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Coronavirus kontrolliert die Rohstoffmärkte

Immer mehr Experten sehen in der Coronavirus-Epidemie in China eine Gefahr für die Rohstoffmärkte. Welche Sektoren besonders stark betroffen sind und was Anleger sonst noch wissen sollten

Immer mehr Experten sehen in der Coronavirus-Epidemie in China eine Gefahr für die Rohstoffmärkte. Welche Sektoren besonders stark betroffen sind und was Anleger sonst noch wissen sollten

Von Markus Grüne

Für eben diese ist „Covid-19“, so die offizielle Bezeichnung des Virus, nun seit gut vier Wochen das preisbestimmende Thema. Dies ist mehr als verständlich, bedeutet die „Corona-Situation“ angesichts der enormen wirtschaftlichen Macht Chinas für einige Märkte doch den größten Nachfrageschock seit der letzten globalen Finanzkrise, allen voran für Erdöl und Basismetalle wie Kupfer. Während es für Produzenten leicht möglich ist, die Angebotsseite zu steuern (siehe OPEC), wird es sehr viel schwieriger, auf einen Nachfrageeinbruch zu reagieren. Die Kombination aus gedrosselter Produktion und gleichzeitig fallender Preise kann ganze Industrien in Bedrängnis bringen. Über das Ausmaß der tatsächlichen Folgen dieser Situation kann nur spekuliert werden, denn wirklich seriöse Aussagen über den weiteren Verlauf sind kaum möglich. Es hängt eben davon ab, wie schnell sich der „Normalbetrieb“, insbesondere des produzierenden Gewerbes in China, wieder einstellt. Transport- und Reisebeschränkungen sowie die Isolierung von momentan rund 760 Millionen Menschen (was in etwa der doppelten Einwohnerzahl der USA entspricht) fordern ihren Tribut.

Insbesondere Rohstoffe reagieren auf Grund ihres unmittelbaren Bezugs zur physischen Welt, sprich den direkten Wechselwirkungen zwischen Produzenten, Verarbeitern und Verbrauchern, auf solch drastische Verschiebungen äußerst sensibel und erlauben damit einen realistischeren Blick auf den angenommenen Gesundheitszustand der Weltwirtschaft als beispielsweise die Aktienmärkte:

Energie

Die in China durchgesetzten Quarantänemaßnahmen treffen zu einem ganz wesentlichen Teil den dortigen Transportsektor. Schon während des mehrtägigen chinesischen Neujahrsfestes wirkte sich dies bereits maßgeblich auf die Erdölnachfrage des Landes aus, ein Ende aller Reisebeschränkungen, auch auf internationaler Ebene, ist auch jetzt, knapp drei Wochen später, nicht in Sicht. Diese Maßnahmen stellen eine erhebliche Bedrohung für die Energienachfrage dar, insbesondere die chinesische. Nach jetzigem Wissensstand dürfte sich der Rohölnachfragerückgang allein für Februar auf über drei Millionen Barrels pro Tag belaufen, was etwa drei Prozent des weltweiten Verbrauchs entspricht. Fakt ist, dass sich China nicht nur auf der Einkaufsseite zurückzieht (Unipec, der Trading-Arm Sinopecs, Chinas bedeutendstem Raffineriebetreiber, kauft schon kein Öl mehr aus Westafrika ein) sondern darüber hinaus bereits auf See befindliche Ladung gar nicht mehr ins Land bringt, diese stattdessen umleitet, anderweitig verkauft und damit aktiv auf die Preise drückt. Chinesische Erdölraffinerien fahren ihren Betrieb auf einen Bruchteil ihrer Kapazitäten zurück, einige haben ihn komplett eingestellt. Und vor der Küste Hongkongs und Shanghais nimmt die Anzahl der auf Reede liegenden gefüllten Tankschiffe dramatisch zu („Floating Storage“). WTI, als wichtiger Benchmark im internationalen Ölgeschäft, trug der sich manifestierenden Nachfragezerstörung mit einem gut 25-prozentigen Preisverfall seit dem Hoch vom 08. Januar bis zum vier Wochen später folgenden Tief Rechnung. Sowohl die OPEC als auch die amerikanische Energiebehörde EIA haben ihre jeweiligen Nachfrageprognosen für 2020 bereits deutlich revidiert. Allein für Februar und März sieht die OPEC einen Rückgang um 12,9, respektive 9,5 Prozent. Die EIA kommt auf höhere Zahlen. Insgesamt stellt das die erste quartalsweise Kontraktion seit der globalen Finanzkrise von 2009 dar. Am bedenklichsten dabei ist aber eigentlich nicht der bloße Nachfragerückgang, sondern die in einem Nebensatz der Analyse getroffene Annahme, nach der sich die ökonomische Aktivität im zweiten Quartal wieder vollkommen normalisieren werde, was leider ungewiss ist.

Auch die Prognosen für das chinesische Erdgasnachfragewachstum für dieses Jahr liegen nun nur noch bei 3,6 Prozent, nach 8,2 Prozent zum Jahresbeginn. Bereits auf dem Weg zu den chinesischen Entladeterminals befindliche LNG-Cargos werden verlangsamt oder gleich ganz gecancelt. Auch dies trifft den ohnehin schon seit geraumer Zeit vollkommen überversorgten und preislich ausverkauften US-Markt hart. Hier wird der Corona-Virus für nicht wenige Förderunternehmen nun buchstäblich lebensbedrohlich.

Metalle

Es wirkt auf den ersten Blick ein wenig paradox, dass Gold auf eine potenziell anstehende wirtschaftliche Schwäche bislang nicht positiver reagiert hat. Auch hier dominiert jedoch das Deflationsargument, die globale Furcht vor einem gesundheitsbezogenen Wirtschaftsdebakel ist bis jetzt noch nicht groß genug, um damit ausgedehnte Save-Haven-Käufe zu initiieren. Es dürfte im Moment mehr als einer deutlichen konjunkturellen Delle bedürfen, um Gold wieder in Richtung seiner jüngsten Hochs zu befördern, ein nur moderater Abschwung würde eher die physische Nachfrage senken. Wenn man bedenkt, dass die chinesische Goldnachfrage während der SARS-Pandemie Anfang 2003 um 32 Prozent sank (im Vergleich zum Vorquartal), kann man durchaus davon ausgehen, dass nun, mit der seitdem erheblich gestiegenen Wirtschaftsleistung des Landes, mit einer eher größeren negativen Nachfrageentwicklung zu rechnen sein wird. Für die vielzitierte „Flucht in Qualität“ wird erheblich mehr Furcht vor einem massiven konjunkturellen Einbruch notwendig sein, die sich dann ebenfalls in entsprechenden Reaktionen der Aktien- und Basismetallmärkte niederschlägt. Tritt eine solche Situation nicht ein, fehlt das Krisenmetallargument, um die angeschlagene Nachfragesituation in China auszugleichen. Und angeschlagen dürfte sie sein, die Menschen dort haben, auch bei sich entspannender Lage, zunächst einmal andere Sorgen, als sich mit Gold einzudecken. Bisweilen kann die Situation hier mit „abwartend“ beschrieben werden, das Sentiment dieses Marktes schwankt zwischen physischen Nachfragesorgen und klassischem Risk-Off-Modus.

Silber befindet sich eher in einer Zwitterstellung zwischen Industrie– und Edelmetall, daher wirken sich die Sentiment-Schwankungen von Save-Haven-Käufen und Verkäufen auf Grund von Industrienachfragesorgen besonders aus. Es wird darauf ankommen, wie groß der Einbruch der chinesischen Wirtschaft tatsächlich sein wird, in wie weit sich dies auf die globalen Lieferketten auswirkt und wie groß der daraus resultierende Nachfragerückgang wirklich ausfällt. Die Preisrichtung wird dann davon abhängen, ob dieser rationale Faktor durch das schwer greifbare Gefühl, ein Save-Haven-Vehikel zu benötigen, aufgewogen oder überboten werden kann. Dabei ist der gleichzeitige Blick auf Gold, als Krisenmetall, und Kupfer hilfreich, denn Kupfer spricht auf veränderte Konjunkturaussichten stets sehr sensibel an.
Als das konjunktursensitivste unter den Metallen litt Kupfer auch am stärksten, gebremst wurde der Ausverkauf erst im Bereich des Tiefs von Ende August 2019. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kupfer bereits eine SARS-ähnliche Reaktion gezeigt und neu aufkommende Risk-On-Stimmung, angezeigt durch erstarkende Aktienmärkte und Abverkäufe anderer Save-Haven-Assets (Gold, Bonds, Yen) sorgten wieder für Erholung. Zudem ergreift die chinesische Regierung vielfältige Maßnahmen, um die Wirtschaft zu stimulieren (Zins– und Zollsenkungen) und nach außen gut aussehen zu lassen (Manipulation der Aktienmärkte durch massive Interventionen). Die größte Gefahr für Kupfer besteht darin, dass China Industriebetriebe außerhalb des Landes nicht mehr vollumfänglich mit Zuliefergütern versorgen kann, jedoch nehmen die Fabriken, wenn auch eingeschränkt und unter der Situation angepassten Maßnahmen, ihren Betrieb bereits wieder auf. Dennoch, die Kupferhütten arbeiten sehr eingeschränkt, teilweise nur mit 30 Prozent ihrer Kapazität und bereits kontrahierte Importe werden in die Zukunft verschoben. Gut sichtbar wird der aktuelle Nachfragschock an den Lagerbeständen in Shanghai. Ein Wochenzuwachs von über 32 Prozent (KW 7, auf den höchsten Stand seit 2017) zeigt den fehlenden Bedarf deutlich. China selbst verringert seine eigenen Kupferimporte also schon jetzt, Liefertermine südamerikanischer Exporteure wurden bereits nach hinten verschoben. Da sich der Kupfermarkt vor Ausbruch der Epidemie für 2020 in einem sich ausweitenden Defizit befand, könnte ein nur kurzzeitiger Nachfrageeinbruch jedoch auch abgefangen werden und nur wenig an der bestehenden Knappheit ändern.

Einzig Palladium (und in Teilen auch Platin) oszilliert weiterhin scheinbar von allen äußeren Einflüssen entkoppelt durch seine ganz eigene Welt und erreicht in schöner Regelmäßigkeit neue Höchststände. Dies ist wohl der Rohstoffmarkt, der zuletzt auf eine potenzielle Eskalation der Gesundheitslage reagieren würde, trotz bereits jetzt schwacher Autoverkaufszahlen im Reich der Mitte und Europa sowie der grundsätzlichen Abkehr von Benzinmotoren, für deren Katalysatoren das Metall primär benötigt wird. Nichts weniger als eine tiefgreifende weltweite Rezession dürfte hier das enorme Angebotsdefizit aufzehren und den derzeitigen russischen Produktionsproblemen entgegenwirken können.

Agrar

Interessante Preisbewegungen bereit der Corona-Virus derzeit auch den Agrarmärkten (inklusive Fleisch), stehen doch die vor kurzem im Rahmen des Phase-1-Deals des Handelsabkommens zwischen den USA und China vereinbarten chinesischen Großeinkäufe im Gegenwert von 40 Milliarden US-Dollar mehr und mehr in Frage. Schon ohne die derzeitige Entwicklung konnten die vorgesehenen Importmengen durchaus als ambitioniert bezeichnet werden, jetzt scheinen sie jedoch in den Bereich des Unrealistischen zu rücken. Die im Vertrag festgeschriebene Rückzugsklausel „in the event of a natural deasaster or unforseable event“ könnte nun zum Tragen kommen. Derzeit handeln diese Märkte zwar unruhig, aber nicht mehr im Panik-Modus. Nach den heftigen Abverkäufen insbesondere bei Soyabohnen, Weizen, Rindern und Magerschweinen schöpft der Markt nun Hoffnung aus den Bemühungen der chinesischen Regierung, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Auch die Halbierung der eigenen Importzölle trägt dazu bei. Dies bedeutet zwar ein großes Entgegenkommen, ist allerdings selbstverständlich kein uneigennütziger Schritt, verbirgt sich dahinter doch auch die Erwartung durchaus weitreichender Kompromisse der US-amerikanischen Gegenseite.

Fazit

Insbesondere die Entwicklung des Baltic Dry Index, als wichtiger Preisindex für den Transport von Schüttgut wie Kohle, Eisenerz und Getreide, stimmt nachdenklich. Dieser zeigt momentan die niedrigsten Frachtraten seit Anfang 2016 und liefert damit eine sehr negative Frühindikation für den Umfang des Welthandels. Je niedriger dessen Wert, desto geringer ist die Menge der zu verschiffenden Güter, sprich, desto geringer die Nachfrage nach Vorprodukten. Da etwa 90 Prozent des Welthandels über den Seeweg abgewickelt werden, kommt der Entwicklung des BDI eine große Bedeutung bei der Beurteilung der zukünftigen Aussichten zu. Das China die Wachstumsprognose seines diesjährigen Bruttoinlandsprodukts immer noch unverändert bei sechs Prozent belässt, dürfte auch vor diesem Hintergrund eher als Beruhigungsversuch interpretiert werden.

Schaut man abschließend einmal mit flüchtigem Blick auf die internationalen Finanz– und Rohstoffmärkte, so scheint der Sturm, den Covid-19 in der jüngsten Zeit verursacht hat, bereits weitgehend vorübergezogen zu sein. Aktienmärkte auf Allzeithochs, Basismetalle und Energiesektor strecken schon wieder mutiger die Köpfe aus der Deckung. Ob diese Marktentwicklungen nicht doch über den tatsächlichen Ernst der Lage hinwegtäuschen, wird die Zukunft zeigen. Jedoch fällt auf, dass derzeit zumindest (oder „nun auch“) die chinesischen Aktienmärkte durch verschiedene staatliche Einflussnahmen am Fallen gehindert werden. Als der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung vorauslaufende Indikatoren nützen sie so jedenfalls nicht mehr viel. Die Rohstoffmärkte zeigen insgesamt deutlich weniger Euphorie, hier bleibt das Bild uneinheitlich. Zu groß sind noch die Unsicherheiten, um wirklich nachhaltige neue Trends auszubilden. Dies braucht noch Zeit, die Schätzungen der voraussichtlichen konjunkturellen Schäden weisen weiterhin eine beachtliche Bandbreite auf. Weitere Informationen unter: pipelinejournal

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