Diagnose: Hyperaktivität
Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim steckt in einer schwierigen Situation. Während sich die Konkurrenten in vielerlei Hinsicht regen, bewegen und verändern, muss sich Boehringer den Vorwurf gefallen lassen, sich auf dem überaus guten Ruf, den das Familienunternehmen genießt, etwas zu lang ausgeruht zu haben.
Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim steckt in einer schwierigen Situation. Während sich die Konkurrenten in vielerlei Hinsicht regen, bewegen und verändern, muss sich Boehringer den Vorwurf gefallen lassen, sich auf dem überaus guten Ruf, den das Familienunternehmen genießt, etwas zu lang ausgeruht zu haben.
Forschung, zufriedene Mitarbeiter und Familiensinn: Das sollen die drei Prioritäten des Unternehmensgründers Albert Boehringer gewesen sein, als er 1885 das gleichnamige Unternehmen gründete. Bis heute besteht das Bild eines mustergültigen Familienunternehmens. Zumindest bis vor kurzem. Denn in letzter Zeit häuften sich die schlechten Nachrichten rund um den rheinland-pfälzischen Pharmahersteller, der von dem gebürtigen Freiburger Andreas Barner geführt wird. Da wäre zum Beispiel die Misere rund um Pradaxa, das weltweit bekannte Arzneimittel gegen Schlaganfall. Zwischen 2008 und 2011 war das Unternehmen wegen 260 Todesfällen im zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments in die Schlagzeilen geraten. Boehringer rechtfertigte sich damit, dass Pradaxa nicht gefährlicher als andere Blutverdünner sei. „Verhinderte Schlaganfälle spürt man nicht!“, sagt Barner. Ein Imageschaden lässt sich aber nicht wegdiskutieren. In knapp fünf Monaten beginnt zudem in Illinois ein Prozess: 2000 Kläger aus den USA fordern Schadensersatz für die vermeintlich unzureichende Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen des Produktes.
Nichtsdestotrotz konnte der Konzern aus Ingelheim am Rhein kürzlich ein positives Jahresergebnis präsentieren. Der Kurzbericht erschien im Format einer Packungsbeilage. 3,5 Gramm - so steht es auf dem Papier - wiegt er. Der gesamte Bericht für das Geschäftsjahr 2013 ist etwas schwerer: „1500 Gramm“ steht auf dem Paket, das die Journalisten, die zur Bilanz-Pressekonferenz ins idyllische Ingelheim gereist waren, überreicht bekamen. Doch auch dieses große Paket ist vollgepackt mit Leidenschaft für Pharmazie und durchaus gemischten Ergebnissen. Zwar konnte der Konzern seinen Umsatz währungsbereinigt nur um 1,4 Prozent steigern, auf Euro-Basis ergibt sich jedoch ein Minus von vier Prozent. Boehringer lag damit unter den Erwartungen einiger Branchenexperten. Jedoch verzeichnete Boehringer 2013 ein Plus im Jahresüberschuss von sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Unterm Strich setzte der Pharmakonzern 2013 auf dem globalen Markt über 14 Milliarden Euro um. Das größte Geschäft machen die Ingelheimer nach wie vor in den USA. Nicht weniger als 46 Prozent des Gesamtumsatzes werden in Übersee erzielt.
Forschung bringt Erfolge
Erfolgreich war das Unternehmen im vergangen Jahr vor allem in Sachen Produktdiversifikation. So konnte Boehringer Ingelheim 2013 international acht Projekte registrieren lassen und bei drei neuen Medikamenten die Markteinführung feiern. Positiv war auch die Anerkennung des Status „Breakthrough Therapy“ für den Wirkstoff Volasertib durch das amerikanische Gesundheitsministerium FDA. Dieser dient der Behandlung der seltenen Krankheit „akute myeloische Leukämie“. In der Vergangenheit hatte Boehringer gelegentlich Probleme mit jener amerikanischen Zulassungsbehörde, die für einige Produkte keine Lizenzen vergab.
Bayer, der wohl größte deutsche Konkurrent, ist Boehringer in fast allen Maßstäben überlegen. Es gab Zeiten, in denen die Pfälzer dem großen Mitstreiter Bayer noch durch zahlreiche Innovationen übertrumpften. Auch hier ist das umstrittene Anti-Schlaganfall-Medikament Pradaxa ein geeignetes Beispiel. Denn Bayer brachte das Pendant dazu, Xarelto, erst zwei Jahre später – 2010 – auf den Markt. Doch diese Zeiten scheinen weit zurückzuliegen. Dennoch gehört Boehringer Ingelheim nach wie vor zu den zehn größten Familienunternehmen Deutschlands. Im Ranking der Pharmafirmen liegt es weltweit auf dem 14. Platz.
Wer sein Geld in Pharmaunternehmen investieren möchte, sollte sich stets den Risiken und Nebenwirkungen bewusst sein, die diese Branche mit sich bringt. Denn die Aktien der großen Konzerne weisen traditionell eine hohe Volatilität auf. So liegen beispielsweise die Volatilitätswerte von Bayer und BASF mit über 20 Punkten weit über dem DAX-Durchschnitt (15 Punkte). Diese starken Schwankungen in den Aktienkursen gründen unter anderem darauf, dass die Außenwahrnehmung der Unternehmen oft eng mit ihren diversen Produkten zusammenhängt. Gute oder schlechte Nachrichten in Bezug auf ein einziges Medikament (z.B. im Fall Pradaxa) können ausreichen, um den Aktienkurs eines gesamten Unternehmens zum wanken zu bringen. Boehringer Ingelheim ist zwar nicht an der Börse gelistet, doch die AG & Co. KG gilt zuweilen als Benchmark-Unternehmen der Branche.
Das Branchenbarometer tendiert zu „stürmisch“
Wenn man Boehringer Ingelheim also als Branchenindikator nutzt – und das war in der Vergangenheit meist eine valide Methode – dann stehen BASF, Bayer und Co. harte Zeiten bevor. Denn der Ausblick für das Geschäftsjahr 2014 fällt bei den Ingelheimern nicht besonders rosig aus. Firmenchef Andreas Barner erwartet für dieses Jahr „viele Herausforderungen“. In den nächsten Jahren würden sich in der Pharmabranche keine großen Wachstumsimpulse abzeichnen, so Barner. Doch es kommt noch schlimmer für die Rheinland-Pfälzer: 2014 laufen einige bedeutende Patente aus.
Es bedarf also in dieser empfindlichen Situation eines guten strategischen Managements und adäquater Beratung. Deswegen entschied sich die Unternehmensführung dafür, den ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz Kurt Beck in den fünfköpfigen Beraterkreis aufzunehmen. Seit Juni 2013 hat Beck nun schon dieses Amt inne. Von seiner Verpflichtung verspricht Boehringer sich unter anderem, dass Managementpannen wie in den letzten beiden Jahren in Amerika, verhindert werden können. Damals steckten die Rheinhessen 600 Millionen Euro in eine Fabrik in Bedford (Ohio), die sie dann Ende des letzten Jahres schließen mussten und 1100 Beschäftigten entließen. Kein Wunder, dass die Behörde FDA inzwischen ein Auge auf die Tätigkeiten des deutschen Unternehmens geworfen hat.
FDA hat gegenwärtig ohnehin viel zu tun, denn es bewegt sich einiges in der Branchenstruktur. Es stehen Übernahmen an. So bietet der kanadische Hersteller Valeant fast 50 Milliarden Euro für den Botox-Anbieter Allergen während Novartis in Europa Tauschgeschäfte mit Glaxo-Smithkline aus England vornimmt. Der amerikanische Branchenprimus Pfizer plant unterdessen den britischen Konkurrenten AstraZeneca aufzukaufen. Wenn sich dieses Gerücht bewahrheiten sollte, würde dieser Mega-Deal für bis zu 100 Milliarden US-Dollar über den Tisch gehen.
Fazit
Der Ruf des grundsoliden Familienunternehmens Boehringer in Ingelheim hat in den letzen Jahren deutliche Kratzer erhalten. Dennoch bleibt sich der Pharmariese mit ordentlichen Ergebnissen einigermaßen im Fahrwasser. Ob das traditionell als Benchmark für die Branche angesehene Unternehmen jedoch weiter als Flaggschiff fahren kann, erscheint unsicher. Eine eher schwierige Zukunft mit nur kleinen Wachstumsaussichten dürfte bevorstehen. Zusätzlich erschwerdend kommt hinzu, dass die gesamte Pharmabranche fast so aktiv wie ein zappelnder Fischschwarm ist. Das erkennt man zum einen an den bevorstehenden Übernahmen und zum anderen an den hohen Volatilitätsraten der Pharma-Aktien. Diagnose: Hyperaktivität.