauf hingedeutet, dass der Selbstkostenpreis nur gelte, „solange die Pandemie andauert“.
Zudem beschleunigt die vereinbarte milliardenschwere Übernahme des US-Wettbewerbers Alexion den Wachstumskurs weiter. „Wir haben im vergangenen Jahr einen deutlichen Schritt vorwärts gemacht“, sagte Soriot, der ein etwas höheres Umsatzwachstum als 2020 in Aussicht stellte. Allerdings seien die Alexion-Übernahme sowie Erlöse mit dem Corona-Impfstoff dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Erlöse mit dem Vakzin will der Konzern ab dem kommenden Quartal separat ausweisen.
Der Outlaw: Sputnik V
Der Corona-Impfstoff Sputnik V soll nach dem Willen Putins die Welt erobern. Damit das klappt, lässt der Kreml-Chef keine Gelegenheit aus, um bei seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritten für „den besten Impfstoff“ der Welt zu werben. Die Datenbasis sei schwach und das Präparat nicht ausgetestet, hört man aus Europa. Nur zögerlich versucht der Hersteller des Vakzins namens Gam-COVID-Vac Lyo, entwickelt vom staatlichen Gamaleya-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau, diese Kritik zu entkräften. Nach wie vor fehlen etliche Daten, sodass eine Bewertung nach wissenschaftlichen Kriterien kaum möglich ist. In der EU ist Sputnik V zwar noch nicht zugelassen, aber trotzdem strecken viele Staaten die Finger danach aus – so auch Deutschland. Doch hierzulande wird erst im September mit einer Entscheidung der Behörden über die Zulassung gerechnet. Dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder geht das nicht schnell genug. Er fordert: „Der Impfmotor darf nicht stottern.“ Es dürfe nicht aus rein ideologischen Gründen getrödelt werden. Bayern hat eine Kaufoption über 2,5 Millionen Sputnik-V-Impfdosen. Wie viel Geld Russland derzeit mit dem Impfstoff verdient, bleibt unklar, denn offizielle Zahlen zum Absatz des Präparats gibt es nicht.
Die Unerfüllten: Sanofi
Beim Corona-Impfstoff, den Sanofi mit der britischen Glaxo¬SmithKline entwickelt, hatten die Franzosen einen Rückschlag hinnehmen müssen. Das Mittel rief bei älteren Erwachsenen keine ausreichende Reaktion des Immunsystems hervor. Anfang 2021 startete eine neue Studie mit einer verbesserten Formel. Sanofi hofft auf eine Zulassung im vierten Quartal. Künftig will der Pharmariese rund 400 Millionen Euro pro Jahr in die Entwicklung von Impfstoffen investieren, die auf der mRNA-¬Technologie basieren, und dadurch bis 2025 mindestens sechs solcher Impfstoffe in die klinische Entwicklung bringen. Damit das gelingt, gründet das Unternehmen ein Kompetenzcenter speziell für mRNA-Impfstoffe an den Standorten Cambridge in den USA und im französischen Lyon.
Ähnlich wie Biontech und Moderna setzen die Franzosen voll auf die mRNA-Technologie. Der Unterschied: Die beiden Konkurrenten verdienen bereits Geld mit ihren Vakzinen. Die große Nachfrage nach Grippeimpfungen und gute Geschäfte mit einem Neurodermitis-Medikament haben Sanofi im ersten Quartal 2021 aber auf Kurs gehalten. Ingesamt erzielte das Unternehmen einen Erlös von 8,6 Milliarden Euro – im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von 4,3 Prozent. Der Gewinn ging zum Jahresstart 2021 um sieben Prozent auf knapp 1,57 Milliarden Euro zurück. Hier drückten auch Kosten für den Umbau.
Die Sieger: Biontech
Es ist eine der großen Erfolgsgeschichten in der Corona-Pandemie. Das hessische Pharmaunternehmen steht im Geldregen. Ein Quartalsgewinn von 1,1 Milliarden Euro steht Anfang 2021 unter dem Strich – im gesamten Jahr 2019 waren es noch knapp 180 Millionen Euro Minus. Im vergangenen vierten Quartal 2020 hatten die Mainzer erstmals schwarze Zahlen mit einem Überschuss von 366,9 Millionen Euro geschrieben. Davor hielt man es, wie man es bei Start¬ups hält: Wachstum first.
Jetzt, nur wenige Monate später, ist Biontech auf dem Weg, zu den ganz großen Pharmaunternehmen in Deutschland aufzusteigen. Grund dafür ist der Corona-Impfstoff, den das Unternehmen zusammen mit dem US-Konzern Pfizer entwickelt und erfolgreich auf den Markt gebracht hat. Der Umsatz belief sich in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres auf rund 2,03 Milliarden Euro mit dem Vakzin, die Gewinnmarge lag bei mehr als stolzen 50 Prozent. Noch imposanter: Für das Gesamtjahr erwartet Firmengründer Sahin einen Umsatz von 12,4 Milliarden Euro mit seinem Corona-Impfstoff. Grundlage für die Prognose seien die bis Anfang Mai unterzeichneten Lieferverträge über etwa 1,8 Milliarden Impfdosen für das laufende Jahr. Erlöse daraus werden brüderlich mit Pfizer geteilt. Tatsächlich dürfte das Geschäft noch stärker laufen als prognostiziert, denn weitere Verträge wurden bereits geschlossen, auch für 2022.
Für die Expansion in Asien will Biontech in Singapur ein regionales Hauptquartier und eine mRNA- Produktionsstätte errichten. Das Werk, das schon 2023 in Betrieb gehen könnte, soll mehrere Hundert Millionen Dosen im Jahr produzieren. Für das Mainzer Biotechunternehmen ist es der nächste wichtige Schritt bei der Ausweitung der Geschäfte im Ausland nach der Eröffnung eines US-Hauptsitzes in Cambridge im Bundesstaat Massa¬chusetts im vergangenen Jahr, und gleichzeitig zeigt es die herausragende Stellung der Entwicklung von mRNA-Wirkstoffen, die sogar als Hoffnungsträger für den Kampf gegen Krebs gelten. „Die mRNA-Technologie wird die Immunologie revolutionieren – und Biontech ist gut aufgestellt, um diese Revolution anzuführen“, ist sich Sahin sicher.
Unterm Strich bleibt: Den einen hat die Corona-Pandemie einen Schub verliehen, die anderen hat sie ausgebremst, weil es bei der Freigabe für den Impfstoff klemmt. Der wichtigste Markt für „Big Pharma“ bleibe – so zeigt es die EY-Studie – weiter die Onkologie. Im Kampf gegen Krebs setzt die Branche über 200 Milliarden Euro um – mehr als ein Drittel des gesamten Geschäfts. 2020 steigerten die 21 weltgrößten Pharmaunternehmen ihren Umsatz in der Onkologie um fast 15 Prozent. Sollten sich die selbstbewussten Prophezeiungen von Biontech-Gründer Sahin bewahrheiten, könnte das Mainzer Unternehmen mit seiner mRNA-Technologie auch dort eine entscheidende Rolle spielen.
Florian Spichalsky
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