„Die Rezession ist in wichtigen Branchen bereits angekommen“
Philip Gisdakis, Chefanlagestratege Wealth Management & Private Banking bei der HypoVereinsbank, über Rezessionsängste, die Kapitalmarktperspektiven für das kommende Jahr und Strategien, mit denen Anleger auf ein herausforderndes Umfeld reagieren können.
Philip Gisdakis, Chefanlagestratege Wealth Management & Private Banking bei der HypoVereinsbank, über Rezessionsängste, die Kapitalmarktperspektiven für das kommende Jahr und Strategien, mit denen Anleger auf ein herausforderndes Umfeld reagieren können.
Die wichtigste Frage gleich vorweg: Setzt sich der Aktienboom 2020 fort oder droht eine Korrektur?
Nach der erfreulich starken Rallye 2019 sieht die Aussicht auf 2020 deutlich verhaltener aus. Der bevorstehende Brexit sowie der Handelskonflikt zwischen den USA und China haben die Entwicklungen an den Finanzmärkten 2019 geprägt und werden die Notierungen auch 2020 beeinflussen. Hinzu kommt die ökonomische Situation in den USA. Das Risiko einer Rezession in den USA was durchaus gewisse Rückschlagrisiken birgt. Positiv ist, dass es eine leichte Stabilisierung in den Frühindikatoren gibt, die den Märkten Unterstützung bieten könnten. Wir rechnen daher mit einer Seitwärtsbewegung. Dabei kann es jedoch durchaus zu stärkeren Schwankungen kommen. Dies gilt auch für das Jahresende, wenn die Wahl des US-Präsidenten ansteht.
Beim Brexit und im Handelskonflikt deuten sich bereits Lösungen an…
Das ist richtig. Es zeichnet sich zwar eine Lösung für den Austritt Großbritanniens aus der EU ab. Bisher ist jedoch noch nicht klar, wie die wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU geregelt werden sollen. Die geplante Übergangsphase von zwei Jahren wird vermutlich nicht ausreichen um ein neues Handelsabkommen abzuschließen. Unternehmen haben üblicherweise Planungshorizonte die länger als zwei Jahre sind. Unsicherheit bremst folglich Investitionen. Die Unternehmen brauchen daher Regelungen, um planen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China. Er hinterlässt in den Auftragsbüchern bereits Spuren und eine substantielle Lösung ist nicht absehbar. Dies gilt im Übrigen auch für das europäisch-amerikanische Verhältnis. Jeder Kommentar seitens der US-Regierung zu möglichen Strafzöllen lässt die hiesigen Aktienkurse beben.
Wie kam es zu dieser US-China-Eskalation?
Der wahre Konflikt liegt in der geostrategischen oder geoökonomische Vormachtstellung in der Welt. Mit dem Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wurde es für die USA zunehmend zur Bedrohung. Die Trump-Administration hat erkannt, dass China auf der Handelsseite verwundbar ist und begann an der Zollschraube zu drehen. Die Annäherung mit einem ersten Teilabkommen ist sicherlich ein wichtiger Schritt. Ich habe jedoch starke Zweifel, dass der Konflikt vollumfänglich gelöst wird. Daran haben im Moment weder die USA noch China Interesse. Wir gehen daher davon aus, dass es auch in Zukunft Teillösungen geben wird, der Konflikt aber langfristig brodeln und damit das wirtschaftliche Geschehen beeinflussen wird.
Welche Rolle spielt Europa in diesem Konflikt? Profitiert der alte Kontinent sogar?
Zunächst schaden neue Handelsbarrieren, welche das globale Wachstum bremsen, natürlich insbesondere export-orienterten Unternehmen. Europäische Unternehmen – allen voran die deutschen Konzerne – sind hier besonders stark engagiert und somit betroffen. Allerdings bleibt ein Großteil der Exporte deutscher Firmen in Europa. Eine solide Konjunktur in Europa wirkt somit als Stütze, welche hilft einen Teil der negativen Effekte Aufgrund der Abkühlung in China und den USA etwas abzufedern.
In Deutschland ist immer wieder von Rezession die Rede. Der Begriff Rezession erscheint angesichts von nahezu Vollbeschäftigung irreführend, oder?
Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland stieg im dritten Quartal 2019 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im Vorquartal schrumpfte das BIP um 0,1 Prozent. Damit schrammte Deutschland zunächst an einer Rezession vorbei. Dennoch ist in wichtigen Branchen die Rezession bereits angekommen, z. B. im verarbeitenden Gewerbe. Hier hängt die Auftragslage extrem vom globalen Handelszyklus ab. In der Zeit vor den strukturellen Reformen in Deutschland in den Nuller-Jahren kamen zusätzlich zu konjunkturellen Nachfragerückgängen in der globalen Konjunktur oft noch strukturelle Probleme welche die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im globalen Markt beeinträchtigte. Die Konzerne haben deswegen bei Nachfrageschwächen oft zügig mit Kurzarbeit oder gar Entlassungen reagiert. Dies führte zu einer breiteren und für viele Konsumenten spürbaren Rezession. Heute sind Unternehmen in Deutschland deutlich fitter für den globalen Wettbewerb. Die Unternehmen sind deswegen eher bereit eine temporäre konjunkturelle Schwäche einfach auszusitzen ohne Personal abzubauen.
Die strukturelle Abhängigkeit von der globalen Nachfrage ist allerdings eine notwendige Folge der Globalisierungsstrategie deutscher Unternehmen. Sollte sich die Unsicherheit jedoch weit ins nächste Jahr hineinziehen, die Probleme also nicht mehr aussitzen lassen, werden Unternehmen allerdings irgendwann auf die Kostenbremse drücken müssen. Dies könnte auf den Arbeitsmarkt durchschlagen und in der Folge die Konsumentennachfrage bremsen. Eine breit angelegte Krise zeichnet sich aktuell jedoch nicht ab.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Jahren ihren Teil dazu beigetragen, um die Konjunktur in Europa am Laufen zu halten. Bei neuen Rücksetzern kann sie kaum noch Impulse entgegensetzen.
Der konventionelle Werkzeugkasten der Notenbank ist mehr oder weniger leer. Es gäbe vielleicht noch das eine oder andere unkonventionelle Werkzeug, welches aber auf erhebliche politische Widerstände treffen würde. Das beschränkt den Wirkungsgrad der EZB. Nun ist die Politik gefragt. Zahlreiche Länder wie Italien, Frankreich und Spanien haben in den vergangenen Jahren strukturelle Maßnahmen ergriffen. Dennoch fehlen gezielte fiskalisch gesteuerte Impulse. Diese müssen in erster Linie von den mitteleuropäischen Ländern kommen. Im Wesentlichen aus Deutschland. Die deutsche Regierung verfolgt immer noch die Politik der schwarzen Null. Gleichzeitig fehlen Investitionen in Infrastruktur, IT und Bildung.
Diese Zurückhaltung kann zwei Gründe haben: Entweder traut sich keiner, dem Streben nach einem stets ausgeglichenen Haushalt ein Ende zu bereiten oder die politischen Entscheidungsträger warten ab. Schließlich ist die Wirtschaft noch intakt und die Zahl der Arbeitslosen sinkt weiter – wenngleich nur marginal. Ein Investitionsprogramm in Deutschland hätte weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen, Verbrauchervertrauen, Aktienmärkte und nicht zuletzt den Anleihemarkt. Einer der Gründe für die negativen Renditen ist, dass die Bundesregierung ihre Neuverschuldung in den vergangenen Jahren drastisch zurückgefahren hat. Das sinkende Anleiheangebot sorgt für sinkende Zinsen. Sollte sich die Regierung also in diese Richtung bewegen, könnte dies ein signifikanter Game Changer sein. Es ist im Moment jedoch nicht danach aus.
Die Europäische Zentralbank macht immer wieder klar, dass an der Zinsschraube bis auf weiteres nicht geschraubt wird. Zahlreiche Banken denken über Strafzinsen nach. Was sollen Investoren nun tun?
Im Falle von Negativzinsen bringt das klassische Sparbuchsparen nicht nur real, also inflationsbereinigt, sondern auch nominal nichts mehr. Das heißt: Der Anleger macht einen Verlust. Wie Investoren alternativ ihr Geld anlegen sollten, hängt in erster Linie von der Höhe des verfügbaren Kapitals und der Risikoneigung ab. Früher gab es eine Dreiteilung des Depots. Die erste Komponente sorgte für eine sichere jährliche Rendite. Dies wurde durch Anleihen abgedeckt. Die zweite Komponente galt als Absicherung gegen Krisen. Auch hier fanden sich meist ebenfalls Anleihen, aber auch Gold. Die dritte Komponente bot die Wachstumschance – meist Aktien. Je nach Risikoneigung wurden diese drei Positionen entsprechend gewichtet. Da sichere Investments heute keine Rendite erzielen, müssen Anleger umdenken.
Festverzinsliche Wertpapiere werden nur noch dazu genutzt, Risiken abzusichern, da Anleihepreise typischerweise in Zeiten von Aktienmarktkrisen steigen, und dabei die Kosten vergleichsweise gering zu halten. Dabei setzen Investoren meist auf Unternehmensanleihen mit guter Bonität. Der wichtigste Teil der Realverzinsung kommt jetzt aus defensiven Aktien, also über die Dividendenrendite. Je nach Depotgröße und Bereitschaft sich aktiv darum zu kümmern, kann dies durch Direktinvestments in Einzelaktien oder in diversifizierte Fonds und Zertifikate erfolgen. Eine Vielzahl von Zertifikaten bieten auch im Fall einer Seitwärtsbewegung von Aktie oder Index die Chance auf eine Rendite. Die Wachstumskomponente im Portfolio ist ebenfalls nur über Aktien darstellbar. Angesichts der bestehenden Abwärtsrisiken sind wir in der Vermögensverwaltung hier aktuell vorsichtig positioniert.
Wer hat bei Ihnen die Nase vorn? USA oder Europa?
Wir favorisieren europäische Aktien, da wir die fundamentalen Risiken von US-Unternehmen höher einstufen. So sind Bewertung und Verschuldung europäischer Konzerne deutlich niedriger als bei US-amerikanischen Unternehmen. In den zurückliegenden Jahren haben US-Unternehmen in hohem Umfang eigene Aktien zurückgekauft. Teilweise schuldenfinanziert. Diese Rückkaufwelle könnte abebben und auf die Stimmung am Aktienmarkt drücken. Zudem erscheint mir die Bewertung amerikanischer Aktien recht ambitioniert.
Zudem besteht in den USA eine starke Beziehung zwischen dem Aktienmarkt und der Konsumentenstimmung. Kommt der Aktienmarkt ins Stottern, droht die Stimmung merklich zu sinken. Dies wiederum könnte die Konsolidierung beschleunigen. Aktuell liegt das BIP-Wachstum in den USA bei 1,9 Prozent. Eine Analyse der Daten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seit dem zweiten Weltkrieg zeigt, dass bei einem Wachstum von weniger als zwei Prozent eine große Rezessionsgefahr besteht. Allerdings ist 2020 in den USA ein Wahljahr und US-Präsident Donald Trump wird alles unternehmen, um die US-Konjunktur vor einer Rezession zu bewahren.
Europa und die europäischen Unternehmen stehen strukturell sehr gut da. Die Qualität von Unternehmensbilanzen in Europa ist sehr viel besser als die Bilanz von US-Unternehmen. Es gibt keinen großartigen Anstieg der Verschuldung. Der Gewinntrend hat sich in der jüngsten Vergangenheit stabilisiert. Das Verbrauchervertrauen ist trotz der Rezession robust.
Wie sind sie in der Vermögensverwaltung der HypoVereinsbank aktuell positioniert?
Unser Basisszenario für das erste Halbjahr 2020 ist ein Seitwärtstrend der Aktien- und Anleihenmärkte. Wir haben jedoch 1 ½ Augen auf das Abwärtsrisiko und bereiten uns im Prinzip auch darauf vor, eine defensivere Positionierung einzunehmen. Jedem Anleger sollte bewusst sein, dass der Konjunkturzyklus irgendwann an ein Ende kommt und sich gedanklich darauf vorbereiten. Dazu zählt möglicherweise auch, Anleihen mit einer negativen Rendite zu kaufen. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass die Anleihekurse weiterhin steigen und die Renditen damit noch tiefer sinken. Dies ist aktuell jedoch nur ein Teil unseres Risikoszenarios für den Fall, dass sich eine deutlichere Konsolidierung an den US-Aktienmärkten und damit voraussichtlich auch in Europa abzeichnet.
Wie steht es mit Immobilien und Gold? Eignen sie sich als Absicherung in Krisenzeiten?
Die Immobilienpreise sind vor allem in Ballungsgebieten zuletzt kräftig gestiegen. Unter Renditegesichtspunkten lohnt der Einstieg somit nicht zwingend. Andererseits ist der Kauf für gewöhnlich ein langfristiges Investment – oftmals auch mit dem Plan der eigenen Nutzung. Vor diesem Hintergrund kann dies weiterhin ein fixer Bestandteil der Altersvorsorge sein und gehört in ein gut diversifiziertes Depot. Dies gilt auch für Gold. In Zeiten von Negativrenditen und einer expansiven Geldpolitik kann das Edelmetall eine gewisse Absicherung darstellen.
Ein Beitrag aus dem onemarkets-Magazin der HypoVereinsbank
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