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Fifty Shades of Green

Nachhaltige Geldanlagen boomen. Sie sind gut für das eigene Gewissen – und das Portemonnaie. Aber nicht immer für die Natur. Zu häufig klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

(Foto: Julia Ardaran / Shutterstock)

Nachhaltige Geldanlagen boomen. Sie sind gut für das eigene Gewissen – und das Portemonnaie. Aber nicht immer für die Natur. Zu häufig klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Von Oliver Götz
 
Hier wächst ein samtene Moosschicht über den gestürzten Baum. Dort mäandert ein stiller Fluss durch unberührten Wald. Noch einen Klick weiter geht die Sonne über einer malerischen Hügellandschaft unter. Die Schönheit der Natur, emotional porträtiert, sodass das Fernweh nicht lange auf sich warten lässt. Gefunden nicht etwa in den Prospekten großer Reiseveranstalter, sondern mitten auf den Homepages von Deutscher Bank, DZ Bank und JP Morgan.

Rund um den Globus entdecken Banken, Versicherungen und sonstige Vermögensverwalter gerade ihre Liebe zur Natur. Wo früher ergraute Schlipsträger in teuren Autos saßen oder das eigene Firmenlogo auf glitzernden Bürotürmen strahlte, erfahren nun Kinder mit Kescher die Tier- und Pflanzenwelt (Allianz Global Investors) oder sitzt ein Mann mit Kamera und Laptop nachdenklich auf einem Bootssteg (BlackRock).

Es ist die konstruierte heile Welt, bisweilen bis ins Kitschige hinein überzeichnet, die denjenigen entgegenschaut, die im Netz nach den passenden Fonds für ihr Erspartes suchen. Nicht ausschließlich freilich, aber oft genug und immer häufiger. Sie soll Anleger davon überzeugen nachhaltig zu investieren. Das liegt im Trend. Einer Umfrage des Bundesverbands deutscher Banken legen inzwischen 65 Prozent der Kunden Wert darauf, dass ihr Geld in nachhaltige Projekte fließt. Viele Investmenthäuser legen deshalb im Eiltempo neue Fonds auf und locken so ihrerseits neue Nachfrage an. Es winken ein Milliardenmarkt und hohe Wachstumsraten.

Die Finanzkrise und viele weitere Skandale, wie hierzulande der Cum-Ex-Eklat, haben bei vielen Menschen Ressentiments gegen die Finanzbranche geschürt. Besonders in Deutschland gelten Börse und Finanzmarkt vielen noch immer als schwarzes Tuch. Sei es aus Angst vor Betrug und Risiko oder wegen moralischer Bedenken. Da kommt die eierlegende Wollmilchsau gerade recht. Rendite erzielen, allein mit Aktien von Unternehmen und Konzernen, die nachhaltig wirtschaften. Das eigene Geld, investiert in und für eine bessere Welt. Und gleichzeitig steigt der eigene Kontostand. Das klingt gut – und so unendlich einfach.

Die Zeiten, in denen nachhaltige Investments keine Renditen abwarfen, sind vorbei. „Das stimmt einfach nicht“, bekräftigt Analyst Ali Masarwah von Morningstar. „Verschiedenen Studien zufolge performen nachhaltige Fonds häufig sogar besser als die passenden traditionellen Fonds. Von 2009 bis Ende 2019 haben fast 59 Prozent der ESG-Fonds ihr durchschnittliches traditionelles Gegenstück übertroffen.“ Darüber hinaus sind, wie der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock zuletzt feststellte, nachhaltige Fonds in Krisen erstaunlich standfest. Der maximale Wertverlust aufgrund von Markteinbrüchen sei bei nachhaltigen Indizes in den vergangenen Jahren geringer gewesen, so die Analyse. BlackRock-CEO Larry Fink ist deshalb überzeugt, „dass nachhaltige und klimabewusste Portfolios Anlegern bessere risikobereinigte Renditen bieten können.“ Und da Nachhaltigkeit die Anlagerenditen immer stärker beeinflusse, sei „nachhaltiges Investieren das beste Fundament für die Portfolios unserer Kunden“.

Nirgendwo scheint Nachhaltigkeit so bequem zu sein, wie an den Finanzmärkten. Dort funktioniert sie ganz ohne Verzicht. Im Gegenteil, man bekommt seine guten Absichten sogar noch verzinst. Je nachdem, wie gut es am Markt eben gerade läuft. Investieren wird da zu einer Art Wellnessurlaub für das eigene Gewissen – und spricht wohl auch deshalb so viele Menschen an. „Für einige Teile des Marktes sind die Erwartungen wirklich überzogen“, sagt Jacco Minnaar, Vorstandschef des Vermögensverwalters Triodos. „Es wird derzeit mehr Geld in ‚grün‘ investiert, als es investierbare Projekte gibt.“

Aber wird das investierte Geld dann auch tatsächlich nachhaltig angelegt? Was ist eigentlich mit einem nachhaltigen ETF gemeint? Auf welche Aktien darf ein solcher Fonds setzen und auf welche nicht? Wie nachhaltig sind die Nachhaltigkeitsstrategien der Banken wirklich? Das sind Fragen, die zumindest bei all jenen auftauchen, die es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit.

Zunächst einmal ist der Nachhaltigkeitsbegriff nicht geschützt. Damit liest er sich so schön, wie der bunte Schmetterling auf der Homepage der Deutschen Bank aussieht, ist allein aber bedeutungslos. Investiert werden kann auch bei einer Nachhaltigkeitsstrategie weiterhin in jedes Unternehmen. Deshalb wurde eine Reihe von Kriterien eingeführt, die Nachhaltigkeit messbar machen sollen. Die bekanntesten darunter sind die sogenannten ESG-Kriterien. Deren Einhaltung hat sich inzwischen als Grundlage für ethische Investments etabliert.

ESG steht dabei für Environment, Social und Governance. Das heißt: Unternehmen, in die investiert wird, werden auf Kriterien, wie Umwelt- und Klimaschutz, Diversität und Gleichberechtigung oder Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung untersucht. Diese ESG-Investments haben in Deutschland 2020 ein neues Rekordhoch erreicht. Wie aus dem Marktbericht 2021 des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG) hervorgeht, waren Ende des vergangenen Jahres 335,3 Milliarden Euro ESG-konform angelegt. Das sind 25 Prozent mehr als 2019 und entspricht fast einem Drittel der Marktkapitalisierung des DAX zum selben Zeitpunkt. Vor allem nachhaltige Investmentfonds sind bei Anlegern gefragt. Hier stieg das Investitionsvolumen im Jahresvergleich um 69 Prozent auf 107 Milliarden Euro. Privatanleger investierten mit 39,8 Milliarden Euro 117 Prozent mehr in nachhaltige Fonds und Mandate als 2019.

Für 2021 erwarten die im Marktbericht befragten Finanzexperten weiteres Wachstum. 29 Prozent der Befragten rechnet mit einem Plus von bis zu 15 Prozent, 36 Prozent halten Wachstumsraten zwischen 15 und 30 Prozent für möglich, 35 Prozent glauben sogar an einen Anstieg um mehr als 30 Prozent. In der Schweiz kletterte das Volumen nachhaltiger Fonds im vergangenen Jahre sogar erstmals über das von herkömmlichen Aktienpaketen. Mit 649,5 Milliarden Franken machten sie 52 Prozent des gesamten Schweizer Fondsmarktes aus, so das Ergebnis einer Studie von Swiss Sustainable Finance.

Solche Verschiebungen werden unter anderem von Zusammenschlüssen wie der Net Zero Asset Owner Alliance (AOA), in deren Namen sich inzwischen 33 institutionelle Anleger dazu verpflichtet haben, ihre Portfolios bis 2050 klimaneutral zu stellen, befördert. Darunter sind zwölf Pensionsfonds, die allein 2,4 Billionen US-Dollar verwalten. „Wir gehen diese Verpflichtung ein, da wir erwarten, First-Mover-Vorteile zu erzielen und langfristig Renditen zu sichern, indem wir das Kapital unserer Versicherungskunden klimaschonend anlegen“, wirbt die Allianz, die stolze 800 Milliarden Dollar verwaltet. „Wir Asset Owner nehmen unsere Verantwortung ernst und steuern im Dialog mit den Unternehmen, in die wir investieren, auf kohlenstoffarme Geschäftspraktiken hin“, erklärt Vorstandschef Oliver Bäte. Odd Arild Grefstad, CEO des norwegischen Vermögensverwalters Strorebrand, sagte bei Gründung der AOA: „Nachhaltige Investments generieren schon heute gute Renditen, was zeigt, dass solche Anlagestrategien eine Win-win-Situation sind. Für die Menschen, den Planeten und den Profit.“

Sind sie das wirklich? Wie ist es möglich, dass bereits heute mehr als die Hälfte des Schweizer Fondsvolumens in nachhaltigen Anlagen steckt? Um das zu erreichen, müssen sehr viele Konzerne innerhalb kürzester Zeit „grün“ geworden sein.

Das sind sie natürlich nicht. Das Grundproblem: Auch die ESG-Kriterien bieten noch viel zu viel Spielraum in der Auslegung und sind häufig von unternehmensinternen Informationen abhängig. Ein Unternehmen muss nicht besonders klimafreundlich sein, solange es dafür auf Diversität setzt. Von objektiver Stelle prüft niemand nach. Dazu gibt es viele unklare Fälle: Ist ein Konzern als nachhaltig einzustufen, wenn er zwar CO2-neutral wirtschaftet, gleichzeitig aber Teile für Atomkraftwerke produziert? Viele große Fonds setzen überdies auf den sogenannten „Best-in-class“-Ansatz. Berücksichtigt werden dabei Unternehmen, die im Vergleich zur Sektor-Konkurrenz über ein hohes ESG-Rating verfügen und bestimmte Kriterien hinsichtlich des Klimaschutzes erfüllen. Je nachdem wie streng diese „bestimmten Kriterien“ gehandhabt werden, könnte in der Theorie auch der nach ESG-Rating nachhaltigste Öl-Konzern mit in den Fonds aufgenommen werden. Böse Zungen würden spätestens an dieser Stelle von „Greenwashing“ sprechen. Der „Deka-Nachhaltigkeit-Renten“-Fonds beispielsweise hält als einen seiner Top-5-Werte Aktien von Galp Energia SGPS, einem portugiesischen Energie-Unternehmen, das weltweit im Gas- und Ölgeschäft tätig ist. Im „Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Mix“ finden sich die Titel von Öl-Multi Total.

Schon ernster scheint es da der „iShares MSCI World SRI UCITS ETF“ zu meinen. Große Ölkonzerne, Betreiber von Kohle- oder Atomkraftwerken sucht man in dem passiven Indexfonds vergebens. Allerdings enthält auch er Aktien etwa von Adidas, das Unternehmen gerät immer wieder in die Schlagzeilen, weil es seine Sportartikel in umstrittenen Fabriken in Asien produziert. Ebenso finden sich Anteile am eigenen Konzern, Blackrock, im Portfolio. Und Blackrock in Gänze investiert nicht ausschließlich in nachhaltige Unternehmen.
Hat der Chef der deutschen Verbraucherzentrale  Klaus Müller  also recht, wenn er, wie in einem Interview, sagt: „Nachhaltigkeit ist ein fantastisches Werbeversprechen.“ Ist das einzige nachhaltige an der nachhaltigen Geldanlage, dass es weiterhin sehr nachhaltig nur um gute Renditen geht?

Manche Fonds legen das nahe. Es gibt aber auch Anbieter, die auf strengere Kriterien drängen oder selbst intern nachschärfen. Triodos Investment Management etwa bietet bei einem verwalteten Vermögen von 5,4 Milliarden Euro ausschließlich nachhaltige Fonds an und legt dabei viel Wert auf den sogenannten Impact. „Unter den Top-Unternehmen, die sich in den 20 größten ESG-Fonds befinden, sind viele Technologie-Unternehmen, die zwar einen geringen CO2-Fußabdruck aufweisen, jedoch einen geringen positiven Impact auf die Umwelt erzielen“, erklärt Vorstandschef Jacco Minnaar. „Es ist einfach, ein Portfolio mit einem geringen CO2-Fußabdruck zu erstellen: Sie wählen einfach viele Technologie- und Finanzunternehmen aus.“ Es bleibt die Frage: „Was ist der tatsächliche positive Impact auf eine nachhaltige Gesellschaft?“. Bei Triodos unterstützt man deshalb auch die Transparenzbemühungen der EU, allen voran die EU-Taxonomie. Diese sei ein „zukunftsweisender Ansatz, der enorme Auswirkungen auf die Transformation der nachhaltigen Investmentbranche haben wird. Sie unterstützt den Übergang zu einer Wirtschaft, die mit den sehr ehrgeizigen Emissionsreduktionszielen der EU übereinstimmt, und umreißt ein Klassifizierungssystem und Screening-Kriterien, die die wirtschaftlichen Aktivitäten definieren, welche einen wesentlichen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels leisten können“, gibt sich Minnaar hoffnungsvoll. „Letztendlich wird es den Markt verändern, indem es ‚grün gewaschene‘ Produktangebote reduziert.“

Auch in Triodos-Fonds finden sich allerdings Unternehmen, wie Adobe, Henkel, Fresenius oder Danone, über deren direkten Nachhaltigkeits-Impact sich diskutieren lässt. Um Anlegern kein hochspekulatives Produkt anzubieten, kommt man offenbar schwer drum herum, hier und da ein paar Abstriche zu machen.

Als Fazit bleibt: Schöne Bilder allein reichen nicht. Anleger sollten nachhaltige Fonds, in die sie investieren wollen, genau prüfen. Nachhaltig kann, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, sehr vieles sein, nur am Ende vielleicht gerade nicht das, was man selbst darunter versteht oder erwartet.

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