So meistert Deutschland die Baukrise
400.000 Wohnungen sollten pro Jahr in Deutschland entstehen, dieses Jahr wird es die Hälfte. Wie sich die Krise lösen lässt, diskutierte Bundesbauministerin Klara Geywitz jetzt mit Branchenexperten auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel.
Von Christoph Sackmann
Vonovia, Deutschlands größter Immobilienkonzern, hat sich vergangenes Jahr bereits entschieden, vorerst keine neuen Wohnungen mehr zu bauen. Auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel der Weimer Media Group am Tegernsee erklärte CEO Rolf Buch jetzt noch einmal die Gründe. „Bei den aktuellen Baukosten und Zinsen müssten wir 18 Euro Miete verlangen. So viel kriegen wir nicht, so viel wollen wir auch gar nicht“, sagt er. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), die mit ihm auf dem Podium sitzt, stimmt mit ihm dabei überein. „Für sieben Euro Miete kann man derzeit ohne staatliche Hilfe nicht bauen. Genau solche Wohnungen brauchen aber der Busfahrer und die Krankenschwester.“
Von der Politik gibt es deswegen mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, doch allein damit, ist Buch überzeugt, lässt sich das Bauproblem in Deutschland nicht lösen. Für 400.000 neue Wohnungen pro Jahr brauche man, so rechnet er vor, 100 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kämen Sanierungskosten von 120 Milliarden Euro pro Jahr für Bestandswohnungen. „Das kann auch der Staat nicht bezahlen“, sagt Buch.
Wie sich Baukosten senken lassen
Andere Lösungen sind gefragt. Die wichtigste, da sind sich alle Panel-Teilnehmer einig, muss darin liegen, die Baukosten wieder zu senken. Auf einen Teil davon, die Finanzierungskosten, haben weder Baubranche noch Ministerin Einfluss. Sie hängen einzig an den Leitzins-Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB). Aber auch die reinen Baukosten sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. „Wir liegen im Mittel derzeit bei rund 4200 Euro pro Quadratmeter“, sagt Nico Nusmeier, Chef der Schörghuber Unternehmensgruppe, die auch Immobilien baut. Dies seien 35 bis 40 Prozent mehr als in den Nachbarländern Frankreich und Österreich. Mit den passenden Maßnahmen seien diese auf 2500 Euro senkbar, sagt er.
An der Stelle hat Ministerin Geywitz viele Pläne. Sie findet etwa, dass es zu viele DIN-Standards für den Bau gibt, die nicht sicherheitsrelevant sind. Bauherren könnten die auch jetzt schon weglassen, fürchteten aber, sich dann wegen Baumängeln später rechtlich angreifbar zu machen, sagte sie. Ein neues Gesetzespaket soll ihnen Rechtssicherheit verschaffen. „Wir bauen bisher immer das perfekte Gebäude“, sagt Geywitz. Bauherren und Architekten müssten sich aber auch auf niedrigere Standards einigen können, wenn das die Sicherheit nicht beeinflusst.
Der Bundesministerin sind dabei allerdings an vielen Stellen die Hände gebunden. Zum einen kommen viele Vorschriften von der EU – wo sie jetzt einen eigenen Ministerrat für Bauminister initiiert hat, der neue Regulierungen beurteilen und notfalls verhindern soll – zum anderen sind viele Bauvorschriften Ländersache. Das führt zu kuriosen Situationen wie unterschiedlich vorgeschriebenen Höhen für Geländer, aber auch simplen Problemen. „Wenn jedes Bundesland die Grunderwerbsteuer auf den ursprünglichen Satz von 3,5 Prozent senken würde, wäre schon viel erreicht“, sagt sie. Zurzeit ist Bayern das einzige Bundesland, wo dieser Steuersatz gilt.
Was Digitalisierung bringt
Viel versprechen sich die Bauprofis auch von der Digitalisierung. Buch sagt, Vonovia habe angefangen, für all seine Gebäude digitale Zwillinge zu erstellen, die etwa die Baupläne und technischen Daten umfassten. Die Plattform dafür steht, jetzt müssen noch alle Daten eingepflegt werden. „Dann kann der Handwerker die Pläne demnächst auf seinem Tablet aufrufen und sieht direkt, wo welche Rohre liegen“, sagt der CEO des Wohnungsbaukonzerns.
Die Digitalisierung muss aber auch die Bauämter erreichen, die von Kommunen betrieben werden. Ministerin Geywitz will hier mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten. Der Zucker sind staatliche Hilfen für den Umbau der Ämter, die Peitsche Vorschriften. „Wenn ich vorschreibe, dass alle Daten digital vorliegen müssen, dann muss sich das Amt halt auch Computer kaufen“, sagt Geywitz.
Co-Working im eigenen Wohnblock
Neben Kostensteigerungen und Zinserhöhungen gibt es aber auch einen gesellschaftlichen Wandel, der die Branche bewegt. Weil durch die Corona-Pandemie Homeoffice beliebt geworden ist, sind große Büroflächen immer weniger gefragt, dafür kleinere Co-Working-Spaces. Projektentwickler wie Florian Freytag-Gross, CEO von Dahler, begegnet dem mit neuen Modellen. In Hamburg baut die Firma derzeit neue Wohngebäude, „bei denen wir auf ein Arbeitszimmer verzichten und dafür Co-Working-Spaces anbieten, in die Sie sich einmieten können.“
Leerstehende Gewerbeimmobilien, etwa die Kaufhäuser der nun insolventen Signa-Gruppe, zu Wohnimmobilien umzunutzen, ist hingegen keine Option. Erstens gelten hier unterschiedliche Vorschriften, die einen großen Umbau nötig machen würden. „Da ist es günstiger, die Kaufhäuser abzureißen und neu zu bauen“, sagt Buch. Zweitens liegen die ehemaligen Filialen in Innenstadt-Bereichen auf sehr teuren Grundstücken – das würde entsprechend die Mieten enorm hoch steigen lassen.
Sie können den Ludwig-Erhard-Gipfel live unter www.leg-live.de verfolgen. Den Ticker zum Gipfel finden Sie hier.