Corona-Krise: Ist Daimler ein Übernahmekandidat?
Die Corona-Krise trifft die konjunkturabhängige Automobilbranche besonders hart – vor allem Daimler. Der chinesische Konzern Geely könnte Daimler jetzt stärken, sagt Ferdinand Dudenhöffer. „Für die Stuttgarter wäre das ein Glücksfall“, betont der "Autopapst" im exklusiven Interview mit der BÖRSE am Sonntag und erklärt, warum eine Abwrackprämie „ökonomischer Unsinn“ ist. Stattdessen fordert der Ökonom einen Mehrwertsteuer-Verzicht für Konsumgüter ab 10.000 Euro.
Die Corona-Krise trifft die konjunkturabhängige Automobilbranche besonders hart – vor allem Daimler. Der chinesische Konzern Geely könnte Daimler jetzt stärken, sagt Ferdinand Dudenhöffer. „Für die Stuttgarter wäre das ein Glücksfall“, betont der "Autopapst" im exklusiven Interview mit der BÖRSE am Sonntag und erklärt, warum eine Abwrackprämie „ökonomischer Unsinn“ ist. Stattdessen fordert der Ökonom einen Mehrwertsteuer-Verzicht für Konsumgüter ab 10.000 Euro.
BÖRSE am Sonntag: Der Automobilbranche prophezeien Sie einen Absatzrückgang von 18 Prozent. Wie viele Jobs stehen jetzt auf dem Spiel?
Ferdinand Dudenhöffer: Nur zum Verständnis: Wir laufen in eine Corona-Weltwirtschaftskrise wie wir sie seit 1929 nicht mehr erlebt haben. Das wird sehr hart für die Autoindustrie in Europa. In Deutschland gehen wir von 100.000 Beschäftigten bei Autobauern und Zulieferern aus, die ihren Job verlieren könnten – es könnten aber auch noch mehr werden. Heute zählen wir 830.000 Arbeitnehmer in der deutschen Autoindustrie. Es ist klar, dass in den kommenden Jahren weniger Fahrzeuge exportiert werden, deshalb werden die Produktionskapazitäten nach unten angepasst. Das kostet Jobs. Zulieferer wie ZF haben bereits mitgeteilt, dass sie Beschäftigungsabbau nicht ausschließen können.
Seit Februar ziehen in der Volksrepublik die Neuwagenverkäufe wieder an. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg verzeichnen selbst in Wuhan Autoverkäufer einen regelrechten Boom. Stimmt Sie diese Nachricht mit Blick auf die internationalen Automobilmärkte nicht positiv?
Diese Entwicklung sehen wir ausschließlich auf dem chinesischen Markt und sie ist noch nicht stabil. China ist ein Wachstumsmarkt. Heißt: Auf 1000 Einwohner kommen 100 Autos. Da existiert also noch ordentlich Potential. In Deutschland sieht das aber ganz anders aus. Hierzulande kommen auf 1000 Einwohner 570 Autos, in Amerika sogar 850. Der Markt ist also gesättigt. Die Nachfrage lebt zu großen Teilen vom Fahrzeugersatz der älteren Autos. In so einer Situation wachsen Branchen immer deutlich langsamer. Zudem hat China den Vorteil, dass der Staat entschlossen eingreifen kann, um die Nachfrage nach Autos anzukurbeln. So hat man zum Beispiel beschlossen, dass in Metropolen wie Shanghai mehr Fahrzeug-Neuzulassungen als vor der Corona-Krise erfolgen dürfen. Außerdem wird es Konjunkturprogramme geben. Folglich gehen wir davon aus, dass die Wirtschaft in China wieder schneller hochfährt.
Auch hierzulande sind staatliche Eingriffe im Gespräch. Anfang Juni will die Bundesregierung über eine mögliche Abwrackprämie entscheiden. Wie stehen Sie zu diesem Instrument?
Eine Abwrackprämie halte ich für ökonomischen Unsinn. Die sollte es auf keinen Fall geben. Was wir wirklich brauchen: Eine breite Belebung der Nachfrage. Dabei sollte es nicht nur um Autos gehen, vor allem nicht nur um Elektro-Autos – die machen nämlich nur 8 Prozent des Gesamtvolumens aus. Jeden Tag fallen wir tiefer in die Rezession. Die Leute verdienen weniger, haben Angst vor der Zukunft und geben deshalb weniger Geld aus. Jetzt brauchen wir einen passenden Schlüssel, um aus dieser Situation wieder rauszukommen. Einige Experten raten dazu, in die staatliche Infrastruktur zu investieren (5G, Stromnetz, Straßen usw.) Das klingt zunächst erstmal gut, ist aber nur eine theoretische Lösung. Denn Infrastrukturmaßnahmen wirken sehr zeitversetzt. Wir benötigen ein schnell-wirkendes Heilmittel, sonst fallen wir viel zu tief in die Rezession. Was also bleibt übrig? Der Export. Aber im Ausland wird man wenig deutsche Autos nachfragen. Die Italiener, Spanier, Franzosen und Amerika haben derzeit andere Sorgen und denken nicht über größere Investitionen nach. Meiner Meinung nach müssen wir jetzt flächendeckend Kaufanreize setzen. Heißt: Beim Kauf eines Produktes, das beispielsweise mehr als 10.000 Euro kostet, würde die Mehrwertsteuer entfallen. Dadurch könnten wir einen sehr breiten Konjunkturschub auslösen.
Im April brach die Zahl der Anträge für Neuzulassungen von E-Autos stärker ein als von konventionellen Fahrzeugen. Sind E-Autos in der Corona-Krise, in der Arbeitnehmer um ihr Einkommen fürchten müssen, schlicht zu teuer?
Derzeit erscheint der konventionelle Verbrenner in Summe sogar noch günstiger, denn der Sprit ist in etwa auf dem Niveau vom Jahr 2000. Und da Autokäufer direkt auf Tankstellenpreise reagieren, werden E-Autos unattraktiver. Täglich nehmen Verbraucher – ob sie nun wollen oder nicht – an den Tankstellen-Anzeigen ein Kaufsignal für Verbrenner wahr. Die EU steuert mit CO2-Obergrenze dagegen. Werden die vorgeschriebenen Werte nicht eingehalten, drohen hohe Strafen. Also müssen die Autobauer ihre Flotten quasi quersubventionieren. Entweder machen sie die Verbrenner teurer, oder gehen beim Preis der E-Autos runter. Dieser Automatismus wird dann dazu führen, dass mehr Elektro-Autos verkauft werden.
Oder sollte jetzt darüber nachgedacht werden, die von ihnen angesprochene CO2-Obergrenze zu lockern?
Das wäre das schlimmste, was die EU jetzt machen könnte. Die verrückten Schweizer Autoimporteure haben genau das vorgeschlagen. Wissen Sie, was das bedeuten würde? Man würde den Klimawandel gegen Corona eintauschen. Das darf nicht passieren! Damit würden viele bereits angestoßenen Investitionen zerstört und die Zukunft verbaut werden. Was man machen könnte: Strafen, die durch den Verstoß entstehen, zu stunden.
Plädieren Sie also dafür, insbesondere den Verkauf von E-Autos zu forcieren?
Ich plädiere vor allem dafür, dass wir aus dem Corona-Tief herauskommen. Wie viele E-Autos und wie viele Verbrenner verkauft werden, das ist mir egal. Hauptsache wir verkaufen Autos. Die CO2-Obergrenze funktioniert gut als Automatismus – da brauchen wir keine weitere Sonderregelung.
Welcher deutsche Autobauer ist am besten für die Zukunft gerüstet?
Volkswagen hat die Nase vorn. BMW und Daimler sind meiner Meinung nach auf einem ähnlichen Niveau – wobei Daimler nach wie vor mit dem Diesel-Problem kämpfen muss. Wahrscheinlich kommen da noch Strafen, außerdem hat der Konzern mit dem Transporter große Verluste gemacht. Auf der anderen Seite haben die Stuttgarter den großen Vorteil, dass sie den Smart im Joint-Venture mit Geely entwickeln. Damit haben sie einen Stammaktionär an Bord, der langfristig Stabilität bedeuten könnte.
Am härtesten trifft es tatsächlich Daimler. Während der Aktienkurs 2018 zwischenzeitlich noch bei rund 75 Euro notierte, sind die Papiere derzeit keine 30 Euro mehr wert. Ist Daimler ein Übernahmekandidat?
Also ich gehe davon aus, dass Geely bei günstigen Kursen Daimler-Aktien dazu kaufen wird. Für die Stuttgarter wäre das ein Glücksfall. Also: Ja, aber in einem positiven Sinne. Es entsteht ein neuer starker Verbund.
Erst Dieselskandal, dann Umweltdebatte und jetzt Corona-Krise. Wird sich die gebeutelte Autoindustrie mittelfristig erholen?
Nochmals: Wir laufen in eine Weltwirtschaftskrise, wie wir sie seit 90 Jahren nicht gesehen haben. Nicht alle Unternehmen werden es schaffen. Es wird große Veränderungen geben – bei den Zulieferern und bei den Autobauern selbst. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in fünf Jahren eine vergleichbare Struktur in den Produktionsketten vorfinden werden.
Das heißt konkret?
Firmen werden sich stärker zusammenschließen. Das sehen wir ja jetzt schon bei Renault und Fiat Chrysler Automobiles, die fusionieren wollen – sofern es die Aktionäre nicht verhindern. So kann man sich durchaus vorstellen, dass Unternehmen miteinander verschmelzen, oder gar vom Markt verschwinden. Wir haben leider mehrere schwache Unternehmen im Markt, zum Beispiel Jaguar Land Rover oder Renault. Aber auch Toyota schwächelt, was vor allem daran liegt, dass der amerikanische Markt – für Toyota der wichtigste Markt – zusammenbricht. Und auch andere japanische Unternehmen wie Honda haben Probleme. Gleichzeitig kommen Neue, wie Tesla.
Und die Zulieferer?
Dort ist die Gefahr noch größer. Denn langfristig wird der Verbrenner-Motor ersetzt werden – und dieser besteht zu Großteilen aus Komponenten großer Zulieferer wie von Bosch oder Continental. Gleichzeitig dringen neue, junge Unternehmen, die wichtige Bauteile für die Herstellung von E-Autos produzieren, auf den Markt. Klassische Zulieferer werden da viel Geschäft verlieren, auch im Bereich der Digitalisierung von Fahrzeugen. Heute befinden sich noch rund 80 bis 100 Steuergeräte im Fahrzeug. Tesla ist das erste Unternehmen, das einen zentralen Chip gebaut und programmiert hat. Dieser Computer steuert das komplette Auto – sogar in der Kommunikation mit der Außenwelt. Das ist eine Revolution. Es ist die Zeit der Teslas, Googles und Apples dieser Welt – also all jenen Tech-Unternehmen, die Soft- und Hardware bereitstellen, während klassische Zulieferer nur Profis in speziellen Teilbereichen sind.
Also werden die Tech-Konzerne als die großen Gewinner der Corona-Krise hervorgehen?
Wahrscheinlich schon, ja.
Das Gespräch führte Florian Spichalsky
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