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Leoni – wie ein österreichischer Milliardär Deutschlands Traditionsunternehmen plündert

Wie bringt man einen Aktienkurs von sechs Euro auf 29 Cent in nur drei Monaten? Stefan Pierer weiß das. Der berühmt-gefürchtete österreichische Investor versucht gerade, sich den Drahthersteller Leoni einzuverleiben. Je billiger, desto besser. Passt dann schon.

Der österreichische Investor Stefan Pierer will zum Alleineigentümer werden. Bildnachweis: picture alliance / FOTOKERSCHI.AT / APA / picturedesk.com | FOTOKERSCHI.AT

Wie bringt man einen Aktienkurs von sechs Euro auf 29 Cent in nur drei Monaten? Stefan Pierer weiß das. Der berühmt-gefürchtete österreichische Investor versucht gerade, sich den Drahthersteller Leoni einzuverleiben. Je billiger, desto besser. Passt dann schon.
 
Leoni hieß früher „Leonische Drahtwerke“ und befasste sich intensiv mit der Herstellung eben jener leonischen Metalle, seit alters her bekannt als Metallgeflechtproduktion – sei es Eisen, sei es Gold. Ja, auch Lametta. Keineswegs aber ist alles Gold, was noch glänzt beim längst modern auftretenden Konzern, der wichtiger Autozulieferer ist mit seinen begehrten Kabelbäumen und Bordnetzen für die Industrie. Dennoch wollte man die Fahrzeug-Kabelsparte abstoßen, notgedrungen, wie schon manch anderen Zweig des Nürnberger Unternehmens, das seine Anfänge immerhin auf das Jahr 1569 zurückführt. Der anvisierte Käufer des Kabelbusiness, der Konzern Stark aus Thailand, sprang jedoch Ende 2022 kurz vor Vertragsunterzeichnung unhöflicherweise ab – 442 Millionen Euro hätten Leoni zufließen sollen, die dann fehlten, um die schulden zu bedienen. Seit Jahresbeginn tüftelten die Nürnberger an einer Lösung, die Last der Verbindlichkeiten drückte, und Rettung war nicht in Sicht, schon gar nicht durch die Autohersteller, die ihrem Zulieferer hätten unter die Arme greifen können.
 
Vermutlich herrschte allerorten die Furcht, dass Leoni ein Fass ohne Boden sein könnte. Aus rätselhaften Gründen hatten sich die Nürnberger über die Jahre ein Sammelsurium an Beteiligungen zusammengekauft. Und teils recht bald wieder abgestoßen – es handelte sich um Kabelhersteller und verwandte Branchenvertreter aus nah und fern, und nicht nur rückblickend passt da nicht viel zusammen. Das Chaos zeitigte natürlich auch keinen soliden Ertrag. Die Zukäufe nahmen seit 1999 Fahrt auf, als die damaligen Leonischen Drahtwerke in den Sog des Neuer-Markt-Hypes gerieten und als weithin bekannter Geheimtipp schwindelnde Höhen an der Börse erreichten. Es ging bergauf und stark bergab; immerhin stand 2018 noch ein Kurs von 65 Euro zu Buche, der nun pulverisiert ist – und nicht einmal die verbliebenen 29 Cent dürfte ein Aktionär erhalten, wenn es nach dem Willen des österreichischen Magnaten Stefan Pierer geht. Dem gehören unter anderem die Motorradhersteller KTM und Husqvarna, diverse Beteiligungen darüber hinaus, er ist in Österreich hoch angesehen und vernetzt, fördert die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und erfuhr zahlreiche Ehrungen nicht nur der dortigen Industrieverbände - und ist ganz neu auch Aufsichtsratsmitglied bei Mercedes-Benz.
 
Über Aktienkäufe sicherte er sich seit 2021 zunächst einen 20-Prozent-Anteil an Leoni. Nun will er das Unternehmen von der Börse nehmen – zahlreiche Gläubiger können kostenlos zusehen, die freien Aktionäre auch. Mehr aber auch nicht. Leoni selbst stellt seine Kapitalmarktinformationen unter das Motto: „Das ‚Prinzip Qualität´ wird bei LEONI konsequent gelebt und ist auch in der Kapitalmarktkommunikation fest verankert. Dabei setzen wir auf zeitnahe Information und den persönlichen, offenen Dialog zu privaten und institutionellen Investoren sowie Analysten“. Ob diese hehren Absichten auch für den Großinvestor Pierer gelten, kann dahingestellt bleiben, denn auch für Leoni selbst würde das momentan wohl kaum jemand unterschreiben. Das abgewirtschaftete Unternehmen musste bereits mitteilen, dass das Grundkapital aufgezehrt ist, was den Aktionären bei der Hauptversammlung am 2. Juni offiziell eröffnet werden soll, zusammen mit dem Sanierungskonzept des Stefan Pierer, das jedenfalls keine Sanierung bedeutet, an der die bisherigen Aktionäre irgend einen Anteil haben werden. Der „strategische  Investor“ Pierer wird 150 Millionen Euro künftige Aktien der Leoni AG zeichnen, außerdem 708 Millionen Euro an Schulden von den bisherigen Gläubigern angedient bekommen – und auf diese Forderungen dann verzichten. Die bisher dem Konzept beigetretenen Gläubiger, zumeist Banken, opfern damit zunächst die Hälfte ihrer Forderungen. Dafür erhalten sie Anteile an der „neuen“ Leoni, nicht börsennotiert, im Gegenwert von 45 Prozent. Am 3. April 2023 verlautbarte Leoni außerdem kurz und bündig: „Damit ist bereits jetzt die erforderliche Mehrheit für die Umsetzung der Sanierung gesichert. Heute hat der Aufsichtsrat der Leoni AG der Vereinbarung zugestimmt.“
 
Stefan Pierer bleibt sich in gewisser Weise treu. Der 66jährige Unternehmer, Bauernsohn aus der Steiermark, kämpfte sich allein nach oben, und nach seiner ganzen Einstellung kann er eines nicht ausstehen: Schulden. Die machten einen zum Gefangenen, ließ er einmal verlauten. Seine Übernahmeobjekte können ein Lied davon singen. Denn Pierers ganze Karriere fußte auf der Akquisition nahezu insolventer Unternehmen, sodann Entschuldung via Pleite, natürlich auf Kosten der bisherigen Eigentümer, und Neuaufstellung: „Die ersten Jahre seiner Karriere waren für KTM-Boss Stefan Pierer nämlich wenig ruffördernd. Er hat mit seinen damaligen Partnern eine wirtschaftliche Blutspur hinterlassen und musste sich als Sanierer mehrfach den Vorwurf "Pleitegeier" gefallen lassen“, urteilte „Die Presse“ aus Wien. Pierer besitzt, beaufsichtigt oder leitet insgesamt nicht weniger als 28 Unternehmen oder Stiftungen, deren Name meist mit „Pierer“ beginnt und mit GmbH oder AG endet. In der Tat geht es zum Beispiel seiner Motorradmarke KTM heute blendend. Auf dem Weg dahin kam allerdings einiges unter die (Zwei-)Räder. Sich selbst dürfte er als Ritter in schimmernder Wehr sehen, wahlweise weiß oder gold-metallic.
 
Nichts läge den Aktionärsschützern in Deutschland ferner, als ihn so zu charakterisieren. Sowohl die DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) als auch die SdK (Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger) werfen dem österreichischen Milliardär vor, dass er via Ausschluss des Bezugsrechts der Streubesitz-Aktionäre an Papieren der neu aufgestellten Leoni AG die Kleinanleger einfach über Bord wirft: „Sie hätten damit keine Möglichkeit, an dem etwaigen Restrukturierungserfolg der LEONI AG zu partizipieren. Dies lehnte die SdK als ungerechtfertigte Benachteiligung der Streubesitzaktionäre ab“, so die Vereinigung in einer Stellungnahme vom 24. Mai. Am 31. Mai steht ein Erörterungs- und Abstimmungstermin beim Amtsgericht Nürnberg an, bei dem die bisherigen Anteilseigner ja oder nein sagen können. Wenn sie denn erscheinen. Die SdK wird im Namen der von ihr vertretenen Aktionäre „nein“ sagen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sehen die Aktionärsschützer auf ihrer Seite – danach wäre für eine derart tiefgreifende Änderung der Verhältnisse bei Leoni ein Hauptversammlungsbeschluss per Dreiviertelmehrheit nötig. Den aber gibt es nicht. Außerdem – und dies sei heutzutage ein Unding – könne der Restrukturierungsplan „von Aktionären nur beim Amtsgericht Nürnberg persönlich und direkt zu festgelegten Zeiten eingesehen werden. Eine Übermittlung in digitaler Form ist nicht vorgesehen, offenbar auch nicht die Ausreichung von Kopien des Plans.“ Der Verband DSW sieht es genauso: Dass hier auf Kosten der freien Aktionäre allein der Großaktionär das Ruder übernimmt und zu Lasten und ohne Beteiligungsmöglichkeit der sonstigen Bestandsaktionäre eine Sanierung allein zu seinen Gunsten vornimmt, ist weder nachvollziehbar noch der richtige Weg“, so Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW.
 
Doch Leoni macht sich das noch recht neue „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ (StaRUG) zunutze, das der Firmenleitung sehr weitgehende Befugnisse einräumt, wenn anderenfalls eine ungeordnete Insolvenz drohen würde. Das Gesetz gilt seit 2021 und setzt eine EU-Richtlinie um. Von daher dürfte der Widerstand der freien Aktionäre wenig Erfolg haben. Zu erwartende Gerichtsverfahren bringen dann in einigen Jahren vermutlich interessanten Wissenszuwachs, aber keine Rettung mehr. Stefan Pierer jedenfalls darf sich freuen – aber seine gewinnbringenden Feldzüge hat er auch bisher schon ohne gesetzliche Schützenhilfe siegreich abgeschlossen. Wie er wohl sagen würde: Wenn man sich so in die Schulden reitet, dann ist man halt gefangen.

Reinhard Schlieker

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