Das langfristige Dilemma der Anleger
Zinsen, schwankende Märkte – Anleger stehen vor großen Herausforderungen. Der Hauptgrund ist das schwache Wirtschaftswachstum weltweit. Dabei ist es jedoch unerlässlich, zwischen der Konjunktur, dem kurzfristigen Zyklus also, und dem langfristigen Potentialwachstum zu unterscheiden. Ulrich Stephan analysiert.
Zinsen, schwankende Märkte – Anleger stehen vor großen Herausforderungen. Der Hauptgrund für dieses Dilemma ist das schwache Wirtschaftswachstum weltweit. Dabei ist es jedoch unerlässlich, zwischen der Konjunktur, dem kurzfristigen Zyklus also, und dem langfristigen Potentialwachstum zu unterscheiden.
Von Ulrich Stephan
Viele volkswirtschaftliche Modelle gehen davon aus, dass die Konjunktur um den Trend herum schwankt und jedem Konjunktureinbruch eine -erholung folgt. Derzeit erholen sich die Wachstumsraten aber nicht, sondern bleiben schwach. Im Gegensatz zum kurzfristigen Wachstumszyklus wird das Potentialwachstum nicht von geld- oder fiskalpolitischen Maßnahmen beeinflusst und kann nicht kurzfristig stimuliert werden. Vielmehr hängt es an Faktoren wie Arbeitskraft, Kapitalstock – Fabrikgebäude oder Maschinen – sowie technischem Fortschritt.
Ein nachlassendes Potentialwachstum ist insbesondere in den Industrieländern zu beobachten. Hier ist der Faktor Arbeit aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen ausgeschöpft. Gleichzeitig ist der Kapitalstock so gut ausgebaut, dass die Bedeutung zusätzlicher Investitionen abnimmt. Somit kann nachhaltiges Wachstum nur über Produktivitätssteigerungen erreicht werden. Aufgrund des schwachen Potentialwachstums ist die Verunsicherung hinsichtlich einer möglichen Rezession und negativer Auswirkungen auf die Unternehmen groß. Bleiben die Umsätze schwach bleiben unter gleichen Rahmenbedingungen auch die Wachstumsaussichten schwach. Steigen die Gewinne zudem kaum und Anleger gehen aufgrund unsicherer Marktbedingungen keine höheren Risiken ein, ist das Aktienkurspotential begrenzt.
Das niedrige Zinsniveau ist neben der schwachen Wachstumsperspektive auch auf Unsicherheiten bezüglich der Wirtschafts- und Geldpolitik zurückzuführen. Als Wirtschaftsblasen platzten, finanzierten Regierungen und Zentralbanken Rettungsaktionen mit billigen Anschlussfinanzierungen, um die Handlungsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Da aber keine Bereinigung des Kapitals eintritt, bleiben die Renditen niedrig. Diese niedrigen Renditen wiederum führen zu einer geringeren Investitionsbereitschaft. Gleichzeitig sparen die privaten Haushalte weiter, auch weil für das Alter vorgesorgt werden muss. Und auf staatlicher Ebene werden defizitäre Haushalte konsolidiert.
Die bisherige Fokussierung auf die Fiskal- und speziell die Geldpolitik hat nur bedingt gefruchtet. Daher sind strukturelle Reformen zur Verbesserung der Investitions- und Produktionsbedingungen sowie weitere Anpassungen des privatwirtschaftlichen Sektors unumgänglich. Die Politik muss weitere Maßnahmen ergreifen, die positiv auf die Faktoren Arbeit, Kapital und Produktivität wirken. Das beinhaltet etwa den Aufbau einer effizienteren Bürokratie, eine verlässliche Regulierung, den Zugang zu Kapital und nicht zuletzt eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Solange diese Maßnahmen nicht ergriffen werden, dürfte das Wachstum moderat bleiben.
Trotz des schwierigen Umfelds ist es möglich interessante Renditen zu erzielen. Dabei gewinnen die Portfoliokonstruktion und die aktive Anlagestrategie immer mehr an Bedeutung. Anleger, denen der Aufwand zu hoch ist, können auf gemanagte Lösungen zurückgreifen. Grundsätzlich könnte es überlegenswert sein, sich von traditionellen und unflexiblen Konzepten zu verabschieden.
Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden.