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Immobilienmarkt dreht: Das Umland wird teurer

Homeoffice, Kurzarbeit und Stellenabbau hinterlassen tiefe Spuren auf dem Immobilienmarkt. Während Büroflächen in der Stadt zu Ladenhütern werden, reiben sich Käufer auf dem Land die Augen: Die Preise für Immobilien im Umland ziehen deutlich stärker an als in den Metropolregionen.

Landlust statt Landflucht - das belegt eine neue Immobilienstudie (Bild | Christian Schwier).

Homeoffice, Kurzarbeit und Stellenabbau hinterlassen tiefe Spuren auf dem Immobilienmarkt. Während Büroflächen in der Stadt zu Ladenhütern werden, reiben sich Käufer auf dem Land die Augen: Die Preise für Immobilien im Umland ziehen deutlich stärker an als in den Metropolregionen.

Auf dem Immobilienmarkt verschieben sich die Gewichte. Knapp ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist damit die Corona-Krise in einem Markt angekommen, der seit Jahren dank niedriger Zinsen boomt. Zwar sinken bislang nicht die Preise, aber die Nachfrage verschiebt sich: Weg von der Stadt, raus aufs Land heißt der Trend.

Der gilt zunächst einmal für alle die, die Büroimmobilien suchen, anbieten oder vermitteln.  Laut einer Analyse von German Property Partners (GPP), einem Netzwerk lokaler Gewerbeimmobilien-Dienstleister, ist der Umsatz pro Fläche bei der Vermietung von Büroimmobilien im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahresquartal um 41 Prozent gesunken. Der Abwärtstrend ist bereits seit März spürbar und hat sich seither verstärkt: So betrug das Minus im ersten Quartal 25 Prozent, im zweiten Quartal lag es bei 35 Prozent. Die Gründe liegen auf der Hand. „Insbesondere Firmen aus industriellen und technischen Branchen stellen Anmietungsentscheidungen zurück oder erwägen Flächenreduzierungen“, sagt Oliver Schön, Sprecher von GPP. „Unternehmen, deren Mitarbeiter häufiger im Homeoffice arbeiten oder die von der Pandemie stärker betroffen sind, denken darüber nach, wie sie Büroflächen einsparen.“

Landlust statt Landflucht

Der gleiche Trend führt anderswo zu erhöhter Nachfrage: Aus der jahrzehntelangen Landflucht ist die Landlust geworden, die den Immobilienmarkt erreicht hat. Ob Köln, Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf oder Stuttgart: Das Umland um die deutschen Top-Sieben-Städte boomt. In der Corona-Pandemie hat sich der Trend soweit verstärkt, dass er sich jetzt in den Immobilienpreisen widerspiegelt: „Die Vororte und ländliche Regionen im Umland der großen Metropolen erleben derzeit ein deutliches Nachfragewachstum“, heißt es in einer Studie, die die Immobilienexperten von Engel & Völkers exklusiv für den WirtschaftsKurier erstellt haben. Die Makler haben dazu eine Marktanalyse für rund 700 Gemeinden in allen Landkreisen vorgenommen, die an die Top-Sieben-Städte der Bundesrepublik angrenzen. Verglichen wurden die Angebotspreise für Ein- und Zweifamilienhäuser in den Umlandregionen im ersten bis dritten Quartal 2020 mit dem Vergleichszeitraum von 2015. Ergebnis: Der Run auf die Vororte führt bundesweit zu steigenden Preisen. Kai Enders, Vorstandsmitglied beii Engel & Völkers, stellt fest: „In Zeiten von Corona möchten die Menschen vermehrt ins Grüne ziehen, aber gleichzeitig nicht die Vorzüge des urbanen Lebens und die Sicherheit einer erstklassigen medizinischen Versorgung missen. Kleinstädte im Umkreis der Ballungszentren erweisen sich als aufstrebende Wohn- und Investmentstandorte.”

Der Anstieg der Preise ist gewaltig. Innerhalb der vergangen fünf Jahre kletterten die Angebotspreise in den Umlandgemeinden im Durchschnitt um 57,8 Prozent, das ist deutlich mehr als beispielsweise die Performance des DAX. Und es ist auch deutlich mehr als die Preissteigerung in den Städten selbst, die nach Berechnungen der Immobilienexperten bei 43,9 Prozent liegt. Im Vergleich der Top-7-Städte stiegen die Preise im Berliner Umland am stärksten: Durchschnittlich sind es, die Zahl übertrifft den Hauptstadttrend um knapp 20 Prozentpunkte.  Auf das Berliner Umland folgt die Region Stuttgart mit dem zweitstärksten Preisanstieg: 62,6 Prozent sind es hier.

Bisher galt: Bezahlbares gibt es nur im Umland

Die Ergebnisse decken sich mit der ebenfalls Ende dieses Jahres erschienenen Studie der Sparda-Banken zu den Wohntrends unter den Vorzeichen der Pandemie. Die Autoren der Studie der Bank, die einer der größten Finanzierer für private Wohnimmobilien in Deutschland ist, weisen noch auf einen anderen Grund für die neue Landlust hin: „Große und bezahlbare Wohnungen finden sich nur noch im Umland“, schreiben sie. Insbesondere für junge Familien seien Chancen, ein bezahlbares Eigenheim im ländlichen Raum zu erwerben, höher als in den Metropolen selbst.

Für die, die raus aufs Land ziehen, kommt allerdings oft das böse Erwachen, wenn der Möbelwagen ausgeladen ist. Laut einem aktuellen Bericht der Bundesregierung verläuft zwischen Stadt und Land ein tiefer Graben. Die Rückständigkeit der ländlichen Räume bei Wirtschaftskraft, medizinischer Versorgung und Einkaufsmöglichkeiten sind gravierend. Zwei Drittel der Bewohner auf dem Land können ihren Supermarkt nicht zu Fuß erreichen. Bei der Wirtschaftskraft pro Einwohner gerechnet liegen die Dörfer und Kleinstädte ein Drittel unter dem, was in den Städten verdient wird. Schnelles Internet, das die Voraussetzung für mobiles Arbeiten und damit für den Umzug von Städtern aufs Land ist, gibt es sogar nur für rund zwölf Prozent der Provinz-Bewohner.

Die Entwicklung ländlicher Räume zu steuern, obliegt in Deutschland dem Landwirtschaftsministerium unter Julia Klöckner. Ein Wörtchen mitzureden hat auch das Innenministerium, das auf Ansinnen von Innenminister Horst Seehofer den zusätzlichen Titel des Heimatministeriums trägt. Klöckner und Seehofer haben auch politisches Interesse an dieser Aufgabe. Allein 42 Prozent aller Menschen wohnen in Kommunen mit bis zu 20.000 Einwohnern und weitere 27 Prozent in Städten, in denen weniger als 100.000 Menschen leben. Die Union hat hier ihre traditionelle Wählerklientel. Wenn sie in der Provinz Wohltaten verteilt, so die Rechnung, steigt sie in der Gunst ihrer Anhänger. Deswegen gibt es Geld: Milliarden fließen aus dem „Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums“, Millionen aus dem Aufbauplan „Next Generation EU" und noch einmal Milliarden, diesmal allerdings aus der Bundeskasse und von den Ländern, für die „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Klöckner spricht von „Kraftzentren unseres Landes", die es zu stärken gelte. Es gehe um Nahversorgung, Ärzte, Kitas und Schulen, schnelles Internet und gute Verkehrsinfrastruktur.

In ihrem jüngsten Bericht zur „Entwicklung des ländlichen Raums“ musste Klöckner allerdings mitteilen, dass viel Geld ungenutzt liegenbleibe. Das gilt etwa für die Breitbandförderung, weil die Förderkriterien des Bundesprogramms und einiger Länderprogramme nicht zusammenpassten.

Immobilienexperten sehen dennoch weiteres Entwicklungspotenzial für Umlandregionen. Infolge von Corona habe sich das eigene Zuhause noch stärker zum Lebensmittelpunkt und Hauptaufenthaltsort für die ganze Familie entwickelt, analysiert Engel & Völkers. Die Kontakt- und Reisebeschränkungen haben das Privatleben und den Arbeitsalltag vieler Menschen vermehrt ins Homeoffice verlagert. Mit der wachsenden Anforderung an die Funktionalität von Wohnräumen und der zunehmenden Zeit, die alle Haushaltsmitglieder daheim verbringen, wachse der Wunsch nach noch mehr Platz und Rückzugsmöglichkeiten. „Wir werden langfristig eine Revitalisierung ländlicher Regionen erleben”, prognostiziert Kai Enders.

Was die Immobilienvermittler auf der einen Seite freut, hat für sie Schattenseiten, wenn es um die Nachfrage in den Städten geht. Laut einer Studie von PwC rechnen Arbeitgeber mittel- bis langfristig mit einem durchschnittlichen Anstieg der Homeoffice-Tage um 65 Prozent gegenüber dem Vorkrisen-Niveau. Um die Ausrüstung dafür zur Verfügung zu stellen, brauchen sie Geld. Die Unternehmensberatung Deloitte hat in einer Umfrage herausgefunden, dass 43 Prozent der Finanzvorstände deutscher Großunternehmen planen, in die IT-Infrastruktur zu investieren, um diese auch zu Hause sicher und gut bedienbar zu machen. Das Geld dafür wollen sie einsparen und nehmen dafür ihre Büroflächen ins Visier: Mehr als jeder dritte Finanzvorstand sieht hier erhebliches Einsparpotential.                

oli

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