Nach 111 Jahren! GE fliegt aus dem Dow Jones
Lange hatte es sich angedeutet, jetzt ist es traurige Realität. General Electric, das einst wertvollste Unternehmen der Welt aus dem US-Bundesstaat Massachusetts hat tatsächlich seinen Platz im wichtigsten Index der Wall Street, dem Dow Jones, verloren. Vor 125 Jahren von Thomas Alva Edison höchstpersönlich mitgegründet, rutscht der Konzern damit noch tiefer in die Krise. Die Konkurrenz enteilt. Lösungen? Fehlanzeige.
Lange hatte es sich angedeutet, jetzt ist es traurige Realität. General Electric, das einst wertvollste Unternehmen der Welt aus dem US-Bundesstaat Massachusetts hat tatsächlich seinen Platz im wichtigsten Index der amerikanischen Börsenlandschaft, dem Dow Jones, verloren. Vor 125 Jahren von Thomas Alva Edison höchstpersönlich mitgegründet, rutscht der Konzern damit noch tiefer in die Krise. Die Konkurrenz enteilt. Lösungen? Fehlanzeige.
Von Oliver Götz
In seinem Gründungsjahr 1896 zählte der Dow Jones Industrial Average zwölf Mitglieder. Eines davon trug den Namen General Electric, kurz GE, und war ab dem Jahr 1907 bis heute ununterbrochen in ihm vertreten. Über Jahrzehnte hinweg prägte der Misch-Konzern damit die Wirtschaftsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, war lange Zeit das wertvollste Unternehmen der Welt und über unzählige Branchen hinweg aktiv. Heute ist GE stolze 125 Jahre alt und seit dem 26. Juni kein Dow Jones-Mitglied mehr. Angesichts eines zuletzt nur noch 0,5-prozentigen Anteils am Index-Gesamtgewicht kommt der Rausschmiss nicht überraschend. Hinzu kommen die mit zuletzt 112 Milliarden Dollar sechstkleinste Marktkapitalisierung sowie der niedrigste Kurs aller in Amerikas Leitindex aufgeführten Aktien.
Die Debatte über ein mögliches Ausscheiden des Traditionskonzerns aus dem Dow Jones habe so bereits seit Jahresbeginn vor sich hin geköchelt, schrieb RBC Capital Markets-Analyst Deane Dray. Nun also geht die Ära zu Ende. Lange vorher zu Ende ging der Glauben der Anleger an den einst so stolzen US-Konzern. Kostete die GE-Aktie im Jahr 2000 noch um die 60 US-Dollar, ist ihr Wert inzwischen auf unter 13 Dollar gefallen, was insgesamt einem Minus von rund 80 Prozent entspricht. Vor allem die globale Finanzkrise mündete für GE in einem Desaster. 2009 sank der Kurs unter die Acht-Dollar-Marke. Danach ging es zwar schleppend wieder aufwärts – Mitte 2016 kostete die GE-Aktie über 30 Dollar – im Dezember desselben Jahres jedoch begann das Momentum erneut ins Negative abzudrehen, was in der Folge zu Kursverlusten von 45 Prozent 2017 und bislang 26 Prozent im Jahr 2018 führte.
Jetzt fängt der Druck auf die Aktie erst an
Seit die zehn Jahre lang dauert Hausse an den Märkten bereits an, Rücksetzer wie der in diesen Tagen zu beobachtende sind im Vergleich zu einem ganzen Jahrzehnt nur eine Randerscheinung. Doch während die Märkte zehn Jahre lang haussierten, steht es für das GE-Papier ein Minus von 52 Prozent zu Buche. Mit dem Ausschluss aus dem Dow Jones ist nun wohl ein neuer Tiefpunkt erreicht. Da nun viele passive Indexfonds, die den amerikanischen Leitindex abbilden, den Börsendino aus ihrem Portfolio schmeißen müssen, dürfte der Druck auf dessen Aktie weiter zunehmen. Darüber hinaus verliert GE mit dem Dow Jones ein prestigeträchtiges Schaufenster und verabschiedet sich – gemessen an früheren Verhältnissen – börsentechnisch in die Bedeutungslosigkeit.
Die goldenen Zeiten, sie sind längst vorüber und viel scheint nicht mehr übrig, worauf sie in Boston noch stolz sein könnten. Seit der Jahrtausendwende kämpfen die Amerikaner mit dem Jetzt. Auf dem Planeten Erde nämlich wird seither nicht mehr industrialisiert sondern digitalisiert. Und auch wenn GE als Mischkonzern fungiert, ist man doch zu einem großen Teil immer Industriekonzern gewesen und geblieben. Über Jahre nun stecken daher wichtige Konzernsparten wie beispielsweise das Gasmotorengeschäft – GE-Erzkonkurrent Siemens kann ein Lied davon singen – in der Krise. 2017 sank die Zahl der Aufträge in dem Sektor um 13 Prozent, die Gewinne gingen in der Folge um 88 Prozent zurück. Und John Flannery, der im August des vergangenen Jahres den glücklosen Jeff Immelt als CEO ablöste, rechnet noch lange nicht mit einem Ende der Herausforderungen.
In der Turbine gefangen
Die schleppende Gasturbinen-Nachfrage könnte das Kraftwerksgeschäft noch viele Jahre beschäftigen, warnte er jüngst die Aktionäre. Das tat auch RBC-Analyst Dray. Die Schwäche im operativen Geschäft dürfte die Aktie weiter belasten, schrieb er. Schließlich macht GE rund ein Drittel seines Umsatzes im Kraftwerksbereich. Lösungen scheinen nicht in Sicht, die Zeiten haben sich geändert. Erneuerbare Energien sind gefragter denn je. Und das drückt auf die Nachfrage. Natürlich kann man Maßnahmen zur Restrukturierung ergreifen, die Kosten senken, den Konzern verschlanken. Doch das sind mehr notwendige Reaktionen, die von GE nun auch kommen – 15 Werke sollen dicht gemacht werden, elf Prozent der Mitarbeiter müssen gehen – als Problemlösung.
Und vor allem liegt es nicht nur am Stromgeschäft der Amerikaner, dass für sie kaum mehr etwas zusammenläuft. Ganz im Gegenteil: Lassen sich diese Schwächen immerhin noch mit externen Einflussfaktoren begründen, was nicht bedeutet, dass man diese nicht hätte früher erahnen und darauf reagieren können, waren die Fehler aus Zeiten der Finanzkrise solche von vermeidbarer Natur. Und an denen hat GE noch heute zu knabbern. Tochter GE Capital, einst für mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes verantwortlich, häufte im Rahmen der Krise milliardenschwere Verluste an und hat noch immer große Risiken in den Büchern stehen. Allein im abgelaufenen ersten Quartal 2018 musste GE aufgrund von Rückstellungen mit Blick auf zweifelhafte Hypothekengeschäfte einen Verlust von 1,2 Milliarden Dollar ausweisen.
Operativ lief es mit einem Gewinn von 406 Millionen Dollar immerhin besser als erwartet, auch der Gesamtumsatz konnte mit sieben Prozent auf 28,7 Milliarden Dollar stärker zulegen als von Analysten vorausgesagt. Doch noch hängt dem Konzern das mit einem Gesamtverlust von 5,9 Milliarden Dollar miserable Jahr 2017 in den Kleidern. Auch dafür waren zu einem großen Teil Belastungen aus dem Finanzdienstleistungsbereich verantwortlich. Die Finanzsparte bleibe weiterhin ein unterschätztes Risiko für GE, glaubt daher JPMorgan-Analyst Stephen Tusa. Mit einem Kursziel von gerade einmal elf Dollar rät er zum Verkauf der Aktie.
Ein Blick von Boston nach Übersee würde lohnen
Darüber hinaus muss sich das GE-Management die Frage gefallen lassen, ob die teuren Aktienrückkaufprogramme sowie die trotz Konzernschieflage stattlichen Dividendenzahlungen zur Kurswiederbelebung nach der Finanzkrise die richtige Entscheidung waren. Schließlich wären die dafür aufgewendeten Milliarden wohl auch im Konzern nicht schlecht aufgehoben gewesen. Vor allem jetzt, wo die Umsätze im traditionellen Geschäft wegzubrechen drohen, fehlt für Investitionen in die Zukunft das Geld. Um die Konzernstruktur zu verschlanken hat GE zudem jüngst immer wieder Unternehmensteile ohne Gegenleistung abgespalten. So soll nun auch das Gasmotorengeschäft an den Finanzinvestor Advent verkauft werden. Damit verkauft man zwar Risiken, aber eben auch Umsatzvolumina und Marktanteile.
Siemens-Chef Joe Kaeser ging da in der Vergangenheit gefühlt etwas zielgerichteter und strategischer vor, vermied Hauruck-Entscheidungen und trieb kontinuierlich den auch bei den Deutschen dringend notwendigen Konzernumbau voran. So gliederte man einzelne Sparten über Teil-Börsengänge aus oder fusionierte sie mit Konkurrenten, jedoch stets mit Beteiligungsmehrheit. Teure Aktienrückkaufprogramme sparte man sich, die eigene Finanzsparte erwirtschaftet Gewinne und hat nicht mit Altlasten zu kämpfen. Das verdiente Geld steckten die Münchner in Automatisierung und Digitalisierung, behielten die Zukunft stets im Blick. So hat sich der Kurs der Siemens-Aktie zwar seit dem Jahr 2000 kaum verändert, aber immerhin ist er nicht gefallen, zudem in der Zeit nach der Finanzkrise deutlich gestiegen. Das Ergebnis: Mit einer Marktkapitalisierung von fast 97 Milliarden Euro sind die Münchner heute an der Börse mehr wert als der Konzern aus Boston (umgerechnet zirka 94 Milliarden Euro). Früher undenkbar.
Fazit
General Electric steht offensichtlich vor einem ziemlich bedrohlich anmutenden Scherbenhaufen. Zu viele Fehler aus der Vergangenheit münden in zu vielen außerplanmäßigen Rückstellungen und Kostenpunkten. Konkurrenten wie Siemens scheinen am Markt darüber hinaus besser positioniert. Die Zukunft des einst vielleicht mächtigsten Konzerns der Welt düster zu malen fällt derzeit also alles andere als schwer. Doch was auf der einen Seite freilich in einem Fiasko enden könnte, birgt auf der anderen auch die Chance eines Neuanfangs. Mit dem margenstarken Luftfahrt- und Gesundheitsgeschäft verfügt GE über gewinnbringende Sparten mit guten Zukunftsaussichten. Zudem befindet man sich mitten drin in einem radikalen Konzernumbau. Der kostet für den Moment viel Geld und setzt die Aktien unter Druck, könnte sich später jedoch – sofern klug umgesetzt – auszahlen. Vielleicht beginnt dann ja eine neue Ära. Und zwar wieder in Amerikas Leitindex Nr. 1.
Oliver Götz