Wie die Energiewende gelingen kann
In den Ausbau erneuerbarer Energien ist zuletzt wieder Tempo gekommen. Damit Deutschland 2045 klimaneutral ist, muss aber noch viel getan werden. Auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel diskutieren vier Fachleute, woran es hakt.
Von Christoph Sackmann
Die Energiewende, das wird schnell klar, hat viele Facetten. „Es ist schön, wie weit wir schon gekommen sind“, sagt Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie auf dem Podium des Ludwig-Erhard-Gipfels der Weimer Media Group am Tegernsee. „Aber daraus müsste jetzt folgen, dass wir Kassensturz machen und schauen, welche Projekte wir für die Zukunft priorisieren.“
Genau an dieser Priorisierung hakt es derzeit, das wird in der Diskussion der anderen Panel-Teilnehmer schnell deutlich. Achim Schröder, Vorstandsmitglied des Netzbetreibers Westenergie, drängt etwa darauf, bis 2030 mindestens 30 neue Gaskraftwerke zu bauen, die notwendig sind, um die Grundlast nach dem Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom zu tragen. „Davon ist bis heute noch kein einziges im Bau“, bemängelt er. Weil es sich für Energiekonzerne nicht lohnt, sagt Vassiliadis und meint, der Staat müsse dafür erst einen passenden Business Case bauen.
Als Vertreter der Regierungspartei Grüne sitzt Anton Hofreiter in der Runde, der erklären kann, warum das mit diesem Geschäftsmodell schwer ist. „Solche Reserve-Kraftwerke, die mit Gas betrieben werden, laufen vielleicht nur wenige Tage im Jahr – aber in dieser kurzen Zeit muss sich das für den Betreiber rechnen.“ Das ginge nur über enorm hohe Kosten für den kurzzeitig erzeugten Strom, die dann auf alle Stromkunden umgelegt werden, sagte Hofreiter. „Vielleicht müssten wir deswegen den Gasstrompreis aus der Merit-Order herausrechnen“, schlägt der österreichische Ökonom Gabriel Felbermayr vor. Bisher richtet sich der Strompreis nach dem teuersten Kraftwerk, das ins Netz einspeist – und Gaskraftwerke liegen da deutlich über erneuerbaren Energien.
„Mir machen andere Dinge größere Sorgen als Gaskraftwerke“, sagt Hofreiter. Die seien schnell und nicht sehr komplex zu bauen, zudem wüsste man bereits, wo sie entstehen müssen – auf den Flächen, die vorher Atom- und Kohlekraftwerke belegten, weil hier Netzknoten lägen, wo sich der Strom gut einspeisen lasse. So kann er dann schnell im Land verteilt werden. Genau bei dieser Verteilung hakt es noch. Es fehlt an Stromautobahnen, so genannten HGÜ-Leitungen, die den im Norden in großen Mengen produzierten Windstrom in den Süden leiten. Aber auch Pipelines, die Wasserstoff aus dem Westen im Land verteilen, fehlen.
Deutschlands Anpassungstempo
Fehlende Stromautobahnen – „Das ist für Süddeutschland mittlerweile ein großes Problem“, sagt Vassiliadis. Er macht sich Sorgen um die energie-intensive Industrie im Land, die abwandern könnte. „Solche Unternehmen fragen sich nicht, wie teuer der Strom heute im Vergleich zu vor dem Ukraine-Krieg ist, sondern wie teuer er im Vergleich zu Houston ist.“ Weil die USA dank eigener Gasvorkommen viel günstiger an den Rohstoff kommen, ist hier auch der Strom günstiger.
Die Herkunft der Rohstoffe für die Energiewende ist wiederum ein Thema, was Hofreiter umtreibt. Als Positivbeispiel nennt er, wie schnell Deutschland nach Ausbruch des Ukraine-Krieges binnen sechs Monaten seine Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und Steinkohle beendete. Negativ merkt er an, dass sich das Land jetzt in eine neue Abhängigkeit zu China begeben hat, was für die Energiewende benötigte Seltene Erde, aber auch Halbleiter angeht. „Wenn um Taiwan ein militärischer Konflikt entbrennen sollte, wird es eng damit.“ Deswegen freut er sich über den Critical-Raw-Materials-Act der EU, der Förderung und Herstellung kritischer Materialien wieder stärker in der Union bündeln will.
Die EU als Lösung
In der EU sehen sowieso viele der Diskussionsteilnehmer eine Lösung. Wenn es gelänge, einen europäischen Energiemarkt zu schaffen, bei dem sich alle 27 Mitgliedsländer koordinierten, ginge die Energiewende viel einfacher. „Die Wahrscheinlichkeit, dass überall in der EU gleichzeitig eine Dunkelflaute herrscht, ist unwahrscheinlich“, sagt Hofreiter. Größer betrachtet ließen sich auch notwendige Gaskraftwerke als Reserve leichter bauen. Denn: „In Deutschland herrscht fast Vollbeschäftigung, da finden Sie derzeit gar nicht genügend Arbeiter“, sagt Felbermayr.
Sie können den Ludwig-Erhard-Gipfel live unter www.leg-live.de verfolgen. Den Ticker zum Gipfel finden Sie hier.