Analystenstimmen zur US-Wahl
Die Überraschung ist perfekt. Donald Trump wird neuer US-Präsident. Die Märkte reagieren deutlich, doch nicht alle Analysten sind auf dem linken Fuß überrascht worden. Ein Überblick.
Die Überraschung ist perfekt. Donald Trump wird neuer US-Präsident. Die Märkte reagieren deutlich, doch nicht alle Analysten sind auf dem linken Fuß überrascht worden. Ein Überblick.
Dierk Brandenburg, Staatsanleihen-Analyst, Fidelity: „Wahlversprechen werde nicht halten“
„Viele Amerikaner wollen Veränderungen und sind bereit, dafür das Risiko Trump einzugehen. Das unberechenbare Verhalten, das Trump im Wahlkampf gezeigt hat, und seine unorthodoxen Vorstellungen werden an den Börsen – jedenfalls kurzfristig – nicht sehr gut ankommen. Der Wahlsieg des republikanischen Kandidaten wird populistischen Bewegungen überall auf der Welt Auftrieb geben. Mit Sicherheit wird er auch den Brexit-Befürwortern in Großbritannien Mut machen, die in Trump einen wohlwollenderen Partner bei der Aushandlung von Handelsabkommen sehen werden. In Europa finden in den nächsten zwölf Monaten in mehreren wichtigen Ländern Wahlen statt, die für weitere Überraschungen sorgen könnten. Das protektionistische Mantra der neuen US-Regierung wird wichtige Handelsabkommen torpedieren, denen die USA bereits beigetreten sind. Die Aussicht auf höhere Zölle werden einige Staaten nicht gerade begrüßen. Das gilt vor allem für Schwellenländer, die im Export die Hauptquelle ihres wirtschaftlichen Wachstums sehen. Davon abgesehen wird es Trump jedoch schwer haben, alle Wahlversprechen zu erfüllen, besonders in Bereichen, in denen er auf die Unterstützung von Republikanischer Partei und Kongress angewiesen ist.“
Larry Hatheway, Chefökonom bei GAM: „Deutlich expansivere Fiskalpolitik“
Die Auswirkungen des Wahlergebnisses in den USA werden wohl in gewisser Weise ein Spiegelbild des Brexit-Votums sein – auf eine anfängliche Phase der Unsicherheit folgt eine Neubewertung, in diesem Fall die Erkenntnis, dass ein Trump-Sieg dank expansiver Fiskalpolitik ein schnelleres Wachstum der US-Wirtschaft erwarten lässt, aber zudem auch steigende US-Zinsen infolge einer schnelleren Straffung der Geldpolitik durch die Fed. Politisch gesehen dürfte eine Präsidentschaft Trumps bei einer gleichzeitigen Republikanischen Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus die Aufhebung des Affordable Care Acts (‘Obama Care’) wahrscheinlicher machen, während eine Regulierung von Medikamentenpreisen und Versicherungsprämien unwahrscheinlicher wird. Trumps Wahlkampfversprechen zu deutlichen Steuersenkungen und höheren Militärausgaben deuten darauf hin, dass die USA in den kommenden Jahren eine deutlich expansivere Fiskalpolitik verfolgen werden. Es sind hier Werte von bis zu zwei Prozent des Bruttosozialproduktes vorstellbar für die nächsten Jahre, was dem US-Wachstum einen deutlichen Schub verleihen könnte. Auch wenn die Bondmärkte in den ersten Wirren nach der Wahl eine Rallye hinlegten, wäre eine Lockerung der Fiskalpolitik auf mittlere Sicht klar nachteilig für den Bond-Sektor. Der US-Arbeitsmarkt ist derzeit knapp an der Vollbeschäftigung, und aktuellste Zahlen zeigen, dass die Lohninflation in Schwung kommt. Eine expansivere Fiskalpolitik wird daher wohl zu einer schnelleren Serie von Fed-Zinsanhebungen führen als bisher erwartet. Im übrigen: Selbst wenn Trump als Präsident in den Bereichen Einwanderung, Handel und US-Außenpolitik etwas moderater agiert als zu Wahlkampfzeiten angekündigt, dürften seine unorthodoxen Ansichten für länger anhaltende Verunsicherung sorgen.“
Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe: „Das scheinbar Unmögliche wird wahr“
„Es erinnert vieles an den Brexit. Ein als unwahrscheinlich geltendes Ereignis wurde Wahrheit. Donald Trump gewinnt die US-Präsidentschaftswahl und stösst damit die Welt vor den Kopf. Nun kommt es darauf an, wie sich Trump außenpolitisch und außenwirtschaftlich positioniert. Bleibt er bei seiner harten außenwirtschftlichen Linie verspricht dies nichts Gutes. Wahrscheinlich muss sich Donald Trump aber den Fakten stellen und zurückrudern. Der Freihandel kann so einfach nicht auf den Kopf gestellt werden, ansonsten wäre die US-Wirtschaft selbst stark gefährdet. Rückt Trump von seiner extremen außenwirtschaftlichen Positionierung ab, blieben Steuersenkungen und eine deutliche Erhöhung der Staatsausgaben als Kernelemente seiner Wirtschaftspolitik. Dies wäre dann positiv für die US-Wirtschaft und somit auch für die Weltökonomie als ganzes. Die US-Notenbank wird in den kommenden Wochen die Reaktion an den Finanzmärkten abwarten, auch das Verhalten wichtiger konjunktureller Frühindikatoren wird für US-Notenbankchefin Yellen entscheident sein. Bleiben die Aktienmärkte unter Druck und leidet darunter die Unternehmens- und Verbraucherstimmung, dürfte die US-Notenbank von einer weiteren Zinserhöhung im Dezember absehen.“
Michael Levy, Investment-Direktor bei Barings: „Not what most investors would have wished for”
„Uncertainty is the big takeaway from Donald Trump’s shock U.S. election win. That being said, the Republican president-elect’s victory is very much in keeping with the growth in populist politics and protectionist rhetoric across the western world. Investors will right now be in the process of attempting to differentiate between Trump’s actual policy positions and some of the more outlandish statements made on the campaign trail. We see a number of possible issues and opportunities for emerging and frontier markets. Mexico, China and Russia are all significant areas of investment across our portfolios – three markets where we see a Trump presidency potentially having a major impact. Across the Mexican border, there is likely to be a great deal of apprehension as to what the coming months may bring. Mexico’s reliance on the U.S. could see it disproportionally affected. Almost a third of Mexico’s GDP relies on its northern neighbor. Trump has mentioned plans to renegotiate the North American Free Trade Agreement (NAFTA), another potentially worrying development. The loss of remittances is another possible outcome if Trump clamps down on immigration as he has promised. Due to the likely weakness in the currency’s value, this decrease may be mitigated in Pesos. A weak Peso could also provide something of a boost to domestically-focused companies. Much of Trump’s ire has also been directed at China and its economy’s undercutting of the American worker. The global supply chain, which is highly interconnected in the IT and automotive industries, would also suffer greatly and is already facing disruption after the Brexit vote in the U.K. If we do find ourselves in a trade war, Chinese authorities would likely act to stimulate demand, but the Chinese equity market, which has performed well in recent months, could become increasingly volatile. Perhaps the greatest beneficiary of a Trump presidency, Russian relations with the U.S. will now undoubtedly improve. We will possibly see a reduction in sanctions in the coming months, allowing Russian businesses to more easily finance themselves. This should provide a boost to Russian companies’ prospects and may present new opportunities among Russian equities. Markets like certainty and after the shock of the Brexit vote in the U.K., a Trump presidency is not what most investors would have wished for. Regardless, our bottom-up investment approach focusing on fundamentals is unchanged. Our aim remains to find attractively priced companies with the potential for strong long-term earnings growth, well-defined business franchises, robust balance sheets and proven management.”
T. Rowe Price: „Die Märkte könnten deutlich nachgeben“
„Kurzfristig, so Andrew McCormick, Leiter des U.S. Taxable Bond Teams, sei das Wahlergebnis ein bedeutendes, überraschendes Ereignis, das der Anleihenmarkt nicht vollständig eingepreist habe. „Zunächst“, sagt er, „können die US-Zinsen sinken, da die Anleger risikoreichere Anlagen meiden, und die Kreditspreads (der Renditeaufschlag von niedriger eingestuften Anleihen gegenüber Staatsanleihen) könnten sich ausweiten.“ Trumps Wahlsieg komme zu einem kritischen Zeitpunkt, an dem die US-Haushaltspolitik an Bedeutung gewonnen habe, da die Fed von ihrer lockeren Geldpolitik abrücke, die europäischen Banken immer noch auf sehr unsicheren Beinen stünden und einige Länder mit den USA um ihre geopolitische Position rangelten, meint Quentin Fitzsimmons, globaler Anleihenmanager bei T. Rowe Price. „Nun befindet sich die einzige Supermacht der Welt in einem tiefgreifenden Wandel“, sagt er. „Das ist sehr bedenklich und könnte zu höherer Volatilität führen.“ Fitzsimmons rät zwar zur Vorsicht bei Vergleichen mit dem britischen Votum gegen die Globalisierung und für den Austritt aus der Europäischen Union, merkt aber dennoch an, dass die erste Reaktion auf den Brexit extrem unruhig gewesen sei, sich die Lage aber dann wenigstens eine Zeit lang beruhigt habe. Ebenso könne den Anlegern mit Präsident Trump eine längere Phase des Krisenmanagements bevorstehen.“
Angel Agudo, Fidelity America Fund: „Chancen im Gesundheits- und Finanzsektor“
„Ungeachtet der anfänglichen Reaktion der Börsen glaube ich nicht, dass der Wahlausgang in den USA darüber entscheidet, wie sich die Märkte langfristig verhalten werden. Zahlreiche Studien belegen, dass die Performance der US-Börse nur in begrenztem Maße davon beeinflusst wird, wer eine Präsidentschaftswahl gewinnt – das dürfte diesmal nicht anders sein. Für Anleger ist es wichtig, den Blick weiter auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zu richten und sich von dem Getöse und der Volatilität in Wahlkampfzeiten nicht beirren zu lassen.“ Sicher wird Trumps Wahlsieg zunächst einmal größere Schwankungen an den Börsen auslösen, da die Märkte ja von einem Sieg Clintons ausgegangen waren. Bei Aktien hätte – nach einer kurzen anfänglichen Phase der Volatilität – eine Senkung der Körperschaftssteuer (falls sie wie geplant umgesetzt wird) kurz- bis mittelfristig einen positiven Effekt. Bei den Branchen sollte der Gesundheitssektor durch die Wahlniederlage Clintons zunächst Auftrieb erhalten. Auch der Finanzsektor könnte zu den Gewinnern zählen, sofern Trump sein Wahlversprechen hält und sich für weniger Regulierung stark macht. Bei allen Unterschieden zwischen den beiden Kandidaten gab es doch ein Thema, bei dem sich Clinton und Trump einig waren: die Staatsausgaben. Aus Sicht beider stößt die Geldpolitik allmählich an ihre Grenzen, und deshalb werden wohl staatliche Ausgabenprogramme der nächste Hebel sein, der betätigt wird. Genauer gesagt geht es um die Infrastrukturausgaben. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung hat die marode amerikanische Infrastruktur zweifellos einen Bremseffekt auf das Wachstum. In den letzten Jahren wurden überdies Einschnitte im Rüstungsetat der USA vorgenommen. Weitere bedeutende Kürzungen wird es wohl angesichts der internationalen Sicherheitslage nicht geben. Vor allem die Republikaner gelten als Befürworter einer starken Verteidigung, und es überrascht deshalb nicht, dass Donald Trump mehr Geld für die Rüstung ausgeben will. Da Trump und Clinton auf diesen Feldern ähnliche Standpunkte vertreten, hat der Markt ihre Haltung zum Teil schon in die Kurse eingepreist. In beiden Bereichen bieten sich dennoch sehr interessante Chancen für Anleger. Von der anfänglichen Reaktion abgesehen, ist der Wahlausgang für US-Wertpapiere jedoch keineswegs nur negativ. Trump war immer ein starker Befürworter niedrigerer Steuern für Firmen und Privathaushalte. Falls er seinen Worten Taten folgen lässt, sollte der Unternehmenssektor davon im Endeffekt profitieren.“
Nick Peters, Multi-Asset-Fondsmanager, Fidelity: „Spürbarer Dämpfer“
„Anders als von politischen Beobachtern, Demokraten und selbst zahlreichen Republikanern erhofft wird Donald Trump der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. An den Märkten stößt das vermutlich auf wenig Zustimmung angesichts der restriktiven Vorhaben Trumps in Sachen Einwanderung und Freihandel, die das Wachstum der US-Wirtschaft bremsen könnten. Mit Trump als Präsident werden auch die politischen Unwägbarkeiten zunehmen und wird das Vertrauen in ein offenes Welthandelssystem untergraben. Wie diese zugegebenermaßen abstrakten Risiken von den Märkten eingepreist werden, lässt sich derzeit kaum abschätzen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass sie der Stimmung einen spürbaren Dämpfer versetzen. Allerdings dürfte Präsident Trump mit vielen seiner Pläne am Kongress scheitern, und selbst die Republikaner werden einigen seiner Vorschläge wohl eine Absage erteilen. Für die Schwellenländer gehen mit einer Präsidentschaft Trumps zahlreiche Risiken einher. So wird der US-Präsident seinen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik mit Blick auf die Schwellenländer geltend machen, zum Beispiel in Form höherer Handelszölle und -hemmnisse, einer Neuverhandlung des NAFTA-Abkommens oder indem er Länder wie China oder Korea, die ihre Währung manipulieren, an den Pranger stellt. Wirtschaftliche Gründe könnten zwar dazu führen, dass den starken Worten keine ebensolchen Taten folgen. Aber vor allem in Mexiko könnte die Stimmung auf einen Tiefpunkt sinken.“