Lagarde zur EZB: Was heißt das für Deutschland?
Christine Lagarde folgt Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank. In den über zwanzig Jahren seit der Geburt des Euro hat keine Personalentscheidung in der europäischen Geldpolitik so überrascht wie diese. Was sind ihre Folgen?
Christine Lagarde folgt Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank. In den über zwanzig Jahren seit der Geburt des Euro hat keine Personalentscheidung in der europäischen Geldpolitik so überrascht wie diese. Was sind ihre Folgen?
Von Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank
Dass jemand ohne eingehendes Studium der Volkswirtschaft und ohne direkte Erfahrung in der Geldpolitik eine herausge-hobene Stellung in einer nationalen Zentralbank übernehmen kann, um sich auf die Art für noch höhere Weihen zu qualifizieren, wäre übliche Praxis gewesen. Aber dass Lagarde gleich auf den Chefsessel der wirtschaftlich mit Abstand mächtigsten Institution in Europa rücken soll, kann als kleine Sensation gelten. Von ihrem bisherigen Lebenslauf aus gesehen hätte Lagarde mindestens ebenso gut an die Spitze der Europäischen Kommission gepasst.
Ist die energische Französin damit die falsche Frau für Frankfurt?
Nein. Sie bringt wesentliche Qualitäten mit, die sie in bei der EZB gut gebrauchen kann. Als Direktorin des Internationalen Währungsfonds seit Juli 2011 hat sie viel Erfahrung darin gesammelt, eine große multilaterale Institution effektiv zu führen. Weit über ihre ursprüngliche Herkunft als französische Wirtschafts-und Finanzministerin von 2007 bis 2011 hinaus hat sie sich eine internationale Perspektive erarbeitet, wie sie nur wenige andere Entscheidungsträger aufweisen können. Qua Amtes war sie bei nahezu allen wichtigen wirtschaftspolitischen Diskussionen der letzten Jahre dabei. Die große Wirtschafts-und Finanz-krise von 2008/2009 hat sie als Pariser Finanzministerin ebenfalls hautnah erlebt. In der Eurokrise haben alle Seiten viel Lehrgeld zahlen müssen. Aber unter Lagardes Führung ist der Währungsfonds 2013 über seinen Schatten gesprungen und hat öffentlich eingeräumt, anfangs zu sehr auf eine reine Sparpolitik gesetzt und die kurzfristigen Konjunkturschäden einer solch harten Austerität in strukturell wenig flexiblen Ländern unterschätzt zu haben.
Eine solche Lernfähigkeit sollte man ihr – und dem Währungsfonds – hoch anrechnen, auch wenn einige Vorschläge des Währungsfonds zu europäischen Fragen in den Jahren danach nicht immer wirklich sachdienlich waren. Lagarde hat es in den heißen Tagen der Eurokrise verstanden, sich trotz mancher Unterschiede im Denkansatz gerade auch mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble zu einigen. Sie gilt wohl zu Recht als erfahrene Verhandlungspartnerin, die Kompromisse schmieden kann, ohne ihre eigenen Grundlinien aufzugeben. Für die Arbeit bei der EZB kann dies nur nützlich sein. Zudem kann sie gut kommunizieren. Mit grundsätzlichen Fragen der Wirtschaft und Geldpolitik hat sich Lagarde auch beim Währungsfonds intensiv auseinander setzen müssen.
In den Einzelheiten dürfte sie angesichts ihres Hintergrundes weniger firm sein als beispielsweise der Harvard-Absolvent Mario Draghi oder der Bundesbanker Jens Weidmann. Aber für diese Fragen kann sie auf den geballten Sachverstand der EZB zurückgreifen. Sie muss ja nicht die einzelnen Zahlen der Wirtschafts- und Inflationsprognose erarbeiten können. Sie muss in der Lage sein, aus der Analyse ihrer kompetenten Mitarbeiter die richtigen Schlüsse für die Geldpolitik zu ziehen. Mit Philip Lane steht ihr ein neuer Chefvolkswirt bei der EZB zur Seite, der bestens für die Aufgabe gerüstet ist, sie entsprechend zu beraten.
Wird sich die Geldpolitik unter Lagarde ändern?
Nein. Erstens hat Draghi den Kurs mit seiner Rede in Sintra vor zwei Wochen bereits teilweise vorgezeichnet. Die EZB ist bereit, auf unerwartet niedriges Wachstum oder eine unerwartet niedrige Inflation mit einem neuen geldpolitischen Impuls zu reagieren, notfalls auch mit erneuten Anleihekäufen. Zweitens dürfte Lagarde in Grundfragen der Geld-, Wirtschafts-und Finanzpolitik weitgehend mit Draghi übereinstimmen. Aus deutscher Sicht heißt die Entscheidung für Lagarde auch, dass der Präsident der Bundesbank erneut nicht zum Zuge kommt. Das mag eine verpasste Gelegenheit sein.
Aber macht dies einen großen Unterschied für die Geldpolitik? Die Erwartungen, die manche deutsche Beobachter mit einem möglichen Wechsel von Jens Weidmann von der Bundesbank zur Europäischen Zentralbank verbunden haben, waren immer übertrieben. Schließlich ist Weidmann ein echter Bundesbanker. In der Zeit, in der die Bundesbank bis 1998 unsere Geldpolitik gestaltet hat, war sie wesentlich pragmatischer, als das ihrem heutigen Image entspricht. Unter der Bundesbank war die deutsche Inflation im Regelfall doppelt so hoch wie heute. Wenn es wirtschaftlich – oder politisch – geboten war, hat auch die Bundesbank früher immer mal wieder für den französischen Franc oder die italienische Lira interveniert. Dass Krisen den Einsatz besonderer Mittel erfordern können, gehörte auch für einen echten Bundesbanker dazu.
Wackelkonjunktur + niedrige Inflation = Niedrigzins
Die Zinsen sind bei uns heute außerordentlich niedrig. Das hat wenig damit zu tun, dass die EZB eine Geldpolitik betreibe, die sich mehr an Italien als an Deutschland orientiere, wie es manchmal in Deutschland so heißt. In der Schweiz mit eigenständiger Geldpolitik sind die Zinsen noch stärker im negativen Bereich. Stattdessen drücken Wackelkonjunktur und Niedriginflation der Geldpolitik ihren Stempel auf. Zudem wird der Einfluss des Zentralbankpräsidenten manchmal überschätzt. In normalen Zeiten diskutieren und entscheiden im Zentralbankrat der EZB 25 gestandene Männer und Frauen über den Kurs der Geldpolitik. Sie lassen sich kaum bevormunden. Wenn Weidmann seinen Platz in diesem Rat von dem des Bundesbank-Präsidenten auf den des Vorsitzenden des gesamten Gremiums hätte wechseln können, hätte dies die Debatte wohl nur begrenzt beeinflusst.
Dem fachlich versierten Weidmann hätten wir diesen Aufstieg gerne gegönnt. Aber auch er hätte das zu erwartende Zinsprofil vermutlich nicht entscheidend ändern können oder wollen. Auf die Person an der Spitze kann es vor allem dann ankommen, wenn in akuten Krisen Entscheidungen rasch vorbereitet werden müssen. In dieser Hinsicht bringt Lagarde viel Erfahrung mit. Das Management von Krisen ist schließlich das Hauptgeschäft des Währungsfonds. Hoffentlich stehen uns keine unmittelbaren Turbulenzen bevor. Dann dürfte Lagardes Wechsel nach Frankfurt sehr wenig ändern. Sollte es aber wider Erwarten in absehbarer Zeit doch zu einer erneuten Krise kommen, könnten wir der krisenerprobten Christine zutrauen, unser Geld relativ sicher durch solche Turbulenzen zu steuern.
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