„Wir sind überreguliert“
Der Umbau der Wirtschaft zu mehr Klimaschutz erfordert riesige Investitionen. Doch Banken fühlen sich überfordert, ihre Rolle dabei zu übernehmen. Auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel erklärten einige Vertreter, warum.
Von Christoph Sackmann
2045 muss Deutschland klimaneutral sein, „ein Strukturwandel mit Termin“, wie es Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel der Weimer Media Group am Tegernsee formuliert. Bis dahin müssen Wirtschaft und Gesellschaft mit Milliarden-Investitionen grün umgebaut werden. Das Geld dafür wiederum muss von Banken kommen. Wie sich die Finanzinstitute bei der grünen Transformation beteiligen können, diskutieren fünf Experten der Branche.
„Wir bräuchten viel mehr Investitionen“, sagt Hüther. Dass diese bisher in Deutschland ausbleiben, hat auch konjunkturelle Gründe, weil die Wirtschaft derzeit stagniert. Es fehlt aber auch an politischen Vorgaben und Impulsen aus der Finanzwirtschaft selbst. „Unser deutscher Kapitalmarkt stößt an Grenzen“, sagt der Ökonom. Eigentlich müsste die EU einen gemeinsamen Rahmen, eine Kapitalmarktunion, schaffen. Doch das ist ein Mammutprojekt.
„In Frankreich gilt Atomstrom als nachhaltig, in Deutschland nicht“
„Wir müssen deregulieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Österreichs Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), um gleich zu erklären, warum das innerhalb der EU so schwierig ist. „27 Mitgliedsstaaten haben auch 27 Zugänge zu dem Thema. Ich höre immer schon amüsiert zu, wenn Christian Lindner mit Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire darüber diskutiert.“ Schon die beiden großen Nachbarländer sind sich uneinig.
Diese Uneinigkeit spiegelt sich dann auch in den Regeln wider, denen Banken folgen müssen. Von denen gibt es nicht nur zu viele, da sind sich anwesenden Banker einig, sondern auch widersprüchliche. „In Frankreich gilt Atomstrom als nachhaltig, in Deutschland nicht“, sagt etwa Frank Niehage, CEO des Finanzdienstleisters FlatexDegiro, kopfschüttelnd. Den Mangel an verlässlichen Vorgaben bemängelt auch Hüther. Er sieht es ohnehin kritisch, dass Banken auferlegt wird, Investitionen inhaltlich zu beurteilen. „Auf dem Weg in eine grüne Zukunft gibt es viele Zwischenschritte, die Banken kaum beurteilen können.“ Hier sollte eher die Politik entscheiden, welche Investition „grün“ sei und welche nicht.
„Wir übertreiben es manchmal“
Dabei fühlen sich die meisten von der Politik sowieso schon zu sehr gegängelt. „Ein Mindestmaß an Regeln ist gut“, sagt Niehage, „aber wir übertreiben es manchmal. Wir sind überreguliert.“ Was für das Privatkundengeschäft von FlatexDegiro gilt, bestätigt Martin Borghetto, Chef der Institutional Equity Division bei Morgan Stanley Europe, für den institutionellen Bereich. „Regulierung kann ein Asset sein, aber wir müssen eine bessere Balance finden zwischen Regulierung als Asset und als Verhinderer.“ Seine Bank würde derzeit personaltechnisch etwa am stärksten in den Abteilungen wachsen, die damit beschäftigt seien, Regeln umzusetzen und weniger in den Bereichen, in denen sie Umsatz mache.
Aufwendige Regelwerke seien auch im internationalen Vergleich ein Problem, sagt Niehage. „Wir entwickeln Regeln immer langwierig, und dann kommen andere und kopieren die einfach“, sagt Niehage. Als historisches Beispiel nennt er, wie Japan schon vor mehr als 100 Jahren das in jahrzehntelanger Kleinarbeit entwickelte Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) übernahm. In jüngerer Vergangenheit war es China, das mit deutschen DIN-Normen arbeitet. Christoph Winterthaler, der am Deutschen Institut für Normierung (DIN) für diese Normen zuständig ist, ist darauf durchaus stolz.
Er würde sich aber auch mehr allgemeingültige Normen wünschen, die die Wirtschaft dann selbst in konkrete Regeln überführen sollte. Das habe im Falle von DIN oder auch dem TÜV bereits wunderbar funktioniert. „Die Privatwirtschaft könnte Normen viel besser umsetzen als die Politik“, sagt Winterthaler. Wichtig sei das gerade bei der grünen Transformation, sagt Hüther, denn: „Hier müssen Banken nicht-standardisierte Risiken bewerten.“ Schließlich weiß heute noch keiner, ob sich eine Investition in grünen Stahl langfristig wirklich lohne, ob ein neues Werk für Elektrolyseure mittelfristig rentabel arbeiten könne – eben, weil solche Investitionen für alle Neuland seien.
Mehr Engagement der Banken gefordert
Der Ökonom würde sich trotz aller Kritik an der Politik aber auch mehr Engagement aus der Bankenwirtschaft wünschen. „Die Banken könnten mehr machen, wenn sie nicht immer darauf warten, dass andere das für sie tun.“ Als Beispiel nennt er etwa einheitliche Standards für die Datenübertragung zwischen Instituten, die seit Jahren verschleppt werden. Niehage kontert mit einem Beispiel aus der Cyber-Security, wo er mit anderen Instituten eine Plattform aufgesetzt hat, auf der Banken Cyber-Angriffe melden, damit sich andere besser dagegen verteidigen können.
Einig sind sich alle Panel-Teilnehmer aber, dass das Regulierungs- und Deregulierungstempo gesteigert werden muss. „Wir sind in Europa zu langsam“, fasst es Brunner zusammen. Auch hierfür kann Niehage ein konkretes Beispiel nennen. In Südkorea, sagt er, sei es heute schon möglich, eine Immobilie an einem Tag zu kaufen, inklusive Kredit und Notar, weil alles digital geschehen kann. „Hier geht das nicht, weil die Verwaltung nicht digitalisiert ist und zum Beispiel digitale Unterschriften nicht anerkannt werden.“
Sie können den Ludwig-Erhard-Gipfel live unter www.leg-live.de verfolgen. Den Ticker zum Gipfel finden Sie hier.