Boehringer Ingelheim: Regional verwurzelt - global erfolgreich
Eine Börsennotierung gehört bei den meisten großen deutschen Unternehmen zum guten Ton. Nicht so beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Das zweitgrößte forschende deutsche Pharmaunternehmen beweist seit Jahrzehnten, dass ein erfolgreicher Global Player nicht unbedingt auf die Börse angewiesen ist.
Gerade im Pharmabereich ist langer Atem gefragt. Von der Entwicklung bis zur Markteinführung eines Medikaments vergehen viele Jahre. Bis dahin ist es oft ein holperiger Weg mit zahlreichen Rückschlägen. Die hektischen Finanzmärkte bringen die dafür nötige Geduld aber selten auf. Fehlschläge in den Testphasen neuer Präparate werden mit Kurseinbrüchen bestraft und zwingen die Unternehmen oft zu drastischen Sparprogrammen, um den Gewinnerwartungen der Kapitalmärkte gerecht zu werden.
Derartige Sorgen braucht sich Boehringer nicht zu machen. Das Unternehmen verzichtet nämlich nicht nur auf eine Börsennotierung, sondern auch auf eine komplexe Eigentümerstruktur. Der über 120 Jahre alte Pharmahersteller befindet sich noch immer ausschließlich im Familienbesitz. Während die operative Leitung in den Händen familienfremder Manager liegt, entscheidet die Inhaberfamilie über die strategische Ausrichtung des Unternehmens.
Wie viele Familienunternehmen ist Boehringer regional fest verwurzelt. Trotz weltweiter Geschäftstätigkeit bekennt sich der Pharmahersteller zum deutschen Standort und der Unternehmenszentrale in der Rheinstadt Ingelheim. Hier war es auch, wo Albert Boehringer 1885 eine kleine Weinsteinfabrik erwarb und zunächst Salze der Weinsäure für Apotheken und Färbereien produzierte. Der Durchbruch kam wenige Jahre später mit der Entdeckung, dass Milchsäure in großen Mengen mithilfe von Bakterien hergestellt werden kann. Dank der großen Nachfrage aus der Leder-, Textil- und Lebensmittelindustrie begann 1895 die Herstellung von Milchsäure in industriellem Umfang. Im selben Jahr gelang noch eine weitere wichtige Entdeckung: Die Firma meldete das erste Patent für ein neues Verfahren zur Herstellung von Backpulver auf Milchsäurebasis an.
Ab den Zwanzigerjahren gewann der Pharmabereich mit der Entwicklung von Herz-Kreislauf- sowie Hustenpräparaten zunehmend an Bedeutung. In den nachfolgenden Jahrzehnten brachte Boehringer zahlreiche neue Medikamente auf den Markt, darunter das immer noch eingesetzte Schmerzmittel Thomapyrin, das schon 1946 eingeführt wurde.
Heute liegt der Schwerpunkt auf verschreibungspflichtigen Medikamenten, die 2010 mit 77% den Löwenanteil der weltweiten Umsätze von 12,5 Mrd. Euro ausmachten. Die Präparate dienen zur Behandlung so unterschiedlicher Krankheiten wie Bluthochdruck, HIV, Parkinson, Schlaganfall und Atemwegserkrankungen. Auch auf dem immer wichtiger werdenden Feld der Biotechnologie ist Boehringer eindrucksvoll vertreten. Bereits 1986 wurde das Biotechnikum in Biberach, die größte Produktionsanlage für Biopharmazeutika aus Zellkulturen, in Betrieb genommen.
Zweites Standbein sind rezeptfreie Medikamente. Mit Mitteln wie etwa Silomat gegen Husten und dem Venenpräparat Antistax haben die Ingelheimer 2010 einen Umsatz von 1,3 Mrd. Euro erzielt und waren damit in Deutschland der führende Hersteller auf diesem Gebiet. Daneben ist Boehringer im Bereich der Tiermedizin aktiv. Neben Produkten für landwirtschaftliche Nutztiere sind dabei Medikamente für Hunde, Katzen und Pferde immer wichtiger geworden.
Die langfristige Orientierung, die Familienunternehmen oft auszeichnet, zeigen eindrucksvoll die Investitionen für Forschung und Entwicklung. Die Ausgaben hierfür stiegen 2010 um 11% gegenüber dem Vorjahr, obwohl das Betriebsergebnis um 15% zurückging. Nicht kurzfristige Gewinnsteigerungen stehen damit im Vordergrund, sondern der künftige Erfolg. Das kommt auch in der Unternehmensvision zum Ausdruck: „Value through innovation – Werte schaffen durch Innovation“.