Der Angriff auf den Sparer
Erstmals stand die künftige EZB-Präsidentin Christina Lagarde Rede und Antwort im Wirtschaftsausschuss des Parlaments. Sie will die expansive Geldpolitik ihres Vorgängers Draghi fortsetzen, den geldpolitischen Instrumentenkasten der Notenbank grundlegend überprüfen und neue, unkonventionelle Wege gehen. Doch dabei könnte die Notenbank werden, was sie eigentlich nie sein wollte
Erstmals stand die künftige EZB-Präsidentin Christina Lagarde Rede und Antwort im Wirtschaftsausschuss des Parlaments. Sie will die expansive Geldpolitik ihres Vorgängers Draghi fortsetzen, den geldpolitischen Instrumentenkasten der Notenbank grundlegend überprüfen und neue, unkonventionelle Wege gehen. Doch dabei könnte die Notenbank werden, was sie eigentlich nie sein wollte
Strafsteuern auf Bargeld? Was noch vor wenigen Jahren als Aprilscherz hätte durchgehen können, scheint unter der künftigen Notenbank-Chefin Christine Lagarde nicht völlig abwegig. Auf den Seiten des Internationalen Währungsfonds ließ Lagarde diese Idee, die vom Harvard-Ökonom Ruchir Agarwal und von der Wissenschaftlerin Signe Krogstrup stammt, publizieren. In EZB-Kreisen wird die Idee zurückgewiesen. Doch können sich Sparer darauf verlassen? Auch der Wirtschaftsausschuss des Parlaments hatte einige Fragen an die künftige EZB-Chefin Christine Lagarde, denn die Parlamentarier wollen wissen, welchen Kurs die Grande Dame künftig einschlagen wird. Zweieinhalb Stunden stand sie Rede und Antwort. Setzt sie Draghis Nullzinspolitik fort? Führt sie sogar Strafzinsen für Sparer ein? Druckt sie weiter billiges Geld, um es in die Märkte zu pumpen und damit die Konjunktur zu stabilisieren? Das jedenfalls versucht die EZB seit Jahren. Um die Inflation anzuheizen hat Draghi seit 2015 für rund 2,6 Billionen Euro Staatsanleihen kaufen lassen, 2016 senkte er den Leitzins auf null. Die Konsequenz: Sparer bekommen faktisch keine Zinsen mehr, einige Banken verlangen bereits Strafzinsen. Und trotzdem hält der Italiener auch am Ende seiner Amtszeit an dieser umstrittenen Strategie fest. Kritiker sind der Meinung, dass weitere Käufe bei diesem Zinsniveau wenig bewirken und im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld nicht nötig seien. Befürworter bewerten den Schritt dagegen als sinnvoll, da so die aktuell günstigen Finanzierungsbedingungen gesichert werden können. Kurzum: Die Ratsmitglieder der EZB sind nicht auf einer Linie. „Die Hauptbotschaft der Protokolle ist: Wir sind uns einig, uneinig zu sein“, kommentiert der ING-Volkswirt Carsten Brzeski das Erbe, das Draghi seiner Nachfolgerin hinterlässt. Spielraum bei den Zinsen hat sie kaum, also sucht die 63-Jährige nach unkonventionellen Wegen im Kampf gegen eine – aus Sicht der EZB – zu niedrige Inflation und den Konjunkturabschwung in Europa.
Die Summen, die im Raum stehen sind gigantisch. Monatlich sollen 20 Milliarden Euro zusätzlich in Anleihen investiert werden. Damit würde die Notenbank ihre ohnehin schon ausufernde Bilanz um jährlich 240 Milliarden Euro ausweiten. Doch Christoph Rieger, Chefanalyst für Rentenmärkte bei der Commerzbank, glaubt nicht, dass es bei dieser Summe bleiben wird. Er geht davon aus, dass die EZB unter der Führung von Lagarde bereits im Frühjahr 2020 ihr Ankaufprogramm auf 30 Milliarden Euro aufstockt. Damit würde die Bilanz 2020 um 330 Milliarden Euro anschwellen. Zusätzlich legt die EZB Gelder aus fällig gewordenen Anleihen des ersten Kaufprogramms neu an. Insgesamt dürfte das Gesamtvolumen im kommenden Jahr damit auf 600 Milliarden Euro wachsen. Die Konsequenzen sind spürbar: Seit März 2019 handelt die wichtigste Anleihe im Euroraum – die Bundesanleihe – mit Minusrenditen. Aktuell notiert sie bei rund minus 0,5 Prozent. Die Rechnung ist einfach: Sparer, die dem deutschen Staat Geld leihen, gehen in zehn Jahren mit Miese aus dem Geschäft, Inflation noch nicht inbegriffen – eine irrsinnige Entwicklung, die durch die neuen Anleihekäufe der EZB noch verstärkt werden dürften. „Ein anhaltendes Negativzinsumfeld könnte den Spruch von der sicheren Rente auf eine harte Probe stellen“, mahnt Markus Peters, Anleihestratege beim Vermögensverwalter Alliance Bernstein in London und ergänzt: „Der Anleger wird auf diese Weise immer mehr ins Risiko getrieben.“ Aktuelle Berechnungen der DekaBank belegen das Ausmaß der Nullzinspolitik für deutsche Sparer: Jeder Bundesbürger verliert im Schnitt 404 Euro im Jahr. Grundlage für die Berechnung ist eine jährliche Inflationsrate von 1,5 Prozent und null Prozent Zinsen für Spar-, Sicht- und Bauspareinlagen sowie Sparbriefe. Laut Comdirect haben Sparer allein 2018 insgesamt 40 Milliarden Euro verloren, seit Beginn der Finanzkrise seien es nach Angaben der DZ-Bank bereits 648 Milliarden Euro. Was nach abstrakten Zahlen klingt, könne schon bald Einfluss auf die private Altersvorsorge vieler Menschen haben, warnt die Lebensversicherungsbranche. „Letztlich topediert die EZB die private Altersvorsorge der Versicherten“, empört sich der Vorstand der Nürnberger Versicherung Armin Zitzmann.
Absurde Folgen der ultralockeren Geldpolitik
Bereits ein Viertel der weltweiten Anleihenschulden, nämlich satte 11,7 Billionen Euro, rentieren negativ. Bei deutschen Staatsanleihen sind es bereits 97 Prozent der Papiere, die eine negative Rendite abwerfen. Experten gehen davon aus, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. „Ich bin jetzt 54 Jahre alt und glaube nicht, dass ich noch einmal wesentlich höhere Zinsen erlebe“, sagt der DWS-Chef Asoka Wöhrmann gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Mit anderen Worten: Die Ausnahme, dass der Kreditnehmer vom Kreditgeber für die Geldüberlassung entlohnt wird, könnte zum Normalfall werden. Ein Blick auf italienische Staatsanleihen offenbart das Dilemma: Wegen der großen Schere zwischen den Zinsen in Europa und in den USA rentieren US-Bonds höher als italienische Staatsanleihen – obwohl das Land, wo die Zitronen blühen mit einer schwachen Wirtschaft und einer hohen Verschuldung kämpft. Umlaufrenditen der 10-jährigen Anleihen Italiens, die nur ein paar Stufen über Ramschniveau eingestuft werden, notieren bei 1,54 Prozent, US-Titel gleicher Laufzeit bringen dagegen 1,85 Prozent. Auch Griechenland muss in vielen Laufzeiten weniger für neue Schulden zahlen als die USA, vor wenigen Jahren standen die Südländer noch kurz vor der Staatspleite.
Gegenwind aus den eigenen Reihen
Innerhalb der EZB ist eine Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik umstritten. So wurde kürzlich bekannt, dass die Mehrheit im geldpolitischen Komitee gegen ein neues Anleihekaufprogramm ist. Draghi setzte sich jedoch über die Empfehlung des Gremiums hinweg – kein Novum, ungewöhnlich ist aber, dass der Dissens öffentlich wurde. Und so kann diese öffentlichkeitswirksame Kritik als Fingerzeig an die neue Chefin Lagarde verstanden werden. Auch Jens Weidmann, Bundesbank-Präsident, kritisiert den aktuellen Kurs der EZB. Er fürchtet, dass die Europäische Zentralbank an die selbst gesteckten Grenzen für Anleihekäufe stößt. Die Notenbank darf bislang nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Landes kaufen, hält aber schon jetzt 27 Prozent aller Bundesanleihen. Experten gehen davon aus, dass die EZB bereits innerhalb der kommenden neun Monate an die 33-Prozent-Grenze stoßen wird. Deshalb wird Lagarde auf andere, innovative Mittel zurückgreifen müssen, wenn sie am Kurs der ultralockeren Geldpolitik festhalten will. Eine Überlegung, die aus dem Umfeld der EZB zu vernehmen ist: Die Notenbank könnte neben Anleihen künftig auch Aktien kaufen. So könnte die Französin zusätzliche Milliarden in die Finanzmärkte pumpen – in der Hoffnung, dass Anleger und Firmen das frische Geld investieren und so die Konjunktur ankurbeln. Nicht bei jedem kommt diese Idee, die „weit weg, aber nicht ausgeschlossen“ sei, gut an. Gunter Schnabl, Ökonom und Finanzexperte, gibt zu bedenken, dass diese Maßnahme eine klassische Umverteilung von unten nach oben bedeuten würde, da meist eher gut situierte Personen Aktien halten oder in Aktienfonds investiert haben. Außerdem seien die Renditeerwartungen geringer, wenn der Beteiligungsanteil der EZB steige, weil die Bestrebungen der Unternehmen, effizienter zu werden, sinken. Die Folge: weniger Wachstum und deshalb minimale Lohnerhöhungen. Damit würde Lagarde das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich bezweckt.
Was wie die Erfüllung eines Wunschtraumes klingt, gilt als eine weitere unkonventionelle Maßnahme im Kampf gegen eine schwächelnde Konjunktur: Helikoptergeld. Jüngst empfahl der einflussreiche Brüssler Think Tank Bruegel der künftigen Notenbank-Chefin dieses ungewöhnliche Vorgehen. Draghi selbst bezeichnete 2016 diese Idee als „sehr interessant“.
Lagarde gilt als trittsicher auf dem internationalen Parkett. Mit ihr wird zukünftig eine erfahrene, taktisch kluge Verhandlerin auf dem Chef-Sessel der EZB sitzen, die ihre Feuerprobe als Krisenmanagerin bereits während der Finanzkrise als französische Finanzministerin abgelegt hat. Jetzt aber steht die Grande Dame vor einer neuen, großen Herausforderung – immerhin muss sie mit einem quasi leeren Magazin arbeiten. Und so warnt der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing: „Die Zentralbanken haben kaum noch Mittel, um eine echte Wirtschaftskrise wirkungsvoll einzudämpfen.“ Die EZB könnte nun werden, was sie eigentlich nie sein wollte: eine Notenbank, die Staaten finanziert und Sparern das Geld aus der Tasche zieht. FS
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