Elon Musk als Twitter-Rächer – kann das gutgehen?
Der Tesla-Gründer will sich Twitter einverleiben und von der Börse nehmen. Das stößt auf breiten Widerstand. Auch, weil Musk mit teils kruden Forderungen auftritt.
Der Tesla-Gründer will sich Twitter einverleiben und von der Börse nehmen. Das stößt auf breiten Widerstand. Auch, weil Musk mit teils kruden Forderungen auftritt.
Von Reinhard Schlieker
Einseitige Liebe hat stets etwas Unbefriedigendes. Muss zum Beispiel Tesla-Chef Elon Musk derzeit erleben, seit er angekündigt hat, für die vollständige Übernahme von Twitter je Aktie 54,20 Dollar zahlen zu wollen. Wörtlich zum Management des Sozialen Netzwerks: „Es ist ein hoher Preis und Ihre Aktionäre werden ihn lieben“, so Musk, dem im Portfolio von E-Autos, Weltraumfahrzeugen und diversen noch nicht ganz spruchreifen Produkten wie etwa einen „Cybertruck“ ein Internet-Netzwerk gerade noch gefehlt hat. In der Tat scheint Musk sein Twitter zu lieben – bei dem übrigens Musk an vierter Stelle der bedeutendsten Twitterer steht (ganz vorn findet sich US-Sängerin Taylor Swift).
Aber so, wie es ist, soll es nicht bleiben. Das zu häufige Sperren von Accounts und die seiner Ansicht nach eingeschränkte Meinungs-, besser gesagt Meinungsäußerungsfreiheit, ist ihm ein Ärgernis, und da möchte der verbal oft verstörende Multimilliardär doch am liebsten selbst Inventur machen. Und dabei zum Beispiel vermutlich solche ergötzlichen Verlautbarungen wie die des gesperrten Donald Trump wieder zulassen (ehe der nun sein eigenes Soziales Netzwerk gründet und womöglich eine Bauchlandung erlebt).
Das umgarnte Management liebte ihn und seine Offerte kurz vor Ostern nun allerdings gar nicht, fand den Preis zu niedrig und die Vorgehensweise des überraschend hervorgetretenen Großaktionärs Musk unziemlich. Dessen Angebot – „mein höchster und letzter Preis“ – würde Twitter mit rund 43 Milliarden Dollar bewerten. 9,2 Prozent hält Musk bereits, er müsste also noch gut 39,5 Milliarden in bar dazulegen, um die Attacke zum Ziel zu führen. Musk selbst scheint nach jüngsten Äußerungen nun doch zu zweifeln, ob ihm das gelingen würde, denn sein beträchtliches Vermögen von geschätzten 273 Milliarden Dollar ist nicht gerade täglich bar verfügbar – ihm dämmerte dann wohl recht schnell, dass eine Beleihung von Tesla-Aktien aus seinem Besitz in dieser Höhe keine leichte Angelegenheit werden dürfte, und die Rückzahlung ebensowenig. Sein Plan, Twitter anschließend von der Börse zu nehmen, ist wohl auch wenig geeignet, die Anteilseigner zu überzeugen. Großaktionär (fünf Prozent) Prinz Alwaleed bin Talal aus Saudi-Arabien erteilte dem neuen Investor auch bereits eine Abfuhr, andere, vor allem Finanzinvestoren mit bis zu zehn Prozent Anteilen, denken ähnlich.
Die Krone setzte Musk seinem Vorhaben auf, indem er ankündigte, die Gehälter der Vorstände auf null setzen zu wollen. Das machte, gelinde gesagt, in den oberen Etagen keine neuen Freunde. Es gab in der Tat schon mehrere Unternehmen, in denen der Chef sich einen symbolischen Dollar Gehalt zahlen ließ – aus Solidarität etwa bei Apple -, dies aber bedeutete bei näherem Hinsehen auch nur, dass die Gewinne aus Kurssteigerungen und Dividenden sowieso höher ausfielen als jede denkbare Vergütung. Die betreffenden CEOs oder Board Members waren nämlich jeweils Gründer oder Großaktionäre ihrer Firma. Dies sieht bei heutigen Twitter-Board ganz anders aus. Zusammen halten alle Mitglieder des Verwaltungsrats (ohne Gründer Jack Dorsey )nicht einmal 0,1% an Twitter, was Musk natürlich genüsslich ausschlachtete mit der Bemerkung, diese Leute könnten ja wohl unmöglich Aktionärsinteressen im Sinne haben.
Die Gescholtenen allerdings hatten zwischenzeitlich eine der üblichen Abwehrmaßnahmen angekündigt, den Mehrheitserwerb durch eine sogenannte Poison Pill nahezu unmöglich zu machen – durch Verwässerung der bestehenden Anteile. Jeder Aktionär wäre damit berechtigt, zum jetzigen Kurs zwei statt nur einer Aktie zu erwerben, sobald ein feindlicher Übernehmer 15 Prozent besitze - ein fast endloses Spiel, mit dem Musk gezwungen wäre, sehr viele, aber weniger werthaltige Anteile zum Tagespreis zu kaufen.
Und die übrigen Aktionäre, der sogenannte Streubesitz? Wissen mal wieder nicht, was sie von der Sache halten sollen und – halten still. Die Twitter-Aktie bewegt sich mit dem Markt und jede Euphorie in die eine oder andere Richtung fehlt. Recht hat Elon Musk sicherlich mit der Bemerkung, Twitter bleibe, was den Kurs angeht, unter seinen Möglichkeiten, um es höflich auszudrücken. Das Werbemodell müsse auf ein Abonnementsystem umgestellt werden, auch wegen der Unabhängigkeit, sagt Musk… In der Tat aber verwundert der geringe Ertrag über die letzten Jahre, der in keinem Verhältnis zur weltweiten Bedeutung des Netzwerks steht. Schon 2014 sah man vergleichbare Kurse wie in diesen Tagen.
Die interessierte Öffentlichkeit bewertet Twitter natürlich weniger nach Kursertrag als vielmehr nach seinen Kommunikationsmöglichkeiten. Das Netzwerk steht für einen blitzschnellen Austausch von Nachrichten und Meinungen, vergisst dabei nie – was schon mancher dahingeworfenen Bemerkung Prominenter zu Ewigkeitswert verhalf und bittere Reue auslöste. Ebenso beliebt die Konfrontation aktiver Politiker mit ihren Versprechungen und Prognosen vergangener Tage, meist nicht zu deren Gefallen. In der seit einiger Zeit schärferen Beobachtung des Internets und den Versuchen staatlicherseits, Auswüchse einzudämmen – in der EU, und in Deutschland zum Beispiel über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – spiegelt sich seither der Versuch von Twitter, wie auch des Konkurrenten Facebook, strafbare Inhalte zu blockieren. Diese Versuche schießen erkennbar oft über das Ziel hinaus, es hagelt Beschwerden und Gegenbeschwerden, manches Mal wirken Sperrungen und Löschungen geradezu widersinnig, und Satire erkennt die Künstliche Intelligenz, die vorwiegend mit diesen Aktionen betraut wird, schon mal gar nicht. Vor allem bei Facebook laufen zahlreiche Gerichtsverfahren wegen ungerechtfertigter Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, wobei das Unternehmen mit abgelegenen Gerichtsständen die Klageführer möglichst zu entmutigen versucht. Auch bei Twitter ist die Frage gerichtsnotorisch, inwieweit ein privates Unternehmen aufgrund seiner Bedeutung eine gesellschaftliche Relevanz besitzt, die es in seiner Machtausübung per se beschränkt. Hier setzt die laut verkündete Absicht Elon Musks ein, der eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit sieht und verspricht, mit Sperren und Löschungen nach seiner Übernahme äußerst restriktiv umgehen zu wollen. Man kann das glauben, oder die Richtung gutheißen; allein, ob ein Alleinherrscher Musk zu seinem Wort stehen wird, ist von niemandem kontrollierbar. Das weltumspannende Netzwerk wäre dem Schalten und Walten des amerikanischen Milliardärs unterworfen, welche Beschwerdeinstanzen es dann gäbe, ist völlig offen. So gesehen steht Twitter als Aktiengesellschaft doch eher unter Beobachtung und öffentlicher Kontrolle. Musk sollte sich genau ansehen, welche Reputation Mark Zuckerberg als Facebook-Chef im Laufe der Zeit gewonnen und, vor allem, verloren hat.
Jack Dorsey übrigens, der Mitbegründer von Twitter, nennt noch 2,9 Prozent des Dienstes sein Eigen. Im vergangenen Herbst schied er aus dem Management aus, wie schon zuvor einmal. Und im Mai wird er auch sein Mandat im Verwaltungsrat niederlegen. In einem Tweet bemerkte Dorsey kurz nach der Musk-Attacke, der Verwaltungsrat sei „seit jeher durchgängig eine Funktionsstörung des Unternehmens“. Das ist nun auch mal wieder eine Aussage.